Faustfestspiele-Start: "Ein Rundumschlag gegen alles"

Von Michael Weiser
Kostümprobe für die Faust-Festspiele in Pegnitz: Daniel Leistner in einer Szene aus "In der Hölle wird gescheuert". Foto: Ralf Münch Quelle: Unbekannt

PEGNITZ. Am Mittwochabend beginnt sie, die zweite Saison der Faust-Festspiele in Pegnitz, mit der Komödie „In der Hölle wird gescheuert“ frei nach Grabbe. Dann folgen Goethes „Faust“ und Shakespeares „Hamlet“. Wir sprachen mit ihm, über Jugendwerke von Autoren, die jung sterben, seine ganz spezielle Sicht auf einen gar nicht so zweiflerischen Hamlet und die Herausforderung, den Witz in manchen Stücken zu tunen.

 
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Sie beginnen die Saison am Mittwoch mit einer Komödie eines Autors aus dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, der nicht mehr so wahnsinnig oft gespielt wird. Warum so eine ungewöhnliche Wahl?

Daniel Leistner: Christian Dietrich Grabbe ist einer, den ich mehr mag als Goethe. Das ist einer wie Georg Büchner. Das waren junge Leute, die wurden nicht alt, die waren verrückt. Grabbe wollte schreiben wie Shakespeare, der schrieb große Volksszenen. Was wir aufführen, ist im Grunde ein Jugendwerk, da hat er sich seinen Ärger über die Epigonenliteratur, über diese Liebesschmonzetten, diese Schauer-und Ritterromantik vom Leibe geschrieben.

„In der Hölle wird gescheuert“ heißt das Stück in Ihrer Fassung. Um was geht’s denn da?

Leistner: Es ist ein Rundschlag gegen alles, vor allem aber gegen die Konvention. Der Held ist lieb, aber stockhässlich, so dass alle umfallen, die ihn sehen, der Schulmeister ist dauernd besoffen und das Gegenteil von einem Pädagogen, der Dichter kann nicht dichten. Und der Teufel langweilt sich und zettelt eine Intrige an, die vollkommen unnötig ist. Es gibt eine große Saufszene, das ist richtiger Studentenhumor. Aber es gibt auch Brechungen. Da steigen Leute aus ihren Rollen und wenden sich ans Publikum, Grabbe taucht selber auf und wird beschimpft. Es war zu klamaukig für seine Zeit und ist damals nie ein Kracher geworden, es ist aber trotzdem das Stück, das heute am meisten gespielt wird. Es war am Ende irgendwo ein armer Typ und hat den Schnaps aus Gießkannen getrunken.

 

Stücke bis zur Kenntlichkeit entstellen

Es gibt Leute, die haben regelrecht Angst vor Kultur. Wie wollen Sie die nehmen?

Leistner: Na ja, ich mach das schon seit zwanzig Jahren. Wie das funktioniert, glaubt man nicht, wenn man es nicht gesehen hat. Die Leute glauben ja, man muss da drei Stunden im Theater sitzen und einen Text anhören, den man nicht versteht. Das machen wir nicht. Ein Kritiker hat mal geschrieben, ich hätte ein Stück bis zur Kenntlichkeit entstellt. Das begreife ich als Lob. Ich konzentriere mich auf die Handlung, anders als andere Regisseure, die erstmal fragen, was hab ich für ein Problem und wie verhandeln wir das auf der Bühne? Ich habe kein Problem. Ich will wissen, was mir der Dichter sagen will. Ich entkerne es, bis ich zur Geschichte vorgestoßen bin. Und dann überlege ich, wie ich das erzähle. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich Worte verändere und erklärende Sachen dazuschreibe. Ein ausländisches Stück gewährt mir da noch mehr Freiheiten – wie bei Shakespeare. Ich gebe den in einer Alltagssprache wieder, um die Geschichte zu erzählen mit allem, was wichtig ist. Ich schreibe alles nochmal und kürze beim Schreiben. Ich will die totale Textverständlichkeit, bis die Leute drinsitzen wie im Kino: Hui, das ist spannend, wie geht’s denn weiter?

 

"Auf Englisch versteht man Shakespeare besser"

Sie haben eine eigene Fassung geschrieben. Wie sind Sie da herangegangen?

Leistner: Ich übersetze alles selber. Bei den Sprachen, die ich nicht so gut spreche, suche ich mir jemanden. Eine französische Freundin hilft mir zum Beispiel bei Moliére. So finde ich einen eigenen Ton, der relativ normal klingt, der den Zuschauern vertraut vorkommt.

Wie sieht das konkret aus?

Leistner: Erst lese ich's mal in verschiedenen deutschen Fassungen. Bei Shakespeare ist es übrigens so: Auf Englisch versteht man ihn manchmal besser. Jedenfalls: Regiedinger draufzudrücken, das ist nicht meins. Wenn im Text vom „Sturm“ über den Caliban steht, er sehe aus wie halb Fisch, halb Katze, dann frag ich mich: Wie sieht das gut aus, halb Fisch, halb Katze?

Shakespeare ist manchmal reich an Zoten. Wie haben Sie's gehalten?

