Ein Raum mit 184 Fenstern

Von Michael Weiser

Ein Raum mit 184 Fenstern, ein Pavillon auf der Landesgartenschau, der es in sich hat: Kunst immer, ziemlich oft aber auch Besucher. Weil Roland Schöns Kunst-Container mit dem Namen "Cosmos" aber auch wirklich neugierig macht.

 
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Eigentlich ist Roland Schöns Gebäude nur ein Kunstbehälter, etwas größer als ein Schiffscontainer. Ein Container bewahrt und schließt ein. Anders dieser Pavillon mit dem Namen „Cosmos“. Seine Wände lösen sich im Licht förmlich auf. Sie bestehen aus nichts anderem als Holz, Glas und Luft. Die Wirkung ist ziemlich einmalig. Man kann auch sagen, schon dieser Pavillon, den der Kunstverein bespielt, sei ein Kunstwerk.

Roland Schön ist Anfang 50, genauer: geboren im Jahre 1964. „Wir sind die meisten“, sagt er, er meint damit: der geburtenstärkste Jahrgang der Nachkriegsgeschichte, Kinder des Optimismus, in einer Zeit, die im Bonner Kanzler-Bungalow von Sepp Ruf ihren sprechenden Ausdruck fand: Licht und Transparenz, Helligkeit, nichts, was sich dahinter verbergen ließe. So wie Schöns Pavillon, dessen Wände allerdings etwas heimeliger gegliedert sind als die Fensterwände des Bonner Bungalows.

Schnäppchenjäger und Sammler

Der Pavillon steht an einem der schönsten Orte der Landesgartenschau, an einer Biegung des Roten Mains, an der die Wanderlust der Besucher wie von selbst ermatten zu scheint. Stühle und Sessel stehen im Gras, zwei ältere Besucher, eine Frau und ein Mann, halten ein Nickerchen, in Sitzgelegenheiten, die zu einem weiteren Projekt von Roland Schön gehören. An der Kasse kann man Stühle und dergleichen abgeben, man erhält dafür einen Gutschein, der einen dazu berechtigt, aus der Wiese am Pavillon seinerseits einen Stuhl mitzunehmen – ein Kommen und Gehen, eine stete Veränderung kann man auf der Sitzwiese beobachten. Und auch den Menschen an sich natürlich, als Spezies, die nicht nur aufs Sammeln, sondern aufs Jagen von Schnäppchen eingerichtet ist. "Einmal kam eine Familie mit einem Bollerwagen", erzählt Kunstvereinschef Hans-Hubertus Esser. "Ja, die haben drei ziemlich elende Stühle dagelassen und die drei besten Korbsessel mitgenommen", ergänzt Schön.

Roland Schön selbst fläzt mit Jackett und Wanderstiefeln in seinem Sessel, als sei er ein Schiffbrüchiger, der ganz von sich aus mit der Möglichkeit der Heimkehr abgeschlossen habe. Ist ja auch schön hier, signalisiert seine ganze Haltung. Er wedelt lässig eine Fliege weg und erzählt, wie es zu seinem Pavillon kam, vom Vorläufer, der jetzt im Garten der Villa Concordia in Bamberg steht, vom aktuellen Gehäuse, das nicht ganz streitfrei von seinem Wohnort Neudrossenfeld in die Wilhelminen-Aue zog. Weil die Gemeinde das ungewöhnliche Gebäude zwar irgendwie duldete, nicht aber sein Vermieter. Für die nächsten Monate steht das Gehäuse ersteinmal auf dem Gelände der Landesgartenschau. Und ist ein Glücksfall, als ein lichter Raum, durch den der Wind strömt, der durch seine transparenten Wände die grüne Umgebung nicht aussperrt, sondern förmlich reinholt. Die Kunst, die hier im zweiwöchentlichen Wechsel ausgestellt wird – den Auftakt markierte Ndidi Dike, derzeit sind faszinierende, fast schon abstrakte Nahaufnahmen von Erich Lüthje zu sehen –-, setzt einen erfrischenden Kontrapunkt zum White Cube, zum ausgeweißelten Ausstellungsraum in einer Galerie: Wo die Ausstellung anfängt, wo sie aufhört, darf hier jeder Besucher selbst entscheiden. Es sind, das eine Beobachtung des jüngsten Besuches, oft die Kinder, die ihre Eltern in den Fensterrahmen-Kubus ziehen.

Die Welt als Scheibe

Schön hat, genau genommen, Abfall verarbeitet. „Sachen, die eh nur weggeworfen werden“, sagt er. Fenster, die bei Abbrucharbeiten übrigbleiben, reißt er sich unter den Nagel. „Die Handwerker sind ja froh, wenn ich sie ihnen abnehme“, sagt er, „sonst müssten sie noch Geld für die Entsorgung zahlen.“ Er hat 184 von diesen gebrauchten Rahmen zusammengefügt, auf dass sie einander überlappen, Lücken lassen, den Raum mit ihren Rahmen sachte strukturieren. In die Glasflächen sind Ziffern und Lettern graviert, sie ergeben die Namen von Sternbildern, „und das sogar einigermaßen in der richtigen Ordnung“, wie Schön versichert. Inspiriert hat ihn dazu jene französische Graphik, Flammarions Holzstich, der einen Wanderer auf der Erdscheibe zeigt. Der Mann ist in die Knie gesunken und greift durch die Sphäre, an der die Sterne befestigt sind – und blickt staunend in die Welt jenseits des Begreifbaren.

Die Welt ist keine Scheibe mehr. Staunen aber darf man immer noch. Gerade auf der Landesgartenschau.

INFO: Die Ausstellung mit den Fotografieren von Erich Lüthje ist noch bis Sonntag zu sehen. Danach zeigt Latja Katholing-Bloss im „Cosmos“-Pavillon für zwei Wochen ihre detailreichen botanischen Illustrationen.

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