Die Vizepräsidentin des Bundestags macht im Wahlkampf Station auf dem Bayreuther Viktualienmarkt Bundestagsvize Claudia Roth in Bayreuth

Von Thorsten Gütling
Ilse von Heissen (rechts) ist nur eine von vielen, die auf dem Bayreuther Viktualienmarkt mit Claudia Roth ins Gespräch kommen. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Regenwolken über Bayreuth. Und das Laden des Elektromobils auf dem Rathausparkplatz macht Probleme. Die Zeichen stehen schlecht für einen Wahlkampfauftritt der zweithöchsten Politikerin Deutschlands. Dass es am Ende doch ein Erfolg wird, liegt vor allem an ihr selbst: Claudia Roth, der grünen Spitzenpolitikerin.

 
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Vom ersten Moment an ist es Roth, die spricht. Darüber, was für ein tolles Gefühl es sei, in einem Tesla zu reisen. Dass es sie an ihren ersten Wagen, einen Käfer, erinnere, weil auch in eine Elektroauto dort, wo andere einen Motor haben, Koffer und Taschen passen. Das Auto zu laden habe sich aber noch nirgendwo so schwierig gestaltet wie an diesem Tag in Bayreuth. Die Ladestation akzeptiert die Geldkarte der Bundestagsvizepräsidentin nicht, drei Mitarbeiter hängen gleichzeitig am Handy und in verschiedenen Warteschleifen, bis einer herausfindet: Ohne Registrierung lässt sich nur mit britischen Pfund bezahlen. Das Aufladen dauere außerdem zehnmal so lange, wie an Tesla-eigenen Stationen. „Hätte sich der Dobrindt mal um die wichtigen Sachen gekümmert“, sagt Roth dann. Peng! Wahlkampf!

Soviel Zeit muss sein

Einen knallbunten Schirm unter dem Arm geht es dann auf den Marktplatz. Noch bunter, als die vierfarbigen Strähnen in ihren Haaren, so bunt wie ihr Mantel. Es grenzt fast an ein Wunder, dass irgendwie doch alles zusammen passt. Gestern noch in Augsburg, jetzt Bayreuth, später Forchheim: Gestresst wirkt die frühere Bundesvorsitzende der Grünen aber nicht. Im Gegenteil: „Erzähl mal von deinem Urlaub“, sagt sie und nimmt die Bayreuther Landtagsabgeordnete Ulrike Gote in den Arm. Soviel Zeit muss sein.

Hofreiter: Eine ästhetische Erfahrung

Ihr letzter Besuch in Bayreuth ist gerade sechs Wochen her. Roth war zur Festspielpremiere da. An der Seite der 62-Jährigen damals: Anton Hofreiter, der Vorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion. Der „Toni“ im Smoking, das sei selbst für sie eine neue ästhetische Erfahrung gewesen.

„Ist schon schön bei euch“, sagt Roth wenig später, als sie auf dem Stadtparkett steht. Das „Todesrinnla“ hat es ihr angetan und die Tatsache, dass in Bayreuth fast jeden Tag irgendwo Markt sei. In Franken könne man sehen, wie Multi-Kulti funktioniere. In Bayreuth stehe der Maibaum das ganze Jahr und statt blau-weiß ist er rot-weiß. „Von wegen Leitkultur“, sagt Roth und dann sprudeln die Fragen nur so aus der Schwäbin heraus. Ob es noch Bäcker, Metzger und Schneider in der Innenstadt gebe, will sie wissen. Ob man Flüchtlinge hier eher als Bereicherung oder Belastung empfinde. Was die Händler auf dem Viktualienmarkt noch selbst machten und wo der Fischverkäufer seinen Hering her beziehe.

"Claudia, komm mal her!"

„Claudia, komm mal her“, ruft dann ein Mann auf einer Bank – und „Claudia“ kommt, setzt sich daneben. Anton Kuhn heißt der Mann, kommt jedes Jahr für zwei Wochen aus der Schweiz nach Bayreuth um sich um das Grab der Eltern zu kümmern. Roth lässt sich in den Arm nehmen, lässt sich auf die Wange küssen. „Machen's doch nicht so ein trauriges Gesicht“, sagt Kuhn, da kommt schon ein anderer und sagt: Da muss ich extra nach Bayreuth fahren, damit ich mit der Frau Roth mal zusammen auf ein Bild komm.“

Die Hemmschwelle ist niedrig

Und so geht das weiter. Roth kommt im Grunde kaum voran und die Pegnitzer Bundestagskandidatin Susanne Bauer, der Roth ja mit ihrem Besuch zur Hilfe eilt, steht immer in der zweiten Reihe. Die Runde um die wenigen Stände des Bayreuther Viktualienmarktes dauert eineinhalb Stunden. „Das passiert mir sonst mit keinem anderen“, sagt Tim Pargent, Stadtrat und Kreisvorsitzender der Grünen. „Auch mit keinem anderen Spitzenpolitiker.“ Die Bayreuther wollen Autogramme, ein Foto oder einfach mal Hallo sagen. Die Hemmschwelle ist niedrig, Bundestagsvizepräsidentin hin oder her. Roth wird angefasst, gedrückt, geherzt. Andere, vor allem jüngere, verdrehen sich die Hälse und kichern: „Schau mal, die Frau Roth.“

"Ooooma!"

Die streckt plötzlich ein Küchla zum Himmel, ruft „Ooooma!“. Seit Jahrzehnten habe sie dieses Gebäck nicht mehr gegessen, das die Oma früher auf dem Knie gemacht habe. Frauen bleiben stehen, erklären den Unterschied zwischen katholischen und evangelischen Küchla, die Diskussion ist in vollem Gange. „Es gibt nichts Besseres als ein Brot mit Honig“, sagt Roth später und irgendwann wird über den Sinn und Unsinn von Plastiktüten gesprochen und darüber, dass „regional“ nicht immer gut sei, „bio“ aber schon. „Die soll sich mal um was Anderes Gedanken machen“, sagt da einer hinter ihrem Rücken. Über die Überdüngung durch Maisanbau zum Beispiel. „Wir werden irgendwann verdursten, aber Hauptsache wir haben Biostrom.“

Zwei Kinder aus Aleppo

An Ende stellen sich zwei Kinder vor. Jamal und Scham, sieben und zehn Jahre alt. Die beiden kommen aus Aleppo, sind mit ihren Eltern und Geschwistern aus Syrien geflohen. Sie haben Angst, bald auf der Straße schlafen zu müssen, die Wohnung sei brüchig und die Eltern fänden keine neue. "Das wird nicht passieren", verspricht Roth und fragt die Kinder, ob sie eines Tages zurück nach Aleppo wollen, in die einst schöne und stolze Stadt, die auch Roth schon bereist habe. „Da ist doch Krieg“, sagt das Mädchen dann und Roth antwortet: „Ich glaube, das müsst ihr auch nicht. Jeder weiß doch, wie es dort aussieht.“

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