Götterdämmerung: Die Zumutung

Von Florian Zinnecker
Szene aus der Götterdämmerung. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele Foto: red

Ostberliner Momentaufnahmen statt pathosschwerer Mythen: Auch im letzten Jahr seiner „Götterdämmerung“ eckt Frank Castorf bei vielen Zuschauern an. Dass der Abend nicht hundertprozentig gelingt, hat andere Gründe.

 
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Dass sie den Abend nicht mögen werden, steht für viele Zuschauer schon fest, bevor im Orchestergraben die Klarinetten, Oboen, Hörner nebst Basstrompete überhaupt Luft holen zum ersten Ton. Das war auch in den bisherigen Spielzeiten dieser „Götterdämmerung“ schon so; und es gehört zu den Eigenheiten des Grünen Hügels, dass Leute, obwohl sie schon wissen, dass sie’s nicht mögen werden, trotzdem kommen – was ja kein unstrapaziöses und auch kein billiges Vergnügen ist – um dann am Ende lauthals „Buh“ zu rufen, als ließe sich damit etwas anfangen oder ändern.

Von Anfang an dagegen

Andere wissen schon jetzt, dass sie’s großartig finden wollen, aus Castorf-Verehrung oder aus einer so heftig lodernden Liebe zur Musik, dass keine Regie sie erlöschen lassen kann, oder einfach nur aus der Gewissheit, dass für alles andere als Großartigkeit die in Bayreuth verbrachte Zeit und die Eintrittskarten einfach zu teuer gewesen sein würden. Überhaupt ist das eine der größten und interessantesten Fragen, die dieser „Ring“ im Vorbeigehen aufwirft: wann es sich entscheidet, ob ein Abend gut ist oder nicht – vorher, im Verlauf, beim letzten Ton, im Schlussapplaus, oder Tage später?

 

So oder so: Es ist kein Abend, der von einer besseren Welt träumen lässt. Die „Götterdämmerung“ war auch in ihrem fünften Jahr nicht als pathetisches Gleichnis auf die Menschheit erzählt, sondern als zufällige Momentaufnahme aus Berliner Hinterhöfen zur Wendezeit. Voller Rüpelhaftigkeiten, genauso brutal, wie die Musik schon immer war, und darum: vollkommen konsequent. Nur eben nicht schön.

Für oder gegen Castorf - es gibt wenig dazwischen

Und wer diesen „Ring“ über fünf Jahre beobachtet hat, der merkte schnell: Der Schlussstrich unter dieser Produktion ist schon zu einem ungewöhnlich frühen Zeitpunkt gezogen, spätestens im zweiten Jahr, und seither stehen sich die Parteien so unversöhnlich gegenüber wie bei wenigen anderen Bayreuther Produktionen. Die Geschichte dieses „Rings“ ist vor allem die ihres Publikums.

Mit dem ersten Ton, dem berühmten Es-Moll-Akkord, der sich im nächsten Moment sofort auf eine so vollends befriedigende Weise auflöst, dass klar ist: das war jetzt ein bisschen zu einfach, das kann es noch nicht gewesen sein, dieser Musik ist nicht zu trauen – mit diesem ersten Ton hat das schon beschlossene Missfallen kaum zu tun.

Dass es so klappt, ist nicht selbstverständlich

Als der erste Ton aber aus dem Graben steigt, nicht als homogene, überirdische Skulptur aus Klang, sondern an den Rändern ausgefranst und erkennbar zusammengebaut aus ein paar Bläsern, zeigt sich schon: Die „Götterdämmerung“ ist im fünften Jahr auch, aber keineswegs nur ein Abend zum Zurücklehnen und Genießen. Das Sänger-Ensemble singt und agiert mit traumwandlerischer Sicherheit, vor allem Catherine Foster als Brünnhilde und Stefan Vinke als Siegfried, aber auch Stephen Milling als Hagen und Markus Eiche als Gunther. Wie wenig selbstverständlich eine geglückte Vorstellung ist, zeigt sich aber immer wieder im Zusammenspiel zwischen Bühne und Orchester.

Kommt ein Sänger zu spät, kommt er eben zu spät

Vielleicht bräuchte es einfach noch ein, zwei Spielzeiten, bis die Balance in jedem Moment stimmt – in sehr vielen stimmt sie aber jetzt schon, und manche Momente, etwa die heikle Chorstelle mit Hagens Mannen im zweiten Aufzug, das anschließende Rache-Terzett und auch wieder alle Stellen, an denen das Orchester allein ist, dem sehr theatralen Trauermarsch oder dem dicken Ende, und das deutet auf eine andere Ursache hin, eine, die Marek Janowskis Dirigat auf dem Hügel schon vom ersten Tag an umweht: dass ihm Wagners „Ring“ zwar am Herzen liegt, dass die Einladung nach Bayreuth die einzig mögliche Krönung seiner Karriere als Wagner-Spezialist sein mag, dass ihm aber alles, was sich außerhalb des Orchestergrabens abspielt, etwa auf der Bühne, schlichtweg egal ist und auf sein Dirigat keine Auswirkungen hat.

