Digitaler Wandel: keine Verschnaufpause

Von Roland Töpfer, und
Arbeit 4.0 - das Schlagwort für die allumfassende digitale Vernetzung in der Arbeitswelt. Symbolfoto: Ole Spata/dpa Foto: red

Die Wirtschaft ist in guter Form. Doch die Unternehmen müssen viele Herausforderungen meistern. Die Industrie- und Handelskammern in Bayreuth und Coburg wollen sie dabei unterstützen – unter anderem mit einem Masterplan. Die Spitzen der oberfränkischen Kammern und Gewerkschaften trafen sich auf Einladung unserer Zeitung zu einem Wirtschaftsgipfel. Mehr als zwei Stunden lang stellten sie sich den Fragen und gaben spannende Antworten auf die Herausforderungen für den Arbeitsmarkt der Zukunft.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Die Wirtschaft brummt, aber das muss ja nicht so bleiben. Die Digitalisierung bringt mehr Tempo, die Unternehmen müssen schneller werden. Deshalb sehen die Wirtschaftskammern keinen Grund, sich zurückzulehnen. Sie arbeiten gemeinsam mit der Wissenschaft an einem Konzept, um die Region für die Zukunft zu rüsten. „Wir arbeiten zusammen mit den Hochschulen an einem Masterplan“, bestätigt der Coburger IHK-Hauptgeschäftsführer Siegmar Schnabel im Gespräch mit unserer Zeitung. Details werden in den kommenden Monaten fixiert. Eine herausragende Rolle spielt die Digitalisierung.

Die Wirtschaft im Wahlkampf nicht aus dem Fokus verlieren: Was können die IHKs generell bewirken? Gabriele Hohenner, die neue Hauptgeschäftsführerin der IHK für Oberfranken in Bayreuth, sieht die Kammern als Multiplikatoren, die die Politik immer wieder mit den Problemen der Wirtschaft konfrontieren muss. „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Ja, der Breitbandausbau könne noch besser werden, aber Oberfranken brauche sich in Bayern nicht zu verstecken. Auch für Schnabel hat sich die Breitbandversorgung im Raum Coburg gut entwickelt. Man könne 30 Megabit „in allen relevanten Bereichen“ anbieten. Dass dies für die angestrebte Gigabit-Gesellschaft noch lange nicht reicht, sei aber auch klar.

Im TV-Duell Merkel gegen Schulz kam die Wirtschaft kaum vor. Die Wirtschaftsthemen sind „hinten runtergefallen“, bedauert Schnabel. Die gute Konjunktur verführe eben dazu, die Wirtschaft aus dem Fokus zu schieben, was jedoch ein großer Fehler sei. Denn: Mit der Digitalisierung erhöht sich die Geschwindigkeit. Betriebe müssen sehr schnell reagieren, Schulen ihre Lehrpläne neu abstimmen. Jetzt gelte es, neue Anreize für Investitionen, Forschung und Entwicklung zu schaffen, wie zum Beispiel verkürzte Abschreibungszeiten für die kürzeren Innovationszyklen der digitalen Gesellschaft.

Im Moment geht es nur aufwärts - aber wie lange? Hohenner warnt davor, zu glauben, dass es künftig keine Konjunkturzyklen mehr geben werde. „Auf und Ab gibt’s im Moment nicht mehr. Aber wo geht die Reise hin?“ Azubi-Checks und Azubi-Scouts sollen dem Nachwuchs und den Unternehmen gute Orientierung geben. Die Kammern müssen ihre Qualifizierungsangebote anpassen, die Kooperation der Wirtschaft mit den Hochschulen weiter voranbringen. Bayreuth biete dafür gute Grundlagen: Fraunhofer-Stützpunkte, Hochtemperatur-Technik, Neue Materialien. „Die Hochschulen gehen das Tempo mit“, sagt Hohenner.

Forschungsvorhaben würden öfter mit der regionalen Wirtschaft abgestimmt. In der Kammer habe man nun auch einen Fachausschuss Standort Oberfranken, der stärker vernetzt für den Standort denken soll. Wie kommt man über die Digitalisierung zu neuen Geschäftsideen? 30 Unternehmen haben sich im Netzwerk Coburg zusammengefunden, und Schnabel will damit auch Etablierte und junge Kreative zusammenbringen, den Wissenstransfer Hochschule-Wirtschaft verbessern. Ja, die Wirtschaft habe sehr erfolgreiche Jahre hinter sich, in Coburg schreibe man Spitzenwerte. Aber mit 70 Prozent Exportanteil sei man global stark verflochten. „Wir brauchen Freihandelsabkommen und Investitionsschutzabkommen“, sagt Schnabel und fordert dazu auch „ein gewisses Selbstbewusstsein der EU“.

