Seidl erstattete sein Gutachten in dem Fall am achten Verhandlungstag am Freitag. Er hatte auch das Gutachten der Rechtsmedizinerinnen aus Spanien einzubeziehen und zu bewerten. Dort war Sophia Lösches Leichnam am 21. Juni 2018 in einem Gebüsch nahe einer Tankstelle Vitoria-Gasteinz gefunden worden. Wie auch die spanischen Kolleginnen, stellte Seidl fest, dass der Schädel des Opfers durch mehrere Schläge zertrümmert worden war. Für die linke Kopfseite konnte Seidl mindestens vier Schläge feststellen, für die rechte Kopfseite mindestens einen.

Sophias Verletzungen passen zum Radmutterschlüssel

Wobei dieses „mindestens“ nichts besagt, denn: Der Leichnam des Opfers war schon stark verwest, die Weichteile über der Schlagstelle rechts bereits verschwunden. Auf der linken Seite fanden sich noch passende Schlagspuren in der Kopfhaut. Der Interpretation seiner spanischen Kolleginnen, die Verletzungen seien möglicherweise durch unterschiedliche Werkzeuge verursacht worden, konnte Seidl sich nicht anschließen. Beide Verletzungen können seiner Ansicht nach zwanglos auf den vom Angeklagten Boujeema L. als Tatwerkzeug beschriebenen Radmutterschlüssel zurückgeführt werden.

Sophia muss stark geblutet haben

Seidls Interpretation der Schläge: Das Opfer starb in kurzer Zeit, Schmerzen dürfte Sophia Lösche wenig gespürt haben, denn aufgrund der Massivität der Schläge war die junge Frau schnell bewusstlos. Der Behauptung des Angeklagten, er habe nach einer ersten Schlagfolge kein Blut gesehen, widersprach Seidl. Sophia Lösche müsse stark geblutet haben. Auch die Einlassung des Angeklagten, er habe Sophia Lösche in einer zweiten Tatphase erneut geschlagen, weil die junge Frau den Kopf gehoben und versucht habe, ihn zu packen, ist für den Rechtsmediziner nicht möglich. Jeder einzelne der Schläge gegen den Schädel habe für sich genommen das Opfer bewusstlos und regungslos gemacht.

Ein Fehler, der eine Schreckenstheorie nährt

In seinem Gutachten erläuterte der Rechtsmediziner auch Erwägungen zum Todeszeitpunkt. Die Obduzentinnen in Spanien hatten in ihrem Gutachten den 16. oder den 17. Juni als „frühesten“ Todeszeitpunkt bezeichnet. Die Berechnung erfolgt üblicherweise anhand des Entwicklungsstadiums von Fliegenmaden. Das Adjektiv „frühestens“ war es, was die Schreckenstheorie der Angehörigen genährt hatte – und es war ein Fehler. Seidl betonte, er habe die spanischen Kolleginnen darauf hingewiesen und diese hätten beteuert: Ja, anstatt „frühestens“ müsse es „spätestens“ heißen. Wie berichtet, hatten die spanischen Obduzenten in ihrer Videovernehmung am 31. August den 14. und 15. Juni als Todeszeitpunkt als genauso möglich bezeichnet.

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Dass die Rechtsmedizin hier nicht genauer sein kann, liegt laut dem Erlanger Gutachter am fortgeschrittenen Verwesungszustand des Leichnams. Das Gehirn zum Beispiel sei bereits zerstört gewesen, ebenso innere Organe. Dass die Haut des Leichnams in vergleichsweise gutem Zustand war, liege wohl daran, das Sophia Lösche in Plastikmülltüten verhüllt transportiert worden war. Wie lange? Der Angeklagte behauptet, er habe an einem Rastplatz in Südfrankreich derartige Mülltüten aus öffentlichen Behältern genommen. Jenen Rastplatz hatte der Bruder der Getöteten, Andreas Lösche, bislang immer als den wahren Tatort im Auge.

Vergewaltigung nicht nachweisbar

Doch was soll in der Zeit vom 14. bis zum 17. Juni, als der Laster des Angeklagten an dem Rastplatz in Südfrankreich parkte, mit Sophia Lösche geschehen sein? Eine Vergewaltigung? Nicht nachweisbar. Prof. Seidl bestätigte, dass im Körper von Sophia Lösche kein Sperma gefunden worden sei. Er betonte dabei, derartige Spuren seien in den Körpern toter Frauen weit länger feststellbar als bei Lebenden. Und: Eine Fesselspur, die zu Lebzeiten gesetzt worden sein könnte, fand sich nicht. Der Angeklagte hatte ausgesagt, er habe das Opfer nach den Schlägen deshalb gefesselt, weil er so weniger Mühe hatte, den Körper in die obere Schlafkoje zu hieven. Tatsächlich zeige die kriminalistische Erfahrung aus anderen Fällen, dass Täter Leichen fesseln, um sie besser verschaffen zu können. Bei einer Befragung des Angeklagten durch den Gerichtsvorsitzenden Bernhard Heim berichtete Boujeema L., dass er sehr leicht reizbar sei. Seine Ehefrau zum Beispiel habe er mit dem Messer verletzt, weil sie ihm keinen „Respekt“ gezeigt habe.

Die Persönlichkeit des Angeklagten soll am kommenden Montag zum Abschluss der Beweisaufnahme von einem Psychiater beurteilt werden.