„Was bedeutet das eigentlich?“

Bayreuth
 Foto: red

Der Bayreuther Künstler Wo Sarazen verwandelt für die Dauer der Festspielzeit sein Haus in eine Galerie.

 
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Rost, Moder, Zerstörung. Dinge vergehen, Dinge entstehen neu. Der Bayreuther Künstler Wo Sarazen, der mit bürgerlichem Namen Werner Baumann heißt, spielt mit diesem Kreislauf. Er bohrt ein Loch in eine alte Zinnkanne. Flüssigkeit kann man nicht mehr hineinfüllen, aber die Zeitung kann man hineinstecken. Er hängt eigene Kunstwerke in seinem feuchten Keller auf und stellt den Prozess ihrer Zersetzung aus, so wird aus einem kühlen Kellergewölbe ein Verrottungsmuseum. Wo Sarazen versiegelt historische Bücher, die bis zu 500 Euro wert sind. „Ich mach sie einfach kaputt“, sagt er. Mit gesenktem Kopf steht er vor einer alten Kommode. Ihre hellbraune, glänzende Oberflache spiegelt das Licht von der Decke. Ihre Front ist in zwei großen Bögen geschwungen. Für Sammler mag dieses Möbelstück einiges wert sein. „Ich will es in vier Teile zersägen“, sagt Wo Sarazen und lacht.

Drei Stockwerke

Während der Bayreuther Festspiele öffnet Wo Sarazen die Pforten seiner Villa für Besucher. Drei Stockwerke voller Kunst erwarten die Gäste. Unzählbar viele Bilder, Skulpturen, Arrangements. Es müssen Tausende sein. Und wenn Wo Sarazen vor seinen Werken steht, ist er manchmal selbst sprachlos. „Und dieses hier bedeutet... ja, was bedeutet das eigentlich? Und wer hängt sich so was auf?“

Sein Künstlername kam Baumann im Traum. Er träumte, er sei ein Sarazene und träfe in einer Schlacht auf einen Kreuzritter. Nachdem der Kreuzritter von seinem Pferd gefallen sei, habe ein Fürst Wo Sarazen im Traum befohlen, den Feind zu töten. Wo Sarazen aber habe sich gegen den Fürsten gewandt und ihn getötet, dem Kreuzritter hingegen wieder auf die Beine geholfen. „Arm in Arm gingen wir dann durch das Schlachtfeld.“

Wo Sarazen ist ein schräger Typ, und dessen ist er sich bewusst. Er provoziert. Zum einen mit seiner Kunst, wenn er einen Jazzmusiker aus wirren, unklaren Linien malt, dessen offensichtlichster Vorzug ein großer Penis ist. Aber er provoziert auch mit Worten. Auf die Frage, ob er politisch sei, antwortet Wo Sarazen: „Politik ist eine Hure.“ Provokant sind auch Wo Sarazens Ideen. Er lässt Taxen voller Außerirdischer vorfahren. Die Türen öffnen sich und heraus kommt – niemand. „Die Außerirdischen sind unsichtbar“, sagt Wo Sarazen.

Rauschebart

Wer sich zu einem Besuch in Wo Sarazens Domizil aufmacht, muss auf einiges gefasst sein. Denn er verbringt seine Zeit dort nicht nur mit einem Künstler, sondern mit einem Geschichtenerzähler. Einem 89-Jährigen mit Rauschebart, der viel erlebt hat und dessen Blick beim Erzählen an einem Punkt irgendwo an der Wand verweilt. Als gebe es dort etwas, was nur er sehen kann, als liefe alles, was er erzählt, wie ein Film vor seinem Auge ab. Wo Sarazen erzählt viele Geschichten – verrückte, lustige, ernste.