Mit der Digitalisierung kommt die Bürokratie: Am blauen Konjunkturhimmel ziehen immer wieder Wolken auf. Laut Hohenner schauen Oberfrankens exportlastige Unternehmen auch mit Sorgen auf die Weltwirtschaft. Die Brexit-Folgen seien wie die künftige Ausrichtung der US-Wirtschafts- und Handelspolitik noch nicht genau einschätzbar. Dazu kommt, dass die Bürokratie nicht weniger wird. Mit der Digitalisierung kämen Tausende neue Richtlinien und ein enormer Bürokratieaufbau. „Die Firmen haben Bedenken und viele Rückfragen.“

Am besten wäre: one in, one out. Also: Wenn ein neues Gesetz kommt, muss ein altes raus. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat die Strompreise nach oben getrieben. Laut Schnabel hat Bayern die dritthöchsten Strompreise in der EU, was Investitionen im Ausland begünstige. „Man muss hier wieder entlasten.“ Das Strom-Thema werde derzeit von der guten Konjunktur überdeckt. Hohenner verweist auf eine Umfrage, wonach 15 Prozent der bayerischen Unternehmen wegen der hohen Strompreise an eine Verlegung ins Ausland denken.

Beim Fachkräftemangel geht es nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität, sagt Schnabel. „Die Unternehmen sind oft unzufrieden mit dem Niveau der Bewerber.“ Lesen, Schreiben, Rechnen – es gebe oft Defizite in den einfachsten Dingen. Zum Vorwurf, dass die Wirtschaft ihre Beschäftigten mit Forderungen nach ständiger Erreichbarkeit immer mehr belaste, sagt Schnabel: „Die Unternehmen achten sehr genau darauf, dass ihre Leistungsträger nicht verheizt werden.“

 

Das Handwerk nimmt die Politik in die Pflicht

Kammer: Wirtschaftsthemen kommen zu kurz

Den Betrieben geht es gut – und Anzeichen einer Abschwächung sind auch nicht in Sicht. Die Kammer will die komfortable Lage nutzen, um wichtige Aufgaben anzupacken.

Etwas enttäuscht war Thomas Koller schon, dass Wirtschaftsthemen beim TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz nahezu nicht vorkamen. Dabei gebe es trotz der guten Konjunktur jede Menge Herausforderungen, betont der Hauptgeschäftsführer der oberfränkischen Handwerkskammer. An erster Stelle stehen für ihn der Fachkräftebedarf und die Digitalisierung. Wobei sich bei den Fachkräften gerade etwas zum Positiven zu wenden scheint – zumindest mit Blick auf den Nachwuchs. Denn die HWK verzeichnet sowohl für das vergangene als auch für das gerade begonnene neue Ausbildungsjahr einen Anstieg bei den neu abgeschlossenen Lehrverträgen. „Daran merkt man, dass die Wertschätzung der beruflichen Ausbildung wieder steigt, gerade auch in der Bevölkerung“, sagt Koller.

Handwerk hat es schwer gegen die Industrie: Die Qualität der Ausbildung müsse weiter vorangebracht werden, weil auch die Anforderungen in den einzelnen Berufen immer höher würden. Was zugleich bedeute, dass die Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter steigen. „Man muss Erfüllung in seiner Arbeit finden können“, formuliert es Koller. Allerdings müsse auch die Bezahlung stimmen. Und da tue sich vor allem ein kleiner Handwerksbetrieb gegenüber den Möglichkeiten der Industrie manchmal schwer. Umso wichtiger sei, dass die neue Bundesregierung endlich dafür sorge, „dass vom verdienten Geld mehr übrig bleibt“. Doch auch auf der Unternehmensseite seien hier Schritte nötig, „damit unsere Betriebe, gerade auch die kleinen, ihre Investitionsquote wieder steigern können. Wir brauchen da eine Dynamik, die auch von der Politik mit konkreten Anreizen und Entlastungen gefördert werden muss.“

Eine flächendeckende Versorgung mit Breitbandanschlüssen ist nach Ansicht der Kammer unerlässlich. Dass es dafür mittlerweile staatliche Förderprogramme gebe, sei zu begrüßen. Aber Koller macht auch deutlich: „Das ist eindeutig noch zu wenig und es geht zu langsam.“ Mindestens ebenso wichtig seien überall verfügbare schnelle und stabile Mobilfunksysteme. „Damit auch auf entlegenen Baustellen wichtige Informationen oder Pläne zum Beispiel auf einem Tablet empfangen werden können.“

Chancen und Risiken der Digitalisierung: Klar sei, dass durch die Digitalisierung alte Geschäftsmodelle zerstört, aber ebenfalls neue geschaffen werden. Mit massiven Folgen auch für die Mitarbeiter bis hin zum Wegfall ganzer Berufsgruppen. Dass es da Ängste gebe, sei kein Wunder. „Umso wichtiger ist es, den Menschen die Möglichkeiten an die Hand zu geben, das zu bewältigen“, sagt Koller. Weiterbildung, Qualifizierung, Gründer- und Nachfolgthemen – all das müsse vor dem Hintergrund der digitalen Transformation gemeinsam betrachtet und von der Politik gefördert werden.

