Heike Preuß: Retterin der Opernstars

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Souffleuse Heike Preuß mit ihrem Klavierauszug. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Es gibt nur wenige gepolsterte Plätze im Festspielhaus. Einen davon hat Heike Preuß. Auf ihrem Bürostuhl ist sie den Sängern auf der Bühne näher als jeder andere. Die Berlinerin ist eine von vier Souffleuren bei den Bayreuther Festspielen. Heuer sitzt sie bei den „Meistersingern“ im Kasten.

 
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Heike Preuß ist gleichsam ein sehr unauffälliges Rädchen im großen Festspielgetriebe. Hört man von ihr nichts, ist quasi alles in Butter. Will sagen: Die Sänger haben ihren Text parat und sind nicht auf dezente Einflüsterungen seitens des Souffleurkastens angewiesen. Was freilich nicht heißt, dass sich Heike Preuß, auch wenn die Aufführung reibungslos abläuft, entspannt zurücklehnen würde. Wenn sie in ihrem Kasten sitzt, in den sie jeweils eine Minute vor Einlass und somit 16 Minuten vor Beginn der Aufführung hineinklettert, geht sie vermutlich genauso konzentriert zu Werke wie die Kollegen, die im Rampenlicht stehen.

Bei ihrer Arbeit ist Multitasking gefragt. Zum einen liest die Souffleurin den Klavierauszug mit, zum anderen verfolgt sie mit Katzenaugen das Geschehen auf der Bühne. Sie schlägt den Takt und gibt den Sängern Einsätze. Und im Ernstfall, also wenn ein Sänger seinen Text zu verlieren droht, spricht sie diesen vor. Die besondere Herausforderung liegt darin, dass dies so deutlich geschehen sollte, dass es der Sänger auf der Bühne hört, es aber zugleich so leise sein muss, dass es der Zuschauer nicht mitbekommt. Wie das funktioniert? „Wichtig sind dabei die Konsonanten. Wenn ich die Konsonanten ganz scharf mache, erkennt das System das Wort“, sagt Heike Preuß. Da sie sich vor den Aufführungen mit den Protagonisten auf der Bühne unterhält, weiß sie, ob der entsprechende Sänger alle Einsätze haben will oder nur an besonderen Stellen auf einen Wink aus dem Souffleurkasten wartet. Solche Passagen werden im Klavierauszug markiert.

Verlängerter Arm des Dirigenten

Man kann die Souffleuse durchaus als verlängerten Arm des Dirigenten bezeichnen. Sie steigt relativ früh im Entstehungsprozess einer Produktion mit ein und ist auch bei szenischen Proben dabei. Zumindest in Bayreuth ist das der Fall, wo den Leuten im Souffleurkasten noch eine hohe Bedeutung zuerkannt wird. Längst nicht mehr alle Opernhäuser pflegen diese Tradition. An der Oper Frankfurt beispielsweise wurden diese Stellen gestrichen.

Das Jahr über arbeitet Heike Preuß an der Komischen Oper in Berlin, wo sie allerdings nicht so ideale Bedingungen vorfindet, wie im Bayreuther Festspielhaus. In dem Haus, an dem „Meistersinger“-Regisseur Barry Kosky Intendant ist, müssen die Souffleure an der Seite der Bühne arbeiten und nicht in der Mitte. Was schon mal zu ungewollten choreografischen Veränderungen führen kann, wenn ein Sänger in der Not plötzlich die Nähe zur Souffleuse suchen muss.

Beste Voraussetzungen

Vor langer Zeit wollte Heike Preuß selbst Sängerin werden und hatte am Vorsingen für einen Opernchor teilgenommen. Es kam nicht zum Engagement, doch sogleich tat sich für die Berlinerin eine andere Tür auf. Sie hospitierte als Souffleuse. Fraglos verfügt sie über ideale Voraussetzungen für diesen Job: Sie kann sich in die Sänger hineinversetzen, kann Klavierauszüge lesen, hat Rhythmusgefühl und spricht mehrere Sprachen.

Schnell erkannte sie, dass man als Souffleuse die Stücke von ganz anderen Seiten kennenlernt, als wenn man „nur“ singt. Mit der Folge: „Ich habe gleich gebrannt für diesen Beruf“, sagt Heike Preuß. Und sie nennt eine wesentliche Grundvoraussetzung für diese dienende Tätigkeit: „Man muss Freude daran haben, helfen zu wollen, ohne selber Lorbeeren einheimsen zu wollen.“

Netz für den Trapezkünstler

Ob man sie als verlängerten Arm des Dirigenten, als Fels in der Brandung oder als „Netz für den Trapezkünstler“ bezeichnen mag – Heike Preuß erledigt ihre Aufgabe mit Hingabe und freut sich auf jede Aufführung. Auch wenn das Stück so heikle Stellen enthält, wie etwa das Quintett in Wagners „Meistersingern“: „Da muss man fünf Augenpaare und fünf Ohren haben.“

Ist der Applaus das Brot des Künstlers, so ist es für Heike Preuß eine freundliche Geste des Sängers, dem sie über die Klippen des Textes geholfen hat, die dieser beim Schlussapplaus in Richtung ihres Kastens richtet. Nach der „Meistersinger“-Aufführung am vergangenen Montag durfte sie so den Dank von Klaus Floria Vogt entgegennehmen. Geradezu geadelt fühlen darf sich die Souffleuse, wenn ihr im rauschenden Publikumsjubel gar Arm des Dirigenten entgegengestreckt wird. Auch Christian Thielemann hat auf diese Weise schon seine Anerkennung bezeugt.

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