Die Todesschleuder der Hundlinge

Von Andreas Gewinner
Michael Fuchs (links) und die Hundlinge haben eine 1000 Jahre alte Todesmaschine nachgebaut. An diesem Wochenende kommt sie in Wunsiedel zum Einsatz. Foto: Andreas Gewinner Foto: red

Michael Fuchs führt zwei Leben. Im ersten Leben ist er Familienvater und Zimmerermeister. Im zweiten Leben ist er „Hundling“ und hat die letzten vier Monate in jeder freien Minute an einer gewaltigen Todesmaschine gearbeitet, wie sie zuletzt vor 1000 Jahren existierte: die dicke Berta des Mittelalters – tauglich zum Burgenknacken sowie für biologische und psychologische Kriegsführung. Im Einsatz kann man sie an diesem Samstag und am Sonntag bei „Collis Clamat“ auf dem Katharinenberg erleben.

 
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Die „Hundlinge“ sind eine Gruppe Mittelalterbegeisterter aus Wunsiedel und Umgebung. Seit dem Donnerstag sind sie Gastgeber des größten Mittelalterspektakels zwischen Leipzig und Nürnberg, 15.000 Besuche werden erwartet.

Mittelaltergewänder überziehen und mit Schwertern schaukämpfen, das macht jeder. Die Hundlinge wollten es – nein, nicht krachen, sondern fliegen lassen. Vor acht Jahren bauten sie ihre erste, zwölf Meter hohe Steinschleuder „Katharina I.“, mit der auf dem Katharinenberg unter anderem Burgenattrappen in Brand geschossen wurden. Und nun Katharina II. Noch vier Meter höher, Reichweite; ein Kilometer, Munition: Granitquader, dreimal 40 Zentimeter, rund 75 Kilo schwer.

Alter Holzstich als Vorlage

Das Vorbild für Katharine II. fand Fuchs in einem tausendjährigen Holzstich. Ein neben der Maschine abgebildeter Mensch half ihm bei der Berechnung der Dimensionen. Details der Konstruktion, die die Illustration nicht zeigte, musste sich Fuchs aus anderen Quellen erschließen oder selbst eine Lösung konstruieren. Ansonsten entspricht die Schleuder der 1000 Jahre alten Illustration, bis hin zu den beiden Hamsterrädern, in denen je zwei Männer laufen müssen, wenn die Schleuder mit gewaltiger Untersetzung über einen Seilzug gespannt wird. Das Momentum der Schleuder besorgt dann eine Gegengewichtskiste mit fünf Tonnen Gestein. Und etwa auf halber Höhe ist eine Achswelle, um die das Monstrum schwingt. Die Achse hat 15 Zentimeter Durchmesser, ist massiv und wiegt eine Vierteltonne.

Keine Esche gefunden

Moderne Abweichungen gibt es nur aus Sicherheitsgründen: die wenigen Eisenteile sind nicht geschmiedet sondern geschweißt, statt Holzzapfen sind Metallzapfen und -schrauben verbaut. Und die Schleuder selbst ist nicht aus Esche, sondern aus Fichte. „Esche ist sehr stabil und gibt nach ohne zu brechen“, erläutert Fuchs, „deswegen sind bis zum heutigen Tage Schaufelstiele aus Esche. Aber wir haben keine Esche in ausreichender Größe in der Nähe gefunden.“

Ein Knappe in langem Mittelaltergewand bleibt stehen und macht ein Foto mit seinem Smartphone. Auch Michael Fuchs ist nach einem halben Jahr immer noch voll Bewunderung über das Können der Menschen vor 1000 Jahren, die mit ihren damals begrenzten Mitteln diese Höllenmaschine entwarfen und bauten. Fuchs erläutert den „Clou“ der Schleuder, die flexible Schlinge. Die Schleuder hat keinen Löffelarm, sondern am Ende des Schaftes eine Ledertasche an zwei Seilen. Ein Seil ist fix befestigt, das zweite löst sich im Lauf der Schleuderbewegung. Dieser Zeitpunkt kann mit einem Dorn reguliert werden. Und damit auch die Flugbahn des Geschosses. Der Quader kann in hoher Kurve fliegen und von oben auf die Feinde regnen. Er kann aber auch in flacher, rasanter Flugbahn abgefeuert werden, um eine Burgmauer, ein Tor oder eine Schanze zu brechen. Dank der Schleuder kann man die Einschläge auch bis zu zehn Meter seitlich streuen. Katharina II. ist heute die zweitgrößte funktionsfähige Mittelalterschleuder in ganz Europa.

Abgeschlagene Köpfe als Munition

Bei aller Faszination weiß Fuchs, dass er und die anderen Hundlinge im Grunde eine Todesmaschine gebaut haben. Während die Hundlinge einen Autokran zum Zusammenbau einsetzen konnten, musste früher alles von Hand gehen, schwere Arbeitsunfälle inklusive: „Ein Menschenleben war damals nicht viel wert.“ Und vor 1000 Jahren wurden nicht nur Steinquader verschossen. Fuchs weiß aus einer alten Beschreibung von der Belagerung einer Burg am Rhein, die zwei Jahre ihren Widersachern standhielt. Bis es ihnen gelang, mit einer Schleuder einen verwesenden Tierkadaver in die Wasserversorgung der Burg zu schießen. Der mittelalterliche „B-Waffen“-Einsatz war erfolgreich, die Burgbewohner mussten aufgeben. Und um Belagerte psychisch zu zermürben, wurden gerne Leichen oder abgeschlagene Köpfe toter Feinde in die Burg geschleudert – „Psy Ops“ des Mittelalters.

Doch heute und morgen steht das Gaudium und die Show im Mittelpunkt. Die Schleuder, die dann aus Sicherheitsgründen auf eine Reichweite von knapp 140 Meter eingestellt wird, schießt am heutigen Samstag ab etwa 19.30 Uhr und am Sonntag zwischen 17 und 20 Uhr.

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