Ein Weltstar im Zwiespalt

Von Michael Weiser

Zu den bemerkenswerten neueren Büchern der Festspiel-Literatur gehört „Frida Leider – Eine Sängerin im Zwiespalt ihrer Zeit“. Wir sprachen mit Autorin Eva Rieger über den Weltruhm Frida Leiders, über Anpassung und Karriere, über Scham und Scheidung und über das Los einer Frau, die nicht zum Helden, aber zum Menschen taugte.

 
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Ihr Buch über Frida Leider haben Sie mit „eine Sängerin im Zwiespalt“ überschrieben. Wo sehen Sie den Zwiespalt dieser doch unumstritten großen Sängerin?

Eva Rieger: Den Zwiespalt sehe ich darin, dass sie einerseits als Wagner-Sängerin sehr stolz war, in Bayreuth zu singen. Das Festspielhaus galt damals als das Opernhaus für Wagner schlechthin. Gleichzeitig geriet sie mit dem jüdischen Ehemann in politische Querelen, die letztlich ihren Rauswurf verursachten. Sie hätte sich scheiden lassen können, und ihr Mann hatte ihr das sicher auch geraten. 1943 hat sie sich dann scheiden lassen. Doch bis dahin hat sie zu ihrem Mann gehalten, lange über den Punkt hinaus, da man sie aus den Festspielen rausgeworfen hatte.

Tietjen hat Frida Leider enorm enttäuscht

Ausgerechnet Heinz Tietjen, der Intendant der Festspiele, hat ihr aber nach dem Krieg moralisches Fehlverhalten vorgeworfen.

Rieger: Die Feindschaft zwischen Tietjen und Frida Leider war groß, weil Tietjen gemeint hat, die beiden, Frida Leider und ihr Mann, hätten sich Wilhelm Furtwängler gekrallt und ihn gegen Tietjen eingenommen. Tatsächlich hat es Furtwängler nach 1945 abgelehnt, für Tietjen zu dirigieren. Tietjen hat Frida Leider daraufhin alles Schlechte nachgesagt, was er nur erfinden konnte, einschließlich der angeblichen Tatsache, dass sie über Furtwänglers Dirigat gespottet habe. Das konnte ich als falsch nachweisen, weil sie sich in einem Brief zu jener Zeit ganz im Gegenteil begeistert über Furtwängler geäußert hat. Wir wissen, dass Tietjen gerne Geschichten erfunden hat. Tietjen hat ja auch Frida Leider enorm enttäuscht. Ihr gegenüber hat er immer versichert, dass er sich bei Göring für sie verwende. Als sie aber persönlich zu Göring gegangen ist, stellte sich raus, dass ihr Göring mitnichten helfen wollte.

Bayreuth war Hitlers Lieblingskind

Vielleicht hat Göring aber auch einfach nicht auf Tietjen gehört. Ohnehin erstaunlich, wie der als Sozialdemokrat in der NS-Zeit seine mächtige Stellung halten konnte.

Rieger: Seine mächtige Stellung in Bayreuth hat ihm einen gewissen Schutz gewährt, bei Hitler, aber auch gegenüber Goebbels. Und was seine Mitgliedschaft in der SPD betrifft – Sozialdemokrat war er eine Zeit lang. Aber ich habe auch seine Rede zu Görings Geburtstag studiert – grauenhaft, was er da von sich gibt. Er hätte Bayreuth sein lassen, sich auf Berlin konzentrieren können. Aber das war ihm wohl zu wenig.

Tietjen, ein typischer Karrierist?

Rieger: Er war ein Wendehals, der sich nach den Verhältnissen gerichtet hat. So hat er auch eine Kündigungsliste zur Deutschen Oper erstellt, ganz brav, hat jüdische Künstler aussortiert oder Künstler in Mischehen – da war auch Frida Leider dabei. Er hatte seinen eigenen Gestaltungsraum, wusste allerdings nicht, wie lange er den haben würde. Die Nazis hatten ihre Gesetze verschärft, er stand unter Druck, weil ein Verfahren gegen ihn lief. Er saß zwischen den Stühlen, hat aber auch wirklich alles getan, um seine Karriere zu retten. Ich will nicht richten – aber ich sehe ihn ziemlich negativ. Ich würde ihm dennoch zubilligen, dass er sich in einer schlimmen Krise befand. Und er war ein großartiger Künstler. Ich habe unter seinem Dirigat eine „Ariadne“ gehört, die mich bis heute begeistert. Die Lobeshymnen damals sind zu Recht gesungen worden. Aber Frida Leider gegenüber hat er sich nicht anständig verhalten.

Es war auch Winifred Wagner, die Tietjen im Amt hielt. Warum hörte Hitler auf sie?

Rieger: Weil Bayreuth für ihn ein Lieblingskind war. Er ist schon in den frühen zwanziger Jahren nach Bayreuth gekommen, hat sich die historischen Räumlichkeiten angeschaut, für mich ist er fast ein Erfüllungsgehilfe von Wagners antisemitischen Phantasien. Ich bin sicher, er kannte alle Schriften. Er kannte auch die Opern auswendig, konnte korrigierende Anmerkungen machen, kannte jeden Takt. Er war ein begeisterter Anhänger der Ideen Wagners.

Winifred Wagner konnte Künstler halten

Wenn Hitler so viel Anteil an Bayreuth genommen hat, ist es um so überraschender, wie lange manche Künstler dort wirken konnten.

