Ethische Seite der Digitalisierung

Wertvolle Daten: Eine Gesundheits-App kann Leben retten. Doch in der digitalen Welt ist auch Sensibilität im Umgang mit Daten nötig. Foto: Adobe Stock Photo Foto: red

Frank Esselmann ist Partner bei der Concern GmbH. Das Unternehmen wurde von dem Bayreuther Unternehmensethik-Professor Alexander Brink gegründet und berät Firmen in Fragen des ethischen und nachhaltigen Managements. Ein Gespräch über Chancen und Risiken der Digitalisierung.

 
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Herr Esselmann, Sie sind Mathematiker und beraten Firmen in unternehmensethischen Fragen. Wie passt das zusammen?

Frank Esselmann: Zumindest nicht so, wie es das Klischee des rein systemkritischen Wirtschaftsethikers erwartet. Ich glaube vielmehr, dass die klassische, gewinnorientierte Wirtschaft primär dafür verantwortlich ist, dass es uns so gut geht wie noch nie. Und das sehe ich auch in ganz weiten globalen Zusammenhängen. Was ich allerdings kritisiere, ist Kurzfrist-Management, also das Hinterherlaufen hinter einer kurzfristigen Gewinnmaximierung. Diese schnelle Taktung ist weder für die Mitarbeiter eines Unternehmens noch für die Kunden gut. Denn: Kunden zufrieden zu machen, ist eine Aufgabe für kluges Langfrist-Management. Nur so finden Unternehmensethik und unternehmerischer Erfolg zusammen.

Aber wird das Agieren in der Wirtschaft durch die Digitalisierung nicht zunehmend beschleunigt – und läuft Ihrem Managementansatz entgegen?

Esselmann: Als Mathematiker treibt mich die Analytik um. Deshalb sehe ich vor allem das Potenzial von datenbasierten, analytischen Steuerungssystemen, künstlicher Intelligenz und Data Mining. Damit kann man viele spannende Dinge tun. Die Frage ist nur: Was sollte man damit nicht tun? Mit Daten kommt man heute sehr nahe an die Menschen ran. Insofern muss man sich natürlich mit der Frage der Grenzen beschäftigen. Wer beim Sammeln der Daten als Unternehmen zu weit geht, riskiert, das Vertrauen seiner Kunden zu verlieren.

Wenn man zu tief schürft und zu viele, möglicherweise sensible Daten sammelt und auswertet?

Esselmann: An diesem Punkt wird die Diskussion interessant. Denn gerade mit sensiblen Daten lassen sich tolle Sachen machen. Noch bevor jemand einen Herzanfall bekommt, kann er möglicherweise durch die gesendeten Daten seiner Gesundheits-App am Leben erhalten werden. Oder Menschen werden informiert, wenn sich Werte verschlechtern und sie zum Arzt gehen sollten. Das zeigt: Die Problematik ist nicht alleine durch die Frage beschrieben, auf welche Daten zugegriffen wird. Sie müssen mit dem Nutzen gepaart sein – und dazwischen braucht es einen mündigen, aufgeklärten Verbraucher, der selber steuern kann, was er von sich preisgeben will. Wenn man adäquate Daten für einen guten Nutzen und steuernde, informationell selbstbestimmte Verbraucher zusammenbringt, dann halte ich die Digitalisierung für einen unglaublichen Segen.

Aber im Hier und Jetzt haben die Menschen doch eher noch das Gefühl, dass ihre Daten für banale Werbezwecke missbraucht werden.

Esselmann: Wenn Unternehmen die Daten überwiegend für die Optimierung ihrer Zielgruppen-Ansprache verwenden, dann nervt das natürlich irgendwann. Ich glaube aber, dass die Zeiten, in denen die Verbraucher das einfach über sich ergehen lassen, bald vorbei sind. Die Menschen werden zunehmend sensibel für Datenmissbrauch, einfach weil die Daten immer näher an ihr Leben kommen. Beispiel Bewegungsdaten: Sie sagen unglaublich viel über unsere privaten Lebensgewohnheiten aus und lassen Rückschlüsse zu, die über das eigentliche Bewegungsprofil weit hinausgehen.

Setzt das nicht voraus, dass die Menschen ihre Sorglosigkeit im Preisgeben eigener Daten – wie es ja gerne der jüngeren Generation nachgesagt wird – aufgeben?

Esselmann: Das wird spätestens nach den ersten großen Skandalen ins Bewusstsein rücken. Und ich schätze, dass dieser Prozess in der digitalen Welt deutlich schneller gehen wird. Denn hohes Tempo ist ja das Kennzeichen der digitalen Entwicklung. Es gibt viele Branchen, die vom Verbrauchervertrauen abhängig sind. Doch einen Vertrauensverlust wieder wettzumachen, kostet entweder sehr viel Geld oder ist manchmal schier unmöglich.

Zur informationellen Selbstbestimmung gehört natürlich auch, überhaupt zu wissen, wann ich welche Daten in welchem Umfang weitergebe. Doch wer weiß das schon.

Esselmann: Es gibt ja das geflügelte Wort: Wenn man im Internet etwas umsonst bekommt, dann ist man nicht der Kunde, sondern das Produkt. Die Leute erhalten viele Services, wenn sie ihre Daten freigeben. Auf WhatsApp-Nachrichten muss man eben kein Porto mehr draufkleben, sondern man bekommt das geschenkt. Deshalb ist gut nachvollziehbar, dass die Menschen diese Geschenke annehmen – solange es keinen ganz offensichtlichen Missbrauch der Daten gibt. Hier setzt die Aufklärungs- und auch Befähigungspflicht der Unternehmen ein; digitale Selbstbestimmung ist hier das Stichwort.

Die digitalisierte Welt bereitet uns eine große Komfortzone, in der wir über unsere Endgeräte nur noch die Impulse setzen – aber immer weniger selber tun. Raubt uns das Virtuelle nicht zunehmend die sinnliche Erfahrung des Realen?

Esselmann: Das ist eine sehr zentrale ethische und auch komplexe Frage. Wenn man betrachtet, was die Digitalisierung an Werten bringen kann – steigende Lebenserwartung, Gesundheit, Komfort –, dann ist das zunächst eine positive Bilanz. Was Sie ansprechen, betrifft den Punkt der Selbstwahrnehmung und der Autonomie in der digitalen Welt. Ich stimme zu: Das Tun, das Leben in unserer Welt, das ist unsere natürliche Intelligenz, die unsere Wahrnehmung formt – im Unterschied zu der künstlichen Intelligenz. Die Frage ist nun: Werde ich passiver oder werde ich aktiver?

Was glauben Sie?

Esselmann: Ich halte die Digitalisierung für einen Beschleuniger, der die Aktiven noch aktiver und die Passiven noch passiver macht. Aktivitäts-Armbänder können einem heute mit erhobenem Zeigefinger im Display sagen, ob man in der letzten Zeit seine Joggingstrecke verkürzt hat. Insgesamt ist die Quantified-Self-Bewegung ja ein sehr großer Trend. Und das ist nicht nur eine Randgruppe, die so etwas macht. Die werden zumindest physisch aktiver. Gleiches wird auf der sozialen Ebene passieren: Menschen, die gerne Kontakte suchen, haben durch die digitale Vitalisierung ein noch größeres Spielfeld. Denjenigen, die vielleicht schon immer Kontaktschwierigkeiten hatten oder gar nicht so erpicht darauf waren, denen wird es leichter gemacht, sich rauszuziehen. Das ist bei der Digitalisierung sozusagen Fluch und Segen zugleich.

Das Gespräch führte Michael Ertel

Autor