Ein Boxerleben im Holzschnitt

Von Michael Weiser
Studiobühne Der Boxer Foto: red

Die Studiobühne hat die Saison eröffnet. Mit "Der Boxer" von Felix Mitterer. Wichtiges Thema, mäßiger Text. Weswegen mich der Abend nur teilweise überzeugte.

 
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Wenn Sie’s noch nicht wussten: Roma kommen ursprünglich aus Indien, die Sprache jedenfalls ist indogermanischen Ursprungs, es gab auch mal die Theorie, dass Roma irgendwann aus Ägypten kamen, was die englische Bezeichnung „Gipsy“ erklären könnte. Anders als das Klischee es will, sind die meisten von ihnen sesshaft. Und, ja, Neuengamme liegt tatsächlich eine halbe Stunde Autofahrt von Hamburg entfernt.

Wissenswertes aus Neuengamme

Erklärt bekam man derlei in der Eröffnungspremiere der Bayreuther Studiobühne, mit dem Drama „Der Boxer“. Denn da erzählen die Protagonisten einander und damit dem Zuschauer, was man als Zuschauer eben so alles wissen muss über die Verfolgung der als „Zigeuner“ verunglimpften Minderheit im NS-Staat.

Die große Schwäche des Abends ist die Textes. Die Dialoge sind hölzern. So reden Menschen nicht miteinander. Theaterfiguren müssen es manchmal. Wie in diesem Fall: Weil Autor Felix Mitterer so viele Wissenslücken stopfen will.

Eigentlich ein Kinostoff

Die Geschichte des Boxers Johann „Rukeli“ Trollmann hat das Zeug zum Kinostoff: Der Sinto-Boxstar, der sich gegen Widerstände behauptet, am Ende gegen die Nazis verliert und doch triumphiert. Weil er tapfer ist und unbeugsam, bis zum bitteren Ende im Konzentrationslager Neuengamme.

Der Boxer Trollmann war von legendärer tänzerischer Eleganz. Der Text aber entspricht eher dem Ideal deutschen „Faustkampfs“: Aus festem Stand heraus immer mitten ins Gesicht getrümmert.

Mit Klischees der Überlegenheit des blonden, weißen und blauäugigen Menschen ging Trollmann selbst, nach allem, was wir wissen, viel, viel frecher um als Mitterer 70 Jahre später.

Die Geschichte ist Edelkitsch

Eigentlich ist alles klar: Da die Guten, dort die bösen Nazis. Am Ende stirbt ein Held, und es obsiegt doch so etwas wie Gerechtigkeit. Weil die Nazis auf dem Müllhaufen der Geschichte landen und der zerschlagene Boxer Trollmann bis zum heutigen Tage ein Vorbild für alle Unterdrückten sein kann. Ein Toter, kein Opfer. Die Geschichte taugt damit für Hollywood und nur bedingt fürs Theater, das doch besser Fragen stellt als Antworten gibt.

In ihrer Holzschnittartigkeit, ihrer so widerspruchsfreien wie flachen Zeichnung der Figuren, in ihrer gemütvoll aufbereiteten Zuspitzung bis zum finalen Kampf des Guten gegen den Bösen (der so wie einiges anderes auch nicht stattgefunden hat) ist Mitterers Geschichte Edelkitsch. Birgit Franz als Regisseurin konnte dieser Oberfläche kaum Untertöne hinzufügen.

Einmal sieht man einen Kampf Trollmanns im KZ – und gleich danach die bessere Lösung der Szene: Freunde Trollmanns, die ins Publikum blicken und den Kampf kommentieren. Kopfkino! Warum davor die Klopperei?

Aus dem Korsett eines Unterrichtstextes auszubrechen, ist für Schauspieler eine harte, wenn nicht gar undankbare Aufgabe. Weil im Text alles so schablonenhaft angelegt ist, kommt Lukas Stühles Rukeli mitunter weniger souverän als vielmehr überheblich rüber. Der Ausbruch gelingt dennoch, nur in Momenten zwar, aber dennoch. Etwa, wenn Stühle im Ring tatsächlich zu tänzeln beginnt.

Die Bösen faszinieren …

Irritierend: Die faszinierenden Figuren, das sind die Bösen. Gemütvolle Gefühllosigkeit verbreitet Markus Schmitt als Rassehygieniker Robert Ritter. Florian Kolb als SS-Mann Wolf ragt heraus, in seiner Ankündigung seines „Endkampfes“ gegen Rukeli Trollmann: Hinter jeder Freundlichkeit ein nachtschwarzer Abgrund, hinter jedem Argument kaum gezügelter Wahnwitz.

Kolb ist in diesen paar Minuten wirklich eindrucksvoll gruselig. Es lohnt sich schon allein deswegen, in die Studiobühne zu kommen. Doch warum ist man eigentlich fasziniert, wenn man zuschaut, wie Menschen mit der angeblich reinen Lehre im Rücken andere Menschen des Menschseins berauben?

… die Guten haben’s schwer

Die Guten haben es, und das ist die echte Lehre dieses Abends, schwer, im Leben, aber auch in der Erinnerung: Mit den Bösen beschäftigt man sich konzentrierter als mit dem elenden Menschen an sich in seiner höchsten Erniedrigung. Da allerdings ist das Theater nicht anders als die Wirklichkeit.