Filmfestival Halbzeit in Locarno: Politische Themen dominieren

Von Peter Claus,
Rabah Ameur-Zaimeche, Regisseur aus Algerien, nimmt an einem Fototermin für seinen Film «Terminal Sud» bei dem 72. Internationalen Filmfestival teil. Foto: Urs Flueeler/KEYSTONE/dpa Quelle: Unbekannt

LOCARNO. Filme zu politischen Fragen haben die erste Hälfte des 72. Internationalen Filmfestivals im schweizerischen Locarno dominiert. Im Hauptwettbewerb um den Goldenen Leoparden sticht der deutsche Spielfilm «Das freiwillige Jahr» heraus. Denn die Regisseure Ulrich Köhler und Henner Winckler spiegeln in ihrem Vater-Tochter-Drama den Werteverlust in der bürgerlichen Gesellschaft nicht vordergründig. Sie setzen auf künstlerische Originalität. Das macht ihren Film zu einem der Leoparden-Kandidaten.

 
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Stärkster Konkurrent ist momentan ein Spielfilm, der mit finanzieller Beteiligung aus Deutschland realisiert wurde: der brasilianisch-französisch-deutsche Spielfilm «A Febre» («Fieber») von Regisseurin Maya Da-Rin aus Brasilien. Auch ihr Porträt eines indigenen Arbeiters zwischen Anpassung und Aufbegehren offeriert scharfe Gesellschaftskritik nicht plump, sondern formal fesselnd und emotional packend.

Beeindruckt hat daneben «Yokogao» («Ein Mädchen wird vermisst») von Regisseur Koji Fukada aus Japan. Stilistisch überaus artifiziell, dabei aber publikumswirksam, beleuchtet er mit der Geschichte einer in den sozialen Medien geächteten Frau die Schattenseiten der modernen Kommunikation. Auch dies ist ein Anwärter auf den Goldenen Leoparden.

Die drei Favoriten zeichnet aus, dass sie politisches Engagement und eine künstlerisch interessante Form wirkungsvoll vereinen. Damit genügen sie dem Anspruch der neuen Festivalchefin Lili Hinstin: Sie setzt auf ein Kino, das dem Bedürfnis vieler Zuschauer nach Spannung entspricht, dabei aber den gestalterischen Anspruch nicht vernachlässigt.

Der einzige Dokumentarfilm im Wettbewerb, die syrisch-schweizerische Produktion «Fi al-thawra» («Während der Revolution») von Maya Khoury, fand ein geteiltes Echo. Denn die Regisseurin setzt zum Verständnis der Chronik des Lebens in Syrien zwischen 2011 und 2017 viel Wissen voraus. Das erschwert den Zugang. Wer den jedoch findet, erfährt eindringlich, wie der Traum von Frieden in der Heimat der Künstlerin zermalmt wurde.

Die Jury, in der nach Absage der deutschen Regisseurin Angela Schanelec nun ihre Landsfrau und Kollegin Valeska Grisebach («Western») mitarbeitet, hat schon jetzt die Qual der Wahl. Und es ist zu erwarten, dass in der zweiten Festival-Halbzeit weitere Leoparden-Kandidaten dazukommen. Insgesamt bewerben sich 17 Filme aus aller Welt. Wer ausgezeichnet wird, geben die fünf Juroren am Abend des 17. August bekannt.

Auf der Abschluss-Gala wird auch der begehrte Publikumspreis überreicht. Über ihn entscheiden die Besucher der abendlichen Aufführungen unterm Sternenzelt für Tausende Zuschauer. Hier laufen nur Filme, die ansonsten nicht im Wettbewerb vertreten sind. Die meisten Zuschauer hat in diesem Jahr bisher «Once Upon a Time in Hollywood» von Kult-Regisseur Quentin Tarantino (USA) angelockt. Fast zehntausend Menschen wollten den Film sehen.

Daraus zu schließen, dass die Saga über die Scheinwelt Hollywoods den Publikumspreis gewinnt, wäre allerdings voreilig. Denn der am Donnerstag in Deutschland anlaufende Spielfilm hat in Locarno neben viel Beifall auch einige Ablehnung erfahren.

Vielleicht gelingt es ja dem deutschen Regisseur Patrick Vollrath mit seinem Spielfilmdebüt, dem Action-Thriller «7500», den Hollywood-Giganten Tarantino auf Platz zwei zu verweisen. Verdient wär's. Denn Vollrath bietet, Locarno perfekt entsprechend, neben Unterhaltung auch einiges zum Nachdenken über den Zustand der Welt.

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