Leistner: Nun ja, ein bisschen transportiere ich das. Ich will's aber nicht übertreiben. Wenn Hamlet zum Beispiel Ophelia anmacht, dann hört sich das so an: Darf ich mich zwischen deine Beine legen? Dann sie: Neee. Und er: An deine Beine? Sie: Vielleicht.

Sie wollen witzig unterhalten. Wie gehen Sie da ran? Im Team?

Leistner: Ne, das mach ich allein. Ich bin ein lustiger Typ, hab früher Comics gezeichnet. (Kompagnon Uwe Vogel setzt ein: „Ich bringe ihn nicht zum Lachen, nur zum Weinen.“) Die Witze fallen einem schon ein. Mehrere Jahre arbeite ich an drei, vier, fünf Stücken gleichzeitig. Da ergibt sich einiges, was man auch in anderen Stücken verwenden kann. Und wenn du bei „Viel Lärm um nichts“ an der Figur des Wachtmeisters arbeitest, der abenteuerliche Fremdwörter sinnfrei verwendet, dann fallen dir irgendwann schon noch ein paar Sachen ein, die er gesagt haben könnte. Ich glaube nicht, dass ich damit gegen Shakespeares Geist arbeite. Er hat zum Ende des „Hamlet“ hin die Angelegenheit selber witzig aufgelöst.

Auf dem Kirchhof, als Hamlet den Schädel des Hofnarren Yorick aufklaubt und sich dessen längst vergangener Späße erinnert. Mit dem Tod hat der Spaß endgültig ein Loch.

 

"Ich bin ein Regisseur, der sein eigener Dramaturg sein muss"

Leistner: Ja. Da muss man drinstecken, sonst fällt einem so ein Zeug nicht ein.

Wann fallen einem Scherze zu einer Tragödie wie „Hamlet“ ein?

Leistner: Beim Schreiben. Beim Kürzen kommt dann auch noch dazu, wie ich dem Zuschauer die Story vermitteln, wie ich ihn fesseln und dennoch am Original bleiben kann. Dazu ist es wichtig, dass ich die Bühne kenne, und am besten noch ein paar der Schauspieler, für die ich die Fassung schreibe.

Weil Sie dann wissen, welche Worte derjenige durch sein Spiel ersetzen kann oder wo es vielmehr eines Wortes der Erklärung bedarf?

Leistner: Ganz genau. Ich schreibe gern, ich habe früher auch schon geschrieben. Ich bin ein Regisseur, der sein eigener Dramaturg sein muss.

Und sein eigener Hauptdarsteller. Hamlet ist ein Prinz, mithin ein junger Mann. Mit Verlaub, das sind Sie nicht mehr so ganz.

Leistner: Das wird durch Schauspiel wettgemacht. Es kommt drauf an, wie man die Figur anlegt. Es ist alles Interpretation. Wenn du nur einfach die Bühne betrittst und dabei auf den Boden starrst, dann ist das schon – Interpretation. Man braucht Frische, Spritzigkeit, dann wird die Bühnenfigur so angelegt, dass sich die Frage nach dem Alter nach wenigen Minuten nicht mehr stellt. Ich werde mir die Haare jedenfalls nicht färben. Ich sehe ihn übrigens nicht als Zweifler.

 

"Der Monolog eines Mannes, der seines Lebens überdrüssig ist"

Nicht? Wie dann?

Leistner: Na, so wahnsinnig skrupulös ist er nicht. Er bringt schon auch Leute einfach so um. Er spielt ein Spiel. Deswegen heißt das Stück im Stück „Die Mausefalle“. Dieses Stück im Stück ist ein Zeichen, dass er da sein eigenes Spiel mit Claudius inszeniert. Er hat das, was man auf Französisch Ennui nennt, diese gelangweilte Haltung zum Leben, dieses Angewidertsein. Sein Selbstgespräch über „Sein oder Nichtsein“, natürlich ist das ein Selbstmordmonolog. Aber nicht der Monolog eines Verzweifelten, sondern eines Mannes, der des Lebens überdrüssig ist.

Aus keinem Drama sind mehr Wendungen in die Alltagssprache eingegangen wie aus dem „Hamlet“. Ihr Lieblingszitat bitte!

Leistner: Das kann ich gar nicht sagen. Das berühmteste ist natürlich „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“. Da habe ich massiv eingegriffen. Die ersten zwei, drei Zeilen des Monologs, ja, die spreche ich, aber dann lege ich das Buch weg, mit dem ich reingekommen bin. Und spreche den Monolog so weiter, dass man ihn heute versteht. Ich klebe nicht am Text. Meine Übersetzung ist sehr frei. Weil ich vermitteln will: Die Story ist sauspannend, die ist atmosphärisch dicht, die wird euch packen.

Angesichts der Zustände in der Politik, in der Wirtschaft, in der Arbeitswelt könnte man sagen: „Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode“.

Leistner: Ja, das ist wirklich ein starkes Zitat. Und es stimmt. Wir sind in den 70er, 80er Jahren aufgewachsen. Über was wir uns damals aufgeregt haben: Oje.


Info: Die Premiere von „In der Hölle wird gescheuert“ mit anschließendem Fest ist am Mittwoch um 20 Uhr. Es folgen am Sonntag, 22. Juli, „Faust“ und am Mittwoch, 1. August, „Hamlet. Karten unter anderem beim Nordbayerischen Kurier und an der Theaterkasse.