Der Augenschein trügt

Von Michael Weiser
Der Künstler als Laubsägearbeit und halbiertes Porträt, mit Anspielung auf dem Buchcover: Peter F. Piening vor seinem Paravent im Kunstmuseum. Foto: Michael Weiser Foto: red

Peter F. Piening ist ein herausragender Zeichner und einer der bedeutendsten Objektkünstler, die in den vergangenen Jahren in Bayreuth zu sehen waren. Also, möglich wär’s zumindest. Was hingegen sicher ist: Eben jener Peter F. Piening würde angesichts solcher Lobeshymnen die feinen Hände in die Höhe recken und Unverständnis äußern. „Derlei Sprüche sind nichts als Hülsen“, sagt er, Sprachbeispiele aus der überdrehten Welt des Kunstmarktes.

 
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Weil aber Entrüstung auch nicht seins ist, eher feiner Spott (auch über sich selber), hat er das Urteil der Kunstgeschichte über sich schon mal selbst gesprochen und gleich aus dem Holz eines Paravents gesägt: „Peter F. Piening ist weltweit wahrscheinlich einer der Guinnessbuch-verdächtigsten Laubsäger des ausgehenden zwanzigsten und beginnenden 21. Jahrhunderts.“ Was einerseits ganz sicher stimmt, andererseits eben in seiner Ironie – also bitte, Laubsägearbeiten! – eine wohltuende Tendenz zum Tiefstapeln verrät. Insgesamt darf man sagen, dass die aktuelle Ausstellung mit Zeichnungen und Objekten Peter F. Pienings im Kunstmuseum – ganz unabhängig von ihrer Bedeutung – eine der unterhaltsamsten der vergangenen Jahre ist.

„Augenscheinlich“ heißt diese Ausstellung. Der Titel verweist auf den Hang, Sinneseindrücken den Rang der Objektivität zu verleihen. Was wir hören, spüren, sehen, nehmen wir wahr. Dabei liefern zum Beispiel die Augen doch nur begrenzte Informationen. Und diese Informationen interpretiert der Betrachter letztlich. Der Augenschein kann also täuschen.

Piening ist schwer einzuordnen

Derlei führt Piening schon in seinen frühen Zeichnungen vor. Salzschuppen am Strand zeigt eine Zeichnung, es könnten aber auch Eisschollen sein, oder Schneeverwehungen. Oder ein Gebirge. Der Maßstab macht das Bild genauso wie das Motiv. Diese Vieldeutigkeit zeichnet das gesamte Werk Pienings aus, dieser Hang zu Verunsicherung des Betrachters. Dennoch genießt man den Rundgang – weil Piening ein tatsächlich herausragender Zeichner ist.

Er ist schwer einzuordnen. Manche seiner Werke wirken fotorealistisch, entpuppen sich aber beim näheren Hinsehen als gezeichnete Collagen oder sinister inszenierte Wirklichkeit. Wo zum Beispiel stehen die Scheinwerfer, die die präzise abgebildeten Baumstämme eines Waldes so überstrahlen, dass sie teilweise wie überbelichtet wirken? Wer sucht da nach wem?

Motive ändern sich im Lauf der Zeit

Manche der frühen Zeichnungen aus den 60er und 70er Jahren wirken wie Traumgespinste. Surreal etwa ist seine „Landstraße“. Ein Paar auf Schlittschuhen wendet sich verwundert zur Ladefläche eines Lastwagens, von der Wehrmachtssoldaten mit erhobenen Händen springen. Piening fügt zusammen, was nur im Unterbewussten zusammenkommen kann: Flaneure auf unsicherem Grund und hilflose Soldaten. Eine Szene, die sich ins Gedächtnis eingebrannt hat. Aber woher? Aus Stalingrad? Woher nur kennt man dieses Bild?

In späteren Gemälden und Zeichnungen spürt Piening dem geheimen Leben der toten Gegenstände nach, Stillleben, die er aus Holzteilen kombiniert. Anfang der 80er Jahre verlässt er endgültig die Oberfläche und kombiniert Bilder aus Gefundenem – Objets trouvés. Bald entstehen räumliche Objekte, die den Betrachter schließlich zum Einsiedler werden lassen: Gehäuse, die sogar begehbar sind.

Höhepunkte der Ausstellung

Drei dieser Objekte bilden Höhepunkte der Ausstellung. Besagter Wandschirm, dazu zwei Gehäuse, in denen man Platz nehmen kann. Da hat Piening zum Beispiel einen Scherenschnitt von Anton Bruckner in den Mittelpunkt gestellt, man sieht den großen Symphoniker, wie er dirigiert – in Pienings Fundzusammenhang sind die ausführenden Musiker Vögel. Mit allerlei Aufgelesenem kombiniert Piening dieses spaßige Orchester zu einem regelrechten Mikrokosmos. Das ist nicht melancholisch, und doch denkt man an Fernand Khnoppfs großartiges symbolistisches Bild „Ich schließe mich in mich ein“. Im Wandschirm kombiniert Piening Sinnsprüche mit der wandernden Gestalt Sartres und der dozierenden Gestalt von Wilhelm Busch Lehrer. „Tut das Unnütze“ steht aus Holz gesägt darüber. Warum nicht? Wenn’s so unterhaltsam und so intelligent ist wie im Kunstmuseum, ist es absolut in Ordnung.

Wer will, kann sich ja immer noch den Reim zum Tage suchen. „Die öffentliche Meinung konnte hier stets das Beste verhindern, aber noch nie das Schlimmste.“ Auch das hat er gesägt, der Piening. An Bürgerbegehren in Bayreuth, so beteuert der Mittsiebziger, habe er dabei allerdings nicht gedacht.

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