Eilmeldung

Der Luftangriff kurz vor Kriegsende 5. April 1945: Bomben auf Bayreuth

Von Udo Meixner
 Foto: red

US-Panzerverbände stehen Anfang April 1945 nur noch 200 Kilometer westlich von Bayreuth. Das tägliche Sirenengeheul stiftet kaum mehr Unruhe unter den Bürgern. Umso härter trifft der erste Luftangriff am 5. April die Stadt. Stark zerstört wird die Gegend um den Wilhelmsplatz. 

 
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Der Donnerstag nach dem Osterfest 1945, 5. April. Oder: Tag 2144 des Zweiten Weltkriegs. US-Truppe stehen nur noch 200 Kilometer von Bayreuth entfernt und rücken täglich näher. Viele Bayreuther hoffen deshalb, der Bombenkrieg werde trotz der Angriffe auf Dresden und Würzburg das beschauliche Städtlein verschonen. Manche glauben gar, dass Friedelind Wagner durch ihren günstigen Einfluss auf die Amerikaner eine Bombardierung Bayreuths verhindern könne. Die Enkelin Richard Wagners, gleichsam Rebellin der Familie, emigrierte aufgrund ihrer Ablehnung des NS-Regimes in den USA. Eine trügerische Hoffnung allerdings, die am 5. April, auf schreckliche Weise enttäuscht wird: Spreng- und Brandbomben aus amerikanischen Flugzeugen gehen auf Bayreuth nieder. Am schlimmsten trifft es den Wilhelmsplatz und die umliegenden Straßen.

Knapp einen Monat vor Kriegsende ist Bayreuth doch noch ins Visier der Alliierten gerückt. Drei Hauptkriterien geben hierfür den Ausschlag. Zum Ersten die umfangreichen Gleisanlagen, die aus Bayreuth einen strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt machen. Zum Zweiten die großen Kasernen in der Innenstadt sowie westlich des Röhrensees, entlang der Ludwig-Thoma-Straße. Und zum Dritten die kriegswichtige Produktion in den drei Baumwollspinnereien ab 1943: In der Bayerlein-Spinnerei werden von der Firma Aero Steuerungsanlagen für Messerschmitt-Kampfflugzeuge gefertigt. In die Mechanische Baumwollspinnerei und Weberei sind Teile der Kugellagerproduktion aus Schweinfurt verlagert worden sowie Teile des Elektromotorenwerks der Siemens-Schuckertwerke in Berlin. In der Neuen Baumwollspinnerei ist das „Institut für physikalische Forschung“ untergebracht, wo Steuerelemente für Fernlenkwaffen entwickelt werden. All dies ist dem US-Geheimdienst nicht verborgen geblieben.

Am 4. April gibt es noch den kläglichen Versuch, Verteidigungsanlagen gegen die anrückenden US-Truppen zu schaffen. Doch geht die NSDAP-Kreisleitung beim Anlegen der innerstädtischen Sperrgräben derart stümperhaft vor, dass Kabel gekappt und Versorgungsleitungen unterbrochen werden. Aus Angst vor ausströmendem Gas lässt Oberbürgermeister Fritz Kempfler die Arbeiten stoppen. Der Bau der „Festung Bayreuth“ ist gescheitert.

Mehrmals wird dann am 5. April 1945 Luftwarnung ausgelöst. Es ist ein schöner Frühlingstag und der Alarm zu diesem Zeitpunkt schon gewöhnlich und üblich. Die bisherige Folgenlosigkeit der Alarme hat viele Bayreuther leichtsinnig werden lassen. Flüchtlinge aus dem Osten wundern sich über die Sorglosigkeit, mit der die Bevölkerung auf das Sirenengeheul reagiert.

„Nein, nein, auf Bomben waren wir nicht gefasst. Wir sind zwar jedes Mal, wie es Vorschrift war, in den Keller gerannt, sobald die Sirenen losheulten. Aber dass es die Stadt, dass unser Haus einmal zerstört werden könnte, nein, daran haben wir nicht geglaubt.“ So erzählt es Zeitzeugin Gunda Karg im Jahr 1985 in einem Interview. Sie lebt 1945 in ihrem 1895 errichteten Elternhaus am Wilhelmsplatz 9, im Erdgeschoss befindet sich die Bäckerei Karg. Gunda Karg steht im Laden ihrer Bäckerei, als die Sirenen loslegen.

Gegen 10.30 Uhr gibt es zum vierten Mal an diesem Tag Fliegeralarm, amerikanische Bomber nähern sich aus Richtung Südosten der Stadt. Und diesmal zieht der Schwarm nicht weiter: Der Posten auf dem Turm der Stadtkirche meldet, dass 20 bis 30 viermotorige Flugzeuge die Stadt angreifen. Etwa 15 Minuten nach dem Alarm sind die ersten Bombeneinschläge rund um den Bahnhof zu hören. „Es sah so aus, als hätte einer Streichhölzer aus der Schachtel geschüttet“, berichtet später Brauersohn Oscar Maisel, der den Abwurf der Stabbrandbomben von seinem Elternhaus aus beobachtet.

