IG Metall: 28 Stunden sind genug

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Mit der Forderung nach flexibleren Arbeitszeiten für Mitarbeiter der Metall- und Elektrobranche - unser Bild zeigt Mitarbeiter der KSB in Pegnitz - will die IG Metall in die im November beginnenden Tarifverhandlungen gehen.Foto: Archiv/Ralf Münch Foto: red

Die Forderung nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeit ist eine entscheidende Forderung der Gewerkschaft IG Metall in den im November beginnenden Tarifverhandlungen. Arbeitnehmer sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Arbeitszeit auf 28 Stunden verringern zu können. Mehr Privatleben, lautet das Motto. Und mehr Zeit für die Pflege von Angehörigen oder die Betreuung von Kinder. Nach zwei Jahren sollen Arbeitnehmer wieder auf ihre Vollzeitstelle zurückkehren können.

 
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Was die SPD in der großen Koaltion nicht durchsetzen konnte, will die Gewerkschaft IG Metall in den im November beginnenden Tarifverhandlungen erreichen: die Flexibilisierung der Arbeitszeit zum Vorteil der Arbeitnehmer.

Die Forderung des Vorstands der Gewerkschaft mit Vorsitzenden Jörg Hofmann an der Spitze sieht vor, dass die Beschäftigten mehr Selbstbestimmung bei ihrer Arbeitszeit erhalten. Im Klartext heißt das: Arbeitnehmer soll die Möglichkeit gegeben werden, ihre Wochenarbeitszeit zeitweise auf bis zu 28 Wochenstunden reduzieren zu können. Bei Betriebsräten und Funktionären in der Region fällt diese Forderung auf Zustimmung.

Zuschuss für pflegende Angehörige

Eine Umfrage unter den rund 3,89 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie im Frühjahr habe ergeben, dass das Thema Arbeitszeit unbedingt auf die Agenda muss, sagt Volker Seidel, Geschäftsführer der IG Metall Ostoberfranken.

Der Vorstand in Frankfurt habe das Ansinnen aufgenommen und als Forderung formuliert. Hofmann und den Vorstandsmitglieder gehe es nicht darum, die Arbeitszeit flächendeckend auf 28 Stunde zu senken. Sondern vielmehr darum, den Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeitszeit gemäß ihren Vorstellungen ohne Begründung flexibler gestalten zu können.

Selbstbestimmte Arbeitszeiten

"Selbstbestimmte Arbeitszeiten" nennt das der IG Metall-Vorstand, die zur persönlichen Lebensgestaltung passen. Zwei Jahre lang sollen Arbeitnehmer Anspruch auf die Reduzierung ohne Lohnausgleich haben. Im Anschluss können sie wieder zu ihrer ursprünglichen Arbeitszeit zurückkehren. Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit reduzieren, weil sie Angehörige pflegen oder Kinder betreuen müssen, sollen einen Entgeltzuschuss erhalten.

Über die Höhe müsse noch beraten werden, so Seidel. "Arbeitszeit ist für viele Kollegen ein Reizthema", sagt Seidel, weil bisher nur die Arbeitgeber die Flexibilisierung bestimmen würden. Was nichts anderes bedeute als Mehrarbeit und Überstunden.

Mehr Zeit für Pflege

Helmut Ross, Mitglied des Betriebsrates der Firma Kennametal in Mistelgau und IG Metall-Vertrauensmann, nennt die Forderung eine "tolle Sache". Ihn erreichten immer wieder Anfragen von Kollegen, die ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Oft stecke der Wunsch dahinter, mehr Zeit für die Pflege von Angehörigen zu haben.

Manchmal akzeptiere die Geschäftsleitung das Ansinnen, manchmal aber auch nicht. Als Grund für eine Ablehnung werde oft die dünne Personaldecke angeführt, sagt Ross. Eine im Taifvertrag geregelte Flexibilisierung würde die Ungleichbehandlung beenden. "Die Mitarbeiter", betont der Betriebsrat, "stehen hinter der Forderung nach einem flexibleren Arbeiten."

Permanente Überstunden

"Diese Forderung geht vollkommen in Ordnung", sagt Herbert Zeilman, langjähriger Vorsitzender des Betriebsrates bei Kennametal. Die 35-Stunden-Woche stehe doch nur auf dem Papier, "permanente Überstunden" und Arbeitszeitkonten seien die Regel. Gerade für ältere Kollegen, die den Anforderungen nicht mehr gewachsen sind, oder für Mitarbeiter, die wegen Pflege oder Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit reduzieren wollen, sei eine flexible Arbeitszeit eine tolle Sache.

"Viele Kollegen arbeiten voll am Limit", weiß Zeilmann aus langjähriger Erfahrung. Da sei es mehr als gerechtfertigt, für geraume Zeit ein bisschen kürzer zu treten.