Koller fordert rechtzeitiges Handeln: „Wir sind doch in der glücklichen Lage, Veränderungen einmal nicht als Feuerwehreinsatz bewältigen zu müssen. Stattdessen könnten wir die Themen Fachkräfte oder Digitalisierung strategisch angehen. Da würden wir als HWK gerne dabei sein.“ Allerdings müssten dann auch die Spitzenpolitiker mal wieder über Wirtschaft reden.

Mangel an sozialer Sicherheit

DGB fordert das Ende prekärer Arbeitsverhältnisse

Viele Arbeitnehmer bekommen vom wirtschaftlichen Aufschwung nicht viel mit. DGB-Regionsgeschäftsführer Mathias Eckardt fordert das Ende prekärer Arbeitsverhältnisse.

Ständige Erreichbarkeit per E-Mail und Handy, Bereitschaftsdienste an 365 Tagen im Jahr und Firmen, die die Bildung eines Betriebsrats aktiv unterbinden: Laut DGB-Regionsgeschäftsführer Mathias Eckardt sind solche Auswüchse noch immer in oberfränkischen Unternehmen zu finden. „Es vergeht kaum ein Monat, in dem wir nicht Fälle von Drohungen, Kündigungen oder Versetzungen auf den Tisch bekommen, die mit der Gründung eines Betriebsrates zusammenhängen“, schildert der Gewerkschafter Erfahrungen aus seinem Arbeitsalltag. Auch abseits der harten Fälle gibt es immer noch gravierende Missstände in den Betrieben, die sich in der Vergangenheit eingeschliffen haben. Etwa bei der Arbeitszeit.

Rote Linien für den Fortschritt: Zwar sieht Eckardt durchaus ein, dass es in Zeiten von Digitalisierung und neuen Arbeitswelten auch Veränderungen braucht. „Es gibt aber definitiv rote Linien“, sagt Eckardt beim Vorwahlgipfel unserer Zeitung. Eine davon ist die gesetzlich geregelte maximale Arbeitszeit von zehn Stunden am Tag.

Eckardt appelliert an die Unternehmen, die Tarifbindung wieder zu stärken. „In den neuen Bereichen tendiert die mittlerweile gegen null“, sagt er und spielt damit auf die vielen Start-ups an, die entstehen. „Wenn wir wie in den USA alles liberalisieren, bekommen wir eine ganz andere Republik“, mahnte Eckardt. Was den Abbau der sozialen Ungleichheit in Deutschland in der vergangenen Legislaturperiode angeht, ist Eckardt „enttäuscht“. „Der hat leider überhaupt keine Rolle gespielt.“ Trotz der „fetten Jahre“ seien viele Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, klagt er. Und: Es gebe weiterhin kein Rückkehrrecht in Vollzeit, wenn Arbeitnehmer in Teilzeit gewechselt seien.

Gewerkschaft fordert Rückkehrrecht aus Teil- in Vollzeit: „36,5 Prozent aller Menschen arbeiten Teilzeit, obwohl sie das gar nicht wollen“, sagt der Gewerkschafter. Seine Forderung ist klar: „Wir brauchen ein Rückkehrrecht aus der Teilzeit.“ Ein weiteres Problem ist die Leiharbeit, wie Eckardt sagt. „Die ist ein großer Treiber in der Region.“ Leiharbeit sei ein probates Instrument bei Konjunkturspitzen, aber ein Dauerzustand dürfe sie nicht sein.

Der DGB kritisiert ebenfalls die Zunahme von befristeten Arbeitsverhältnissen. Die Gewerkschaft verweist auf Zahlen, die jüngst öffentlich geworden sind. Demnach erhielt fast jeder zweite sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, der im vergangenen Jahr neu eingestellt wurde, nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Besonders betroffen sind Menschen im Alter von 25 bis 39 Jahren.

Öffentlicher Dienst ist befristet zu viele Arbeitsverhältnisse: „Befrister Nummer eins“ sind laut Eckardt jedoch weder Industrie noch Handwerk, sondern der öffentliche Dienst. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer, Thomas Koller, wollte die Kritik jedoch nicht so stehen lassen. „Die Betriebe machen viel, um Mitarbeiter zu binden.“ Doch Eckardt legte nach: „Warum werden junge Leute nach einer Ausbildung dann immer noch oft befristet angestellt?“

Sein Wunsch an die kommende Regierung ist deshalb umso deutlicher: „Prekäre Arbeitsverhältnisse abschaffen“, fordert er. „Dann erledigen sich viele Probleme von allein.“

Autor