Goyo Monteros bezwingende Bilder

Von Frank Piontek

Tanztheater vom Feinsten: In Nürnberg hat wieder mal ein echter Montero-Abend Premiere gefeiert. Was so viel heißt wie: sinnlich, zärtlich, stark - kurz: ziemlich großartig. Unser Rezensent war begeistert und plauderte aus, dass auch Kritiker nicht immer dickhäutig sind.

 
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Wo nimmt der Mann, wo nimmt die Compagnie das alles nur her? Kaum haben sie mit der inzwischen abgespielten wie bejubelten Produktion „Kammertanz“ die Gattung Ballett mit einer originellen Form wenn nicht neu erfunden, so doch gehörig erweitert, setzen sie zum nächsten Schritt an. Diesmal lässt der Chefchoreograph Goyo Montero – dessen Vertrag gerade zur Zufriedenheit aller um fünf Jahre verlängert wurde – seine Tanztruppe mit einer völlig anderen Berufsgruppe des Nürnberger Opernhauses interagieren. Hat man es jemals gesehen, dass ein Tanzabend zusammen mit einem großen Chor gemacht wird? Und dass der Chor, was simpel wäre, hier nicht im Abseits steht, sondern mit den Tänzern eine untrennbare Einheit aus Individuen bildet?

Erinnerung an den Vater

Der Abend heißt „Monade“, er besteht aus zwei Teilen geschaffen von zwei Meistern. Und der zweite ist besonders spektakulär und tief bewegend. Montero hat dieses sein Werk seinem gerade verstorbenen Vater gewidmet; das runde Dutzend Sätze, das er aus 200 Bach-Kantaten herausbrach, ermöglicht ein szenisches Oratorium, das von fern an bekannte Vorbilder erinnern mag, etwa an Uwe Scholz’ Leipziger Bach-Choreographien,

„Monade“ aber ist mit dem persönlichen Stil Goyo Monteros ein Solitär, der seine Themen – das Verhältnis von Individuum und Kollektiv, die Liebe, die Sehnsucht, die Hinfälligkeit, der Abschied, die Trauer und der Tod – auf schier bezwingende Weise ins Bild setzt.

Gänsehaut-Momente

Wenn Tänzer und Sänger – fast allesamt in schlichtem Alltagsschwarz gewandet – einander zwischen den Sätzen „Nun komm der Heiden Heiland“ und „Es ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind“ umarmen, entsteht Gänsehautstimmung. Wenn Oscar Alonso mit Sayaka Kado einen verzweifelten Pas de deux tanzt, weil die Partnerin erst wie entrückt scheint, dann wie tot in die Arme des Partners sinkt, erhält Bachs Metaphysik in der Andeutung eines sakralen Raums etwas Überreligiöses. Wenn das gesamte Ensemble – ununterschieden nach Sängern oder Tänzern – im Kreis läuft und schließlich mit Podesten operiert, um endlich nur noch einen einsamen Mann in der Stille sitzen zu lassen, wird das Begreifliche unbegreiflich und das Unbegreifliche begreiflich. Monteros wild fließende Gruppenbewegungen, aus denen immer wieder einzelne Menschen herausragen, gehorchen wie die zartesten Begegnungen dem Bachschen Rhythmus, ohne auf verdoppelnde Eindeutigkeiten der Bachschen Worte zu setzen.

Am Anfang das Leben

Was bleibt, sind Rätselbilder – und der Zuschauer spürt, dass sich Montero diesmal in besonderem Maß von der extremen Ausdrucksstärke der Musik inspirieren ließ.

Am Ende der Tod, am Anfang das Leben. Mauro Bigonzetti, der 2013 mit seinem unvergesslich vitalen „Cantata“-Fest die Nürnberger Balletomanen begeisterte, erzählt uns zu Beginn des Abends von den zyklisch wiederkehrenden Jahreszeiten des Lebens und der Liebe. Mit einigen Sätzen aus Ottorino Respighis „Antiche Danze ed Aria“ im Gepäck, zitiert er, durchaus hintersinnig, die Tänze und Kostüme der Renaissance und des Barock, um uns Röcke und Korsetts als Blütenkelche und choreographische Gruppierungen als symmetrische Gartenstrukturen zu bescheren. „Antiche Danze“, das ist eine Suite von sublimierten Liebesakten, die im Goldlicht flimmern: zärtlich und kräftig (doch nie obszön), heiter und sanft. Riesenapplaus für die zehn Paare, die den Kreislauf des Lebens und der Liebe so kraftvoll anstimmen – bevor Meister Montero und seine Zaubertruppe uns mit den dunklen Bildern des Glaubens und der Hinfälligkeit beglücken.

INFO: Nächste Vorstellungen: Am heutigen Montag, 19., sowie am 22., 26. und 29. Dezember.