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Steht ein Sänger – wie etwa Catherine Foster als Brünnhilde – im hinteren Teil der Bühne, kommt sie eben zu spät. Kommt ein Sänger – wie etwa Siegfried gleich in mehreren Momenten – auf der Bühne mit den Tempowechseln nicht mit, dann fliegt er eben raus. Alle hier sind Profis genug, um damit umzugehen. Aber von einem Apparat, der zu Perfektion in der Lage ist (und sie diese Saison auch schon gezeigt hat), etwas anderes als Perfektion zu fordern, führt nur zu etwas, was sich an diesem Abend, in dieser Länge und bei dieser Hitze, wirklich niemand leisten kann: Kraftverschwendung.

Ein fordernder "Ring", fürwahr

So viel wie dieser „Ring“ hat noch kein anderer in Bayreuth dem Publikum abverlangt. Wenn es in der „Walküre“ nicht die eine Esche gibt mit dem für Siegmund bestimmten Schwert Nothung im Stamm, sondern Schwert und Baumstumpf an verschiedenen Orten auftauchen, als erkennbares Zeichen: Hey, das Schwert ist egal, das steht auch im Notentext nur als Symbol für etwas ganz anderes. Oder wenn es in der „Götterdämmerung“ am Ende nicht brennt, sondern die Welt sich einfach ungeläutert weiterdreht, also: Wenn die Figuren auf der Bühne in den entscheidenden Momenten nicht der Geschichte folgen, die die Musik erzählt, wenn sie selbst das Gegenteil von dem tun, was sie in dem von ihnen gesungenen Text zu tun behaupten.

Ein Puzzle, das sich noch ordnen kann

Und mit Sicherheit sind Castorf und der Grüne Hügel einander bei aller Sympathie auch deswegen fremd geblieben: weil sich der Grundriss des castorfschen Regiegedankengebäudes – und damit auch seine sperrige Schönheit – oft erst im Nachgang erschließt, wenn man ein paar Details vergessen hat und sich an andere plötzlich wieder erinnert. Wenn sich die vielen Puzzlestücke zu einem Bild zurecht ruckeln.

Das Stammpublikum aber ist daran gewöhnt, dass sich jegliche Spannung spätestens nach fünf Stunden in einem Dur-Akkord entlädt, und fühlt sich um die Befriedigung betrogen. Wer hat nun recht? Das immerhin lässt sich eindeutig sagen: Castorfs Sichtweise wird nicht davon weniger klug, dass sie nicht gemocht wird. Und sie wird davon, dass sie nicht mehr die frischeste ist, nicht falsch. Ob der Grüne Hügel der richtige Ort ist für unbeliebte Ideen, die schon ein bisschen länger liegen? Eher nicht. Für kontroverse Ansätze aber, die handwerklich mit virtuoser Routine inszeniert und in Bühnenbilder übersetzt, die so gewaltig, vielschichtig und beeindruckend sind, dass jedes das Zeug zur Ikone hat: dafür ist der Grüne Hügel genau der richtige Ort. Und es gehört zum Wesen des Castorf-„Rings“, dass er viele Facetten in sich trägt.

Fosters Heldenreise

Catherine Foster macht den letzten „Ring“-Teil zu einer eigenen Heldenreise: Auf den brillanten Beginn folgt vor dem triumphalen Ende erst ein kleiner Anstieg mit menschlichen, fast verletzlichen Momenten. Ähnlich ergeht es Stefan Vinke als Siegfried, der alle Bravourstellen unangestrengt meistert und völlig vergessen macht, welche anderen Siegfriede es in dieser Produktion schon vor ihm gegeben hat. Man muss ja, wenn man den „Ring“ 2017 vergleicht mit anderen Jahren, schon auch ehrlich genug sein, einzugestehen: Die Festspielvergangenheit besteht auch aus anderen Jahren als denen des späten Chéreau-„Rings“.

Marina Prudenskaya macht die Waltrauten-Szene zu einem Glanzstück und vielleicht sogar zum musikalischen Höhepunkt. Großartig Stephen Milling als Hagen, Markus Eiche als Gunther und Allison Oaks als Gutrune.

Castorfs persönliche Premiere

Beim Schlussapplaus treten Castorf und sein Team vors Publikum, die, die seine Arbeit nicht mochten, brauchen ein paar Augenblicke um zu kapieren, wer da vor ihnen steht, dann fangen sie an, „Buh“ zu schreien, das Regieteam verbeugt sich, Castorf steht wie schon in den Vorjahren unbewegt und schaut sich die Buh-Rufer an. Das geht eine ganze Weile so, bald stellt zu den Buh-Rufern eine mindestens ebenso große Anzahl Bravo-Rufer, einige springen von den Sitzen, Buh-Geschrei und Ovationen, das ist die Form der Dialektik, die Castorf vier Abende lang vorgeführt hat. Dann fasst er sich mit großer Geste ans Herz und – eine Premiere – verbeugt sich. Später treten noch mal alle zusammen auf die Bühne, Sänger-Ensemble, Regieteam links und rechts außen, Marek Janowski in der Mitte, es ist der größtmögliche Abstand, interessant ist ja immer auch, wer sich nicht zusammen verbeugt. Nach ein paar Augenblicken stehlen sich Castorf und seine Leute dann seitlich weg. So wichtig ist ihnen das Publikum dann auch nicht.

Das übrige Ensemble bleibt noch eine ganze Weile stehen und genießt den Applaus nach einem Abend, der zeigte, dass auch in einem Haus wie diesem eine Oper keine Maschine ist, die man nur einschalten muss, und dann läuft sie von allein.

Sondern Kunst.

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