Box-Professor Wagner: Weiter geht's

Von Jürgen Schott

Warum kommt eigentlich ein Sportredakteur zum Interview, wenn ein Arzt in den Ruhestand geht?“ Gute Frage eigentlich. Doch weiß der Fragesteller, Professor Dr. Walter Wagner, natürlich selbst ganz genau, dass er nicht nur in eine Schublade, nämlich die medizinische, passt. Es hätte auch der Kollege aus dem Lokalen an der Tür des Hauses am Rande des Roten Hügels klingeln können. Oder ein Gesellschaftsreporter. Oder ein Auslandskorrespondent. Denn Wagner wirkte und wirkt äußerst vielschichtig. Als Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am Bayreuther Klinikum freilich nahm er knapp zehn Monate nach seinem 65. Geburtstag zum Jahresende Abschied.

 
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Nun sitzt ihm aber ein Sportexperte gegenüber. Denn Walter Wagner stand und steht für die breite Öffentlichkeit am ehesten im Rampenlicht, wenn er bei bedeutenden Boxkämpfen als Ringarzt im Einsatz ist. „In den Hochzeiten des Profiboxens war ich fast an jedem Wochenende für den Sport unterwegs, bin mit meinem Auto bis zu 60 000 Kilometer im Jahr gefahren.“ Wenn Henry Maske, Graciano Rocchigiani, Arthur Abraham und viele andere um WM-Ehren kämpften, hatte der in Pegnitz aufgewachsene Bayreuther ein wachsames Auge und die Hoheit, den Fight bei Verletzungen zu stoppen.

Start bei den Amateuren

Wie verschlug es ihn überhaupt zu den Boxern? Nach abgeschlossenem Studium und während seiner sechsjährigen Facharzt-Ausbildung in Erlangen (Chirurgie, Unfallchirurgie und Gefäßchirurgie) bekam er die Chance, die besten deutschen Amateurboxer medizinisch zu begleiten. Es wurde mit dieser Sportart, die Wagner selbst als Schüler kennengelernt hatte, eine Verbindung fürs Leben.

Anekdoten rund um den Sport fallen dem „Box-Professor“ (Bild-Zeitung) im Minutenabstand ein. Eine gefällig? „Ich war lange Mannschaftsarzt bei den Fußballern des 1. FC Nürnberg. Einmal, im Heimspiel gegen Köln, wurde Uwe Rösler schon nach fünf Minuten ungerechtfertigt vom Platz gestellt. Er wollte auf den Schiedsrichter losgehen; ich ahnte das und stoppte ihn mit einem Faustschlag und einem Catchergriff.“ Wozu eine Boxausbildung so gut ist…

Aus Schwärmerei wird Ernst

Den Wunsch, Mediziner zu werden, hatte Wagner schon seit Beginn seiner Zeit am Pegnitzer Gymnasium. „Anfangs war es eine Schwärmerei“, erinnert er sich. Dass er dann 1964 mit 13 Jahren miterleben musste, wie sein zwei Jahre jüngerer Bruder Lothar den Kampf gegen eine unheilbare Krankheit verlor, bekräftigte indes sein Vorhaben.

Seit September 1994 war er gut 22 Jahre lang Chef der Bayreuther Unfall-Chirurgie, zudem noch Leitender Arzt des Rettungshubschraubers Christoph 20. Zuvor in Erlangen hatte er großen Anteil daran gehabt, dass Gerd Schönfelder, der spätere Paralympics-Ski-Olympiasieger aus Kulmain, seinen Bahn-Unfall überlebte.

Fußball mit den Mitarbeitern

„Wir haben einfach ein tolles Klinikum mit tollen Mitarbeitern“, lautet Wagners Fazit seiner längsten beruflichen Station. Seinen Führungsstil beschreibt er so: „Du musst nicht den Chef raushängen lassen, sondern zeigen, dass du als Vorgesetzter für deine Leute durchs Feuer gehen würdest.“ Dazu passt auch, dass er gemeinsames Fußballspielen von Medizinern, Pflegern und Personal ins Leben rief.

Gibt es etwas, was ihn noch heute ärgert? „Schade war es, dass das Med-Center, für das ich mit die Idee hatte, nicht unter der Obhut des Klinikums entstanden ist. Dieser Tagesordnungspunkt war dort einfach gestrichen worden. Wolfgang Gruber nahm das Vorhaben dann in seine Hände. Und nun haben wir leider quasi eine private Konkurrenz in der eigenen Stadt.“

Im Med-Center wird sich der Vater dreier erwachsener Töchter künftig engagieren, „um die Sportmedizin-Schiene auszubauen“. Bei der SpVgg Bayreuth arbeitet er im Aufsichtsrat mit, die in Bayreuth boomenden Sportarten Basketball und Eishockey verfolgt er, „wenn es meine Zeit zulässt“, gern live. Für den EHC („Ich ziehe den Hut, vor dem, was die Wendels dort aufgebaut haben“) hat er ebenso viel Lob wie für die Medi-Verantwortlichen: „Dort sieht man, was möglich ist, wenn Sponsoren da sind und ein Verein seriös arbeitet.“

Kontakt mit Ali und Schmeling

Wagners sportlicher Nebenjob sorgte auch dafür, dass Box-Prominenz en masse nach Bayreuth kam. „Evander Holyfield, Maske, Rocky, also Graciano Rocchigiani – alle kamen sie ins Klinikum, um sich behandeln oder durchchecken zu lassen“, sagt der Mann, der nicht nur medizinische Koryphäen, sondern auch die Box-Größen Muhammad Ali und Max Schmeling persönlich kennenlernte, sich quasi Seite an Seite mit Formel-1-Star Michael Schumacher als Finanzier in Sarajevo um Hunderte kriegsverletzter Kinder kümmerte und auch im Irak und Libyen Gutes tat.

Wagners soziales Engagement ist mit dem beruflichen Ausstand natürlich noch nicht zu Ende. Wie der 65-Jährige, der zugibt, dass er „nicht unbedingt gesund“ lebt, das alles schafft? „Keinen Urlaub machen“, sagt er schmunzelnd in Anspielung darauf, dass für die Ringarzt-Aktivitäten viele freie Tage draufgingen. Ernster fügt er hinzu: „Positiver Stress hält einen gesund. Ich halte mich an das Motto: Gesundheit ist Anpassung.“

Info: Dr. Michael Müller ist Nachfolger von Wagner als Chefarzt der Bayreuther Unfall- und Wiederherstellungschirurgie. Der 43-Jährige war zuvor am Universitätsklinikum Regensburg tätig.

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