Gegen 11.20 Uhr fliegen die Bomber weiter. Viele Häuser am Wilhelmsplatz, am Güterbahnhof und den umliegenden Straßen brennen. Aber auch andere Bereiche wie Altstadt, Kreuz, Herzoghöhe, Gaswerk oder Hofgarten sind Ziele.

Als Gunda Karg nach dem Angriff wieder aus dem Keller steigt, brennt der Dachstuhl ihres Elternhauses, brennen die Häuser in der Nachbarschaft. Mitten in die Löscharbeiten der städtischen Feuerwehrmänner in der Bahnhofsgegend erfolgt gegen 11.30 Uhr eine zweite Angriffswelle. Einige der überraschten Feuerwehrmänner im Bereich Wilhelmsplatz/Feustelstraße können sich nicht mehr in Sicherheit bringen, sieben von ihnen kommen ums Leben, sieben werden schwer verletzt.

„Der Angriff war schlimmer als der erste“, erzählte Gunda Karg im Jahr 1985, „weil viel mehr Sprengbomben bei uns runterkamen.“ Ihr Keller, in dem nun auch die Nachbarn aus den bereits zerstörten Häusern hocken, hält das Bombardement aus. Als Gunda Karg und die anderen den Schutzraum unter dem Haus Wilhelmsplatz 9 gegen 14 Uhr wieder verlassen, herrscht ringsum nur noch Tod und Verwüstung. Weite Teile des Wilhelmsplatzes sind ein qualmender Trümmerhaufen, die Friedrich-von-Schiller-Straße zum Bahnhof hin aufgerissen von Bombentrichtern in dichter Folge. An der Goethestraße hat es einige Gebäude weggerissen, ebenso in der Nibelungenstraße.

„Sofort nach den Angriffen fahre ich zum Wilhelmsplatz“, notiert NS-Oberbürgermeister Fritz Kempfler später. Und weiter: „Das Bild, das sich mir bietet, ist schrecklich genug: Ganze Häuserreihen in sich zusammengestürzt, mehrere Großfeuer und zwischen den Ruinen die Leichen unserer braven Feuerwehrleute neben ihren brennenden Fahrzeugen.“ Anschließend besichtigt Kempfler den Bahnhofsplatz und das Gelände der Mechanischen Baumwollspinnerei. Dort hat ein Luftschutzdeckungsgraben in der Rosestraße einen Volltreffer erhalten. „Etwa 100 Personen, hauptsächlich Fremdländer, sind hier verschüttet“, schreibt Kempfler.

Am Ende bleibt eine schreckliche Bilanz: Nach offiziellen Zahlen sind 88 Tote, 67 Verwundete und über hundert Verschüttete zu beklagen. Alleine 35 Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine sind auf dem Gelände der Mechanischen Baumwollspinnerei umgekommen. Es gibt aber auch andere Quellen, die von bis zu 150 Toten an diesem Tag ausgehen.

239 Hauseigentümer sitzen am 5. April 1945 auf ihren Trümmern. Unter ihnen auch Festspielchefin Winifred Wagner. Denn auch die Villa Wahnfried wird von einer Bombe getroffen. Unterm Strich sind 121 Häuser völlig zerstört, 118 Gebäude schwer oder erheblich beschädigt. 1678 Bürger haben an diesem Tag ihr Obdach verloren.

Nach Kriegsende wird bekannt, dass Bayreuth an diesem Tag einer viel größeren Katastrophe entgangen ist, denn: Aufgrund von Navigationsfehlern erreicht nur ein Bruchteil der in England gestarteten US-Bomber Bayreuth – die anderen Maschinen werfen ihre todbringende Last über Plauen ab. 111 Maschinen mit 500 Tonnen Bomben sind nördlich von London mit dem Ziel Bayreuth-Rangierbahnhof losgeflogen. Lediglich 39 von ihnen fliegen das Ziel auch an. Abgeworfen werden dabei 55,5 Tonnen Sprengstoff und 30 Tonnen Brandbomben. 75 weitere Maschinen sind mit dem Ziel Bayreuth-Kasernen gestartet – in diesem Bereich erfolgt jedoch kein Angriff. Wie groß bereits an diesem Tag die Zerstörung gewesen wäre, hätten mehr als 180 Maschinen angegriffen, lässt sich nur ungefähr erahnen.

„Die Dunkelheit bricht herein und deckt die Bilder des Grauens mit ihren Schatten zu“, notiert Oberbürgermeister Kempfler am Ende dieses Tages. Doch das Schlimmste ist noch nicht überstanden: Am 8. April bringt ein weiterer Luftangriff Tod und Verwüstung über die Stadt. Und das Inferno vom 11. April schließlich wird Bayreuth schlimmer treffen, als die bislang größte Katastrophe in der Stadthistorie: Der Angriff der Hussiten am 6. Februar 1430.

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