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Briten in Bayreuth Das Brexit-Chaos entzweit sie

Von Charlotte Pekel

BAYREUTH. Zwei Wohnzimmer, eines in Eckersdorf, eines in Bayreuth. Zwei Tassen englischer Tee, einmal schwarz, einmal mit Milch. In Eckersdorf sitzt Joyce Hartung, in Bayreuth Terence Rees. Beide sind in England geboren und aufgewachsen. Und beide verfolgen, was in ihrer Heimat vorgeht. Der Unterschied: Joyce Hartung will keinen Brexit, Terence Rees schon. 

 
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Egal, ob oder wann es einen Brexit geben wird: Die 84-Jährige und der 65-Jährige werden davon kaum persönlich betroffen sein. Wer ihnen zuhört, bekommt einen anderen Eindruck. Spricht Joyce Hartung über ihre Heimat, lässt sie manchmal frustriert ihre Hand auf die Sessellehne fallen. Von Terence Rees kommt auf manche Frage nur noch ein „Ich weiß es nicht“. 

Joyce Hartung und Terence Rees kennen sich aus der Deutsch-Englischen Gesellschaft Bayreuth, den Brexit haben sie oft diskutiert. Verstehen können sie die Meinung des anderen nicht. „Wir wollen unsere eigenen Gesetze machen“, sagt Terence Rees. „Die EU ist das Tollste, was es überhaupt gibt“, sagt Joyce Hartung. 

In Bayreuth durch die Liebe gelandet

In Bayreuth sind beide durch die Liebe gelandet. Warum sie über den Brexit so unterschiedlich denken, ist schwer zu verstehen. Joyce Hartung ist in Sunderland, einer Hafenstadt in Nordost-England mit etwa 174.000 Einwohnern, geboren. 60 Prozent davon haben beim Referendum 2016 für den Brexit gestimmt.

Anfang des 20. Jahrhunderts war die Stadt von Schiffbau und Bergarbeit geprägt, in den 30er Jahren litt sie unter der Weltwirtschaftskrise. Joyce Hartung sagt: „Die Leute haben nach dem Niedergang dieser Industriezweige durch die Europäische Union sehr viel gewonnen.“ Da seien Parkanlagen, wo mal eine Schiffswerft war, ein Yachthafen mit schönen Skulpturen, ein Fischmarkt an der Flussmündung. „Und überall kleine Schilder, die sagen: Wir danken der EU.

Das zählt offenbar nichts.“ Auch, dass durch den Brexit 7000 Arbeitsplätze beim Autobauer Nissan, dem größten Arbeitgeber der Region, auf dem Spiel stehen, macht den Menschen in Sunderland offenbar keine Angst. „Ich weiß nicht, ob das in England völlig durchgedrungen ist, was da wirklich auf die Leute zukommt“, sagt Joyce Hartung.

„Man darf nicht vergessen, dass das Geld, das von der EU an Orte wie Sunderland geflossen ist, von uns kommt“, sagt Terence Rees. Er meint damit, dass Großbritannien auch Geld an die EU zahlt. „Und die hatten Glück, die haben Geld bekommen, aber andere Teile in England haben nichts bekommen.“

Die ganze Macht liegt bei der Kommission

Er findet die EU undemokratisch. Zwar könnten die Bürger die Abgeordneten im EU-Parlament wählen. „Aber die ganze Macht liegt bei der Kommission.“ Dass die EU-Kommission Gesetze beschließt, die für mehr als 500 Millionen Menschen – also alle Einwohner der EU – gelten, findet er falsch. „Das wird alles sauber ausgehandelt da oben.“ 

Terence Rees ist in Exeter geboren, einer Stadt mit knapp 130.000 Einwohnern im Südwesten Englands. Sein Vater war Lokführer, mit 15 ging er von der Schule, er wollte eine Druckerlehre machen. Daraus wurde nichts, er jobbte hier und da, brach eine Ausbildung ab und begann im Ausland zu arbeiten. Eine Agentur vermittelte ihn als Betonbauer. „Ich wollte schnell viel Geld verdienen und das ging damals in Deutschland.“

Er lernte seine Frau Ursula kennen und blieb. Terence Rees hat noch immer einen starken britischen Akzent, wenn er Deutsch spricht. Auch Joyce Hartung fand in Franken ihre große Liebe. Sie und ihr Mann schrieben sich vier Jahre lang Briefe, bevor sie 1957 in England heirateten und zunächst in Fürth, dann in Bayreuth lebten. Sie unterrichtete ein Jahr lang Englisch an der Volkshochschule beim Bundesgrenzschutz. Ihr britischer Akzent ist schwach, aber noch da. Ab und zu fränkelt sie sogar. 

Joyce Hartung spricht von der großen europäischen Idee, schätzt den Frieden und die Reisefreiheit. „Der Brexit wird den Briten bitter leidtun“, sagt sie. Terence Rees glaubt, dass „viele in Wirklichkeit nicht wissen, was Europa bedeutet“. Die Brexit-Gegner hätten nur das Bild eines friedlichen Europas vor Augen. Er gibt auch den Medien die Schuld, die pro Europa seien. „Die sagen nicht, wie es wirklich ist.“ 

Gehirngewaschen durch die Billigpresse

Auch Joyce Hartung gibt den Medien eine Mitschuld. Über ihre Landsleute in Sunderland, die Brexit-Befürworter, sagt sie: „Ich weiß nicht, was
in die gefahren ist, außer dass die gehirngewaschen sind durch die Billigpresse.“ 

Das Brexit-Chaos brodelt auch in Bayreuth. Terence Rees ist Brexit-Verfechter, seine Frau ist Europäerin. Zu Hause sprechen sie nicht mehr über das Thema. Die Nachrichten schauen sie getrennt mit Kopfhörern, er auf Englisch, sie auf Deutsch. Terence Rees ärgert es, dass im britischen Parlament jeder seinen eigenen Kampf kämpft. Er selbst ist der Einzige in seinem deutschen Familien- und Freundeskreis, der pro Brexit ist.

Auch gegen Joyce Hartung hat er schon gekämpft. Gemeinsam haben die beiden nur eines: ihren Ärger über die britische Politik. „Ich finde es peinlich und beschämend, wie sich meine Landsleute im Parlament verhalten“, sagt Joyce Hartung.

Ob es am Ende trotz Aufschubs einen Brexit geben wird? Joyce Hartung wölbt ihre Handflächen: „Ich habe keine Kristallkugel, ich habe keine Ahnung.“

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