Hitler und der Nachlass Wolfgang Wagners

Von Michael Weiser

Bayreuths Geschichte liegt auch in München. Genauer im Staatsarchiv. Dort wertet die Archivdirektorin Sylvia Krauss die Nachlässe von Wolfgang und Wieland aus. Für Aufsehen könnte Wolfgang Wagners Nachlass sorgen: Der Hobbyfilmer bannte Adolf Hitler auf Zelluloid.

 
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Ein Pappkarton ist 20 Zentimeter breit, fünf Kartons machen einen Meter. Was Wolfgang betrifft, ist die Reihe acht Meter lang, zwölf sind es bei Wieland. Überwiegend Papier, alt und doch wertvoll. Für den, der die Notizen einzuordnen vermag, sie deuten und in einen Zusammenhang bringen kann. Sylvia Krauss, Archivdirektorium im Hauptstaatsarchiv in München, ist Expertin. Sie sagt: „Neubayreuth liegt in München.“

Nicht nur Neubayreuth, kann man sagen, sondern auch alte Lasten. Denn zum "Schatz" gehören Filme, wie sie Guido Knopp gerne im Fernsehen zeigt. Nicht neu, aber mit ihm: Der „Führer“ privat, ganz nah. In Bayreuth. Wolfgang Wagner drehte diese Filme. Seine Tochter gab sie nach München.

Versandet in Potsdam

Geht die Aufarbeitung des Wagner-Erbes in München endlich voran? Vor einigen Jahren noch hatte Nike Wagner ihre Cousine scharf angegriffen. Sie habe die Aufarbeitung des Privatarchivs ihres Vaters Wolfgang lediglich versprochen, dieses Versprechen aber nicht gehalten. Der Journalist Peter Siebenmorgen und der Historiker Wolfram Pyta sollten sich in ihrem Auftrag des Nachlasses annehmen, gerührt aber habe sich nichts.

„Die Herren Siebenmorgen und Pyta dürfen entweder nichts tun oder sie tun nichts“, sagte Nike Wagner damals.„Sie kamen nicht weiter“, sagt Katharina Wagner heute. Sie gab schließlich die Akten weiter, als Schenkung ans Bayerische Hauptstaatsarchiv.

Auch  Sven Friedrich, Leiter des Richard-Wagner-Museums, wurde kritisiert. Er habe den Nachlass von Wieland und Gertrud Wagner nur in Teilen übernehmen, sich die „Rosinen herauspicken“ wollen. Der Archivbestand landete schließlich in Salzburg - und von dort aus in München. Dank Nike und Daphne Wagner. Für die Archivarin ein Volltreffer: „Hinter Wielands Nachlass war ich wirklich sehr lange her.“  Katharina Wagner und die Kinder von Wieland hätten „größtmögliche Offenheit und Transparenz“ bewiesen, sagt Krauss, indem sie „alle persönlichen Unterlagen in staatliche Obhut gaben“.

Das Nationalarchiv bräuchte eher Geld als Nachlässe

Die Familie scheint sich in verschiedenen Punkten einig zu sein. Auch damit, dass nicht alles, wo Wagner drauf steht, nach Bayreuth müsste. Das Nationalarchiv dort hat jüngst zwar ebenfalls Bedeutendes erhalten, das Presse- und Bildarchiv des Festspielhauses von 1951 bis 1986 als Zustiftung Wolfgang Wagner. „Ein wahrer Schatz“, sagen Kenner wie der langjährige Wolfgang-Wagner-Vertraute Oswald Georg Bauer. „Das muss allerdings noch erschlossen werden“, sagt Archivchef Sven Friedrich. Das klingt nach ferner Zukunft. Immer wieder weist Friedrich darauf hin. dass für die Weiterentwicklung vom Museum und vor allem vom Archiv Geld vonnöten sei.

Daran hängt es immer. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Haus Wahnfried wiedereröffnet wurde. Die Politiker sollten den Rahmen schaffen, dass alle Wagner-Archive in Bayreuth zusammengefasst werden könnten, sagte Bayreuths Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe bei dieser Gelegenheit. Und ein Jahr später? Scheint der Appell verhallt zu sein. „Selbstverständlich werden auch während der Festspielzeit weiterhin Gespräche zum Thema Zusammenführung der Wagner-Archive in Bayreuth geführt“, stellt Kulturreferent Fabian Kern fest. Über seine Erfolgaussichten sagt er damit nichts, vermutlich aus gutem Grund.

Neubayreuth liegt in München

Die Angelegenheit ist und bleibt kompliziert. Da gibt es - nur als ein  Beispiel - den Nachlass von Wagners rebellischer Enkelin Friedelind Wagner. Dessen Verwalter Neill Thornborrow hat klar zu verstehen gegeben, diesen Bestand nach dem Ablauf der Schutzfrist im Jahre 2021 ans Schweizer Nationalarchiv übergeben zu wollen. Bayreuth wird leer ausgehen.

Und möglicherweise auch bei Münchens  Neubayreuth. Krauss hat nun erstmal ein Gutachten erstellt. Sie beschreibt darin, was denn in den Papierstapeln geschäftlich ist, und was privat ist und damit auf jeden Fall für München bestimmt. Doch die Unterscheidung ist schwierig. Denn oft finden sich private Zeilen auf Papier mit Festspiele-Briefkopf. Oder eine dienstliche Anfrage ist mit privaten Anmerkungen vermischt. Ob ihr Gutachten angenommen wird? Krauss wird die Sitzung des Stiftungsrats im August noch abwarten müssen.

Adolf Hitler privat und in Bayreuth

Eindeutig privat sind die Streifen, die Wolfgang Wagner als begeisterter Hobbyfilmer hinterließ. Mit Aufnahmen von Wahnfried im „Dritten Reich“. Die Filme seien nicht neu, verkündeten an sich nichts wichtiges, sagt Krauss. "Das, was interessant ist und auch faszinieren kann, sind die authentischen Bilder, die Großaufnahmen, die Mimik der Personen und die Stimmung, die vermittelt wird." Die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger etwa konnte für ihr neues Buch über Frida Leider den Ausdruck und Haltung der großen Wagner-Sängerin studieren.

Krauss zeigt Ausschnitte aus einem anderen Film. Traute Familienszenen aus Haus Wahnfried zur NS-Zeit. Den allmächtigen Intendanten Heinz Tietjen, wie er scherzt und Grimassen schneidet, was Rückschlüsse darauf zulässt, wie eng sein Anschluss an die Familie im allgemeinen und Winifred im speziellen wirklich war. Aber auch Hitler, wie er auf dem Flugplatz in Bindlach landet; Hitler, wie er auf dem gebeugten Rücken von Wieland schreibt oder zeichnet. Und schließlich sieht Hitler schweigend, einfach lauschend. Winifred spricht beim Spaziergang im Garten mit Elan und gestenreich auf ihn ein, Hitler schmunzelt, es geht wahrscheinlich um Wagner, genaueres wissen wir mangels Tons nicht.

Der Monologomane Hitler als Lehrbub im Garten Richard Wagners: Das lässt darauf schließen, wie wichtig des Meisters Patchwork-Familie für Onkel Wolf war.

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