Unterstützung vom VdK

Unterstützung erhält die Gewerkschaft vom Sozialverband VdK. Bezirksgeschäftsführer Roland Sack bezeichnet die flexible Arbeitszeit als eine "interessante Forderung", besonders für jene Menschen, die wegen der Pflege von Angehörigen oder Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit zeitweise reduzieren wollen. Es müsse jedoch garantiert sein, dass sie später keine finanziellen Nachteile erfahren, die heute vielen Frauen, die wege der Pflege aus dem Beruf aussteigen, erleiden müssen. Sack: "Wenn es später für die Rente keine negativen Folgen hat, dann ist die Forderung nach einer flexiblen Arbeitszeit eine Supersache."

 

Info: Neben der Forderung nach einer "28-Stunden-Woche" wird die IG Metall aller Voraussicht nach auch mit der Forderung einer sechsprozentigen Lohnerhöhung in die Tarifverhandlungen gehen. Vorausgesetzt, die Tarifkommissionen auf regionaler und Landesebene stimmen zu.

 

Interview mit Bertram Brossardt

Bertram Brossardt ist der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände der bayerischen Metall- und Elektroindustrie (M+E). Von den Forderungen, die die IG Metall in der anstehenden Tarifrunde erheben will, hält er nicht viel.

 

Herr Brossardt, was sagen Sie zum Forderungspaket der IG Metall?

Bertram Brossardt: Das Gesamtpaket ist nicht akzeptabel. Die Entgeltforderung ist unvernünftig hoch und die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit Teilentgeltausgleich ist realitätsfern. Die bayerische M+E-Industrie bezahlt bereits Spitzenlöhne, ein Tarifbeschäftigter verdiente 2016 im Durchschnitt 56.300 Euro. Und mit ihrer Arbeitszeit sind 70 Prozent der Arbeitnehmer nach einer Gewerkschaftsumfrage zufrieden. Wenn jemand reduzieren möchte, ist das laut Manteltarifvertrag bereits jetzt möglich, wenn nicht wichtige betriebliche Gründe dagegen stehen. Im Betriebsalltag findet sich daher fast immer eine Lösung. Das Rückkehrrecht auf Vollzeit wird aufgrund der vermeintlichen „Teilzeitfalle“ gefordert: Für 93 Prozent der Teilzeitbeschäftigten handelt es sich aber laut IG-Metall-Umfrage um die Wunscharbeitszeit. Handlungsbedarf gibt es daher keinen.

 

Bertram Brossardt. Foto: Peter Gisder

 

Gibt die gute Lage der Betriebe und der Konjunktur das nicht her?

Brossardt: Die aktuelle Lage in der M+E Industrie ist durchaus gut. Wir haben seit 2012 Entgeltsteigerungen in Höhe von 19,5 Prozent gehabt. Der Produktivitätsfortschritt in der M+E-Industrie lag im gleichen Zeitraum lediglich bei 1,6 Prozent. Uns laufen in Anbetracht zukünftiger Herausforderungen, wie der Digitalisierung oder dem demografischen Wandel, die Kosten davon. Und Arbeitskosten sind für den Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ein zentraler Punkt. Um unseren Standort zu erhalten, können wir nur verteilen, was wir erwirtschaften.

 

Sorgen solche Angebote nicht für zufriedenere Mitarbeiter, was wieder dem Arbeitgeber nützt?

Brossardt: Sowohl eigene wie auch Umfragen der IG Metall ergeben ein immer wieder gleiches Bild: Die Mitarbeiter der M+E-Industrie in Bayern sind hoch zu frieden. So sind laut IG Metall Umfrage 70 Prozent der Beschäftigten zufrieden mit ihrer Arbeitszeit, einer Umfrage des vbm nach sogar 73 Prozent. Zusätzliche Angebote sollten daher auf betrieblicher Ebene vereinbart werden und nicht im allgemeingültigen Tarifvertrag.

 

Ist ein solches Angebot nicht zumindest zu unterstützen, wenn es sich um Arbeitnehmer handelt, die Angehörige pflegen oder kleine Kinder zu betreuen haben?

Brossardt: Die Unternehmen der M+E-Industrie sind für ihre Familienfreundlichkeit bekannt. des Weiteren gibt es bereits eine Vielzahl gesetzlicher Ansprüche für Beschäftigte, die Kinder erziehen oder nahe Angehörige pflegen. Es gibt daher keine Notwendigkeit, zusätzliche tarifvertragliche Regelungen zu schaffen.

 

Die Arbeitgeber fordern ja selber flexiblere Arbeitszeiten, wenn auch in einer ganz anderen Richtung – sehen Sie hier vielleicht sogar ganz neues Verhandlungspotenzial?

Brossardt: Klar ist: Wer über Arbeitszeitverkürzungen spricht, muss auch über Arbeitszeitverlängerungen sprechen. Die 35-Stunden-Woche ist und bleibt die Ankerarbeitszeit der M+E-Industrie. Aber: Während die Arbeitszeitverkürzung gesetzlich geregelt ist, beschränkt die 13-Prozent-Quote zur Begrenzung von 40-Stunden-Verträgen Arbeitszeitverlängerungen. Viele Mitarbeiter wollen aber mehr arbeiten und insbesondere junge Bewerber fordern dies aktiv ein.

 

Die Fragen stellte Stefan Schreibelmayer

 

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