Rieger: Das ist das Geschick von Winifred. Die hat immer gesagt, die Leistung muss stimmen. Gegenüber dem Ausland sind wir besonders gefordert, dass wir die weltbesten Inszenierungen zeigen, die weltbeste Musik in Bayreuth zu hören ist. Und dafür war Tietjen wichtig, der für diesen hohen Standard zuständig war. Für Frida Leider wurde denn auch eine Nachfolgerin aufgebaut, Martha Fuchs. Die wurde richtiggehend für diese Nachfolge trainiert, ich nehme an, das lief über Tietjen.

Aus welchem Holz muss man geschnitzt sein, um unter diesem Druck noch Leistung zu bringen, so wie Frida Leider und ihr jüdischer Ehemann?

Rieger: Das frage ich mich auch. Sie und ihr Mann einigten sich auf Anpassung und Unterordnung. „Wir haben entschieden, uns einfach anzupassen“, so schilderte es offensichtlich Frida Leider. Ich konnte mit Peter Sommeregger sprechen (Vorsitzender der Frida-Leider-Gesellschaft, Anm. der Red.), der noch mit der Haushälterin der beiden gesprochen hatte. Sie hat sich für Politik demnach keinesfalls interessiert, sie hat alles verdrängt. Wie er damit umging – das weiß man nicht. Sie hat sich eingerichtet und auf das Ende des Krieges gewartet. Der Begriff der inneren Emigration wird oft benutzt, um den Mangel an Zivilcourage zu verdecken.

Sie hat überhaupt nicht nachgedacht

Zeigte Frida Leider einen Mangel an Zivilcourage?

Rieger: Das ist die Frage. Dass sie gebeten hat, im Ausland singen zu dürfen, in besetzten Ländern, das zeigt, dass sie überhaupt nicht nachgedacht hat. Schlimm ist das, wie konnte sie das machen, selbst Furtwängler hat sich da meistens rausgehalten. Sie hätte emigrieren müssen, das sagte Dagny Beidler (Wagner-Urenkelin aus dem Stamm von Richards Lieblingskind Isolde, Anm. der Red.). Aber da war diese finanzielle Abhängigkeit, sie musste ja Deman unterstützen. Und so sang sie in Italien, und dann fuhr sie in die Schweiz und brachte ihm Geld.

Und dann war der Krieg zu Ende, und Wieland Wagner bat sie um ein entlastendes Urteil für das zu erwartende Entnazifizierungsverfahren. Warum hat sie‘s ihm verweigert?

Rieger: Aus gutem Grund. Er war ein überzeugter Nazianhänger. Das ist in den Briefen klar geworden, die ich studieren konnte. Sie lassen nur diesen Schluss zu. Noch 1944 fuhr er zu Hitler, um mit ihm zu planen, was man 1945 inszenieren könnte. Der musste das total kaputte Land auf der Reise nach Berlin gesehen haben! Man fasst sich an den Kopf.

Es gab keine Stunde Null

Und danach machten alle weiter. Auch Tietjen stand fast sofort wieder in Amt und Würden...

Rieger: Man kann sagen: Es gab keine Stunde Null. Man hat die Leute kurz entnazifiziert, und wenn man sie brauchte, hat man sie genommen. Man war froh, schnell zur Normalität zurückzukehren. Bei Tietjen gibt es viele Facetten. Es gibt noch keine Dissertation zu ihm. Das müsste jetzt passieren, um seine Verwerfungen abbilden zu können.

Sein Lebenslauf war auch nur typisch fürs Verdrängen.

Rieger: Ja. Wie bei Frida Leider auch. Die wollte singen, unbedingt, und wer merkt, dass die Stimme langsam nachlässt, kann vielleicht nicht abwarten. Das wichtigste sei Singen. Das sagt sie wiederholt.

Deman und Frida Leider haben danach noch zusammengearbeitet. Wieder geheiratet haben sie nicht mehr. Aus Scham?

Rieger: Das denke ich, ja.

Sie war ein liebenswerter Charakter

Sie gilt dennoch als Jahrhundertsängerin. Wie würden Sie sie charakterisieren?

Rieger: Sie war eine Sängerin, die niemals outriert, die niemals aufgesetzt interpretiert, mit einer Kraft, die von innen kommt. Durch italienische Einflüsse des Belcanto war sie beeinflusst, sie war im Inszenieren konservativ, aber nicht rückwärtsgewandt, nicht imitatorisch, eher Neues entwickelnd. Ihre Intonation war perfekt, zumindest in ihren besten Jahren. Immer hat sie sich die Partitur vorgenommen, sie hat sie studiert, stundenlang, bis kurz vor dem Auftritt. Gesten und Gebärden zeigte sie genau so wie von Wagner gewünscht, was die Menschen sehr begeistert hat. Frank Castorf wäre daran nicht interessiert. Damals war die inszenatorische Idee, dass man Wagners Willen möglichst genau umsetzt. Und sie war sängerisch und körperlich so gut, dass sie auch langsame Dirigate überstehen konnte.

Und als Mensch?

Rieger: Als Lehrerin war sie geliebt und verehrt. Ich habe eine Äußerung von Rudolf Schock gefunden, da lobt er sie ausdrücklich in wärmsten Worten. Sie war ein liebenswerter Charakter.

Kein Held, aber ein Mensch.

Rieger: Ja, und völlig ohne Standesdünkel. Und sie war eine selbstbewusste Künstlerin, die groß gefeiert wurde. Auch im Ausland. Das Interesse an ihr ist immer noch groß, obwohl kaum mehr jemand leben kann, der sie erlebt haben kann.

INFO: Eva Rieger, „Frida Leider - Sängerin im Zwiespalt ihrer Zeit“, Olms Verlag, 269 Seiten, 22 Euro.

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