Er erzählt von Visionen, die er hat. Von übersinnlichen Erlebnissen. Davon will er allerdings nichts in der Zeitung lesen. „Die Leute verstehen das alles nicht. Stattdessen halten sie mich für verrückt.“ Ob es ihn denn störe, dass mancher ihn für einen Spinner hält? „Nein! Weil die Leute mich für verrückt halten und dabei nicht merken, wie verrückt die Welt um sie herum ist.“ Wo Sarazen erzählt von Wilhelmine-Briefen, die er besitzt. Nur wo sie sind, das weiß er nicht. Verlegt hat er sie. „Aber irgendwann tauchen die schon wieder auf.“

Der 89-Jährige erzählt, dass er bis heute auf den großen Durchbruch als Künstler hofft. Ob er dafür nicht zu alt sei? „Irgendwo auf der Welt soll es in den Bergen Mönche geben, die 800 Jahre alt sind“, antwortet Wo Sarazen darauf. In einer anderen Stadt, glaubt er, hätte er es vielleicht längst geschafft.

Mit dem Cadillac über den  Markt

Träume hat Baumann immer noch. Zum Beispiel unbeschwert über Geld zu verfügen. Was er mit viel Geld in seinem Alter noch machen wolle? „In einem sechs Meter langen Cadillac, Baujahr 1951, über den Markt fahren. Mit fünf oder sechs jungen Mädchen auf der Rückbank. Und dann mit 100-Mark-Scheinen um mich werfen.“ Der Künstler, dessen Gedanken nicht immer im Heute zu sein scheinen, schweigt einige Augenblicke und schaut ins Leere. „Nein, wenn ich wirklich so viel Geld hätte, würde ich es dem Tierheim spenden.“ Und er würde meterhohe Bilder malen. Wo Sarazen liebt Tiere, vor allem Vögel. Die Vögel in der Eremitage hat er sogar zum Thema in seiner Kunst gemacht. Früher besaß Baumann einmal zwei Raben. In seinem Garten hatten die Tiere eine Voliere. Eines Tages holte sie der Marder. „Was hab ich an dem Tag geweint“, sagt Baumann.

Wenn er an seinen Arbeiten vorbeigeht, wirft er oft nur den Titel des Werkes in den Raum. „Schmerzensmänner“, schnauft er vor Bildern, die verzerrte Gesichter zeigen. Ein Schmerzensmann scheint er auch selbst zu sein. Die großen Holztreppen in seiner Villa hinkt Baumann hinauf. Unter seinen Füßen knarzen die Bretter. Baumann hat ein Kriegsleiden. „Am 14. Mai 1944, in Italien ist es passiert“, schnauft Baumann. Ein Geschoss verletzte sein Bein. Über einen Toten habe er robben müssen, um den Weg zurück zu den eigenen Linien zu finden. Welcher Nation der Tote angehörte, das weiß Baumann nicht mehr. „Und als ich nicht mehr konnte, dachte ich an die wunderschönen Mädchen in den Bars. Ich wusste: Da möcht’ ich noch mal hin.“

Nach einem Rundgang durch Baumanns Haus ist dem Besucher eines klar: Was der alte Mann mit dem Rauschebart erzählt, hat Hand und Fuß, wie verrückt es oft auch klingen mag. Schon vor zehn Jahren hat er Gedichte geschrieben, die die Eurokrise zum Thema hatten. Er installiert die Biografie von Helmut Schmidt hinter unzähligen Zigaretten; die von Franz Josef Strauß hinter einer Engelsfigur. Wo Sarazen ist sehr wohl politisch. Werner Baumann aber war noch nie wählen, sagt er. Surrealistisch und paradox sind seine Werke und seine Person gleichermaßen.

Die Luft im Verrottungsmuseum soll Wo Sarazens Kunst angreifen und zerstören. Dafür wird sie noch Jahre brauchen. Den Künstler selbst hat sie schon erwischt. „Lange kann ich hier unten nicht bleiben. Wegen des Beins und weil ich sonst krank werde.“


Das Wo-Sarazen-Museum in der Brandenburger Straße 36 hat noch bis zum 29. August geöffnet. Jeweils am Mittwoch, Freitag und Sonntag von 10 bis 16 Uhr.