Der "Holländer" segelt nach Oberammergau

Von Michael Weiser

Einsatz für die die fliegende Gebirgsmarine: Unter Passionsspielleiter Christian Stückl stemmen die Oberammergauer Richard Wagners „Fliegenden Holländer“. Und das gar nicht schlecht, mit viel Gefühl vor allem für dramatische Szenen. Unsere Eindrücke vom Ausflug in Oberbayerns norwegische Fjorde.

 
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Die Stimmung passt schon mal. Auf der Hinfahrt dräut düster der Himmel überm Wettersteingebirge, Regenschleier umwabern himmelhoch die Felsenriffe. Nur hinter den Ammergauer Bergen glänzt ein Silberstreif, als winkte den Holländern dieser Welt im Passionsspielort Oberammergau tatsächlich die Erlösung.

Viel Talent und Volk

Alle Wetter, die Oberammergauer haben für ihren „Fliegenden Holländer“ aber auch was aufzubieten. Viel Talent, viel Einsatz, viel Volk. Und eben richtig viel Natur. Regisseur Christian Stückl nützt alles: Größe und Atmosphäre des Passionsspielhauses, die gut trainierten Massen des Passionstheaterchors, die Fähigkeiten auch seines Bühnenbildners Stefan Hageneier. Der bebildert den „Holländer“ durchaus konventionell und eher vorsichtig abstrahiert, aber eben eindrucksvoll und mit großem Gefühl für Farben und Kontraste. Man kann auch sagen, Hageneier weiß, wie man Breitwandkino auf die riesige Bühne des Passionsspielhauses zaubert.

Geisterschiff in Sicht

Im Zentrum rollen die Wellen. Es landen: Dalands Mannen. Es singt, und das wirklich schön: Der Steuermann (Denzil Delaere). Es tritt auf: die unheimliche Gestalt des auf Ewigkeit verfluchten Holländers. Eine zauberische Bewegung nur von ihm, und Dalands Mannschaft taumelt in den Schlaf. Die Wellen teilen sich und es erscheint leibhaftig: ein von Nebel umhülltes Geisterschiff. Man darf staunen, darf sich gruseln, man ist ganz bei der Sache, weil die auf der Bühne so prächtig dabei sind: Staunen und Gruseln dürfen auch die Akteure in Stückls Interpretation durchaus zeigen. Eigentlich halten sich Christian Stückl und Stefan Hageneier damit viel dichter an die Vorlage als viele, viele andere. Man mag das für retro oder gar naiv halten. In dieser Atmosphäre ist es beeindruckend.

Eine neue Art von Sommertheater

Eigentlich ist Oberammergau berühmt für seine Passionsspiele, die der Ort seit 1634 aufführt, als Dank für das wundersame Ende einer Pestepidemie. Alle zehn Jahre finden die Spiele statt, vermutlich ebenso ewigkeitsgültig wie des Holländers Landgang alle sieben Jahre.

Stückl ist Passionsspielleiter. In den vergangenen Jahren hat er so etwas wie eine alljährliche Zwischenpassion eingeführt: Eine neue Art von Sommertheater, das die vielen schauspielernden, singenden und muszierenden Laien des Ortes, verstärkt mit Profis, sehr respektabel und mit großem Publikumserfolg stemmen. Stückl hält seine Mannschaft im Training. Und beschert Oberammergau Aufmerksamkeit auch zwischen den traditionellen Spielzeiten. Was für eine Idee, was für eine Energie, was für ein Talent, gute Leute für ein Projekt zu gewinnen.

Der neue GMD der Komischen Oper am Pult

Ainars Rubikis zum Beispiel. Der war mal Generalmusikdirektor der Oper von Nowosibirsk und brach die Zelte in Russland ab, nachdem die Politik die Absetzung des Nowosibirsker „Tannhäuser“ erzwungen hatte. Die orthodoxe Kirche hatte scharfe Kritik an der „blasphemischen“ Inszenierung geübt. Rubikis dirigierte nach seinem Rückzug aus Russland schon beim „Nabucco“ in Oberammergau und fand so viel Spaß daran, dass er sich auch für den „Holländer“ gewinnen ließ. Ein echter Star: Wie vor wenigen Wochen bekannt wurde, wird Rubikis der neue GMD von Barrie Koskys Komischer Oper in Berlin. Beim „Holländer“ im Passionsspielhaus dirigierte er die Neue Philharmonie München mit so viel jugendlichem Schwung, dass man hören konnte, für wen Wagner das Stück ganz ursprünglich mal gedacht hatte: das verwöhnte, frivole Publikum von Paris. So frisch vernimmt man Wagner auch nicht immer.

Starker Holländer

Man hört des weiteren: einen spielfreudigen, guten Chor (Leitung: Markus Zwink), der nur ab und zu in Wagners Textgewittern - Jollohohe! Hussassahe! – ziemlich hinterherrappeln muss. Und man hört und sieht: überwiegend solide Solisten. Mit drei Ausnahmen: Gabor Bretz als Holländer überzeugt voll und ganz, mit fahlem Spiel und fast schon zu schöner Stimme, Iris van Wijnen ist eine ganz hervorragende, mal neckische, mal mütterlich strenge Mary.

Liene Kinca als Senta lässt uns bei allem dramatischen Potenzial spüren, wie brutal Wagner sein kann. Zu seinen Frauenfiguren ohnehin, aber auch in seinen Anforderungen an die Stimme.  Die Sängerin, ganz offenbar erkältet, quälte sich in die Höhenlagen ihrer Partie, man bangte. Und hatte Respekt vor ihrer Tapferkeit.

Der Glaube an die Bilder

Viel Beifall, minutenlanger Jubel. Keine wirklich neue Deutung, kein Interesse für die Frage, welch abstruses Frauenbild Wagner doch in dieser Gruseldichtung ausbreitet, aber viel Effekt: In seiner Bildergläubigkeit ist der Theatermacher Stückl ganz katholisch, bei den Passionsspielen wie beim Protestanten Wagner.  Aber, wie gesagt, das hat was, genug, um den weiten Weg durch Oberbayerns Felsenriffe zu wagen.

 Termine: 14., 16., 21. Juli, jeweils 20 Uhr.