Beleidigung Mit Tabletten gegen die Angst

Von Julian Seiferth
Die Berufung eines 66-jährigen Rentners hatte keinen Erfolg: Die Verurteilung wegen Beleidigung hat Bestand. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

BAYREUTH. Klappe, die Dritte: Nachdem ein heftiger Nachbarschaftsstreit bereits im vergangenen Herbst und im Mai 2019 das Amtsgericht Bayreuth beschäftigt hatte, kam es nun zur dritten Verhandlung. Angeklagt war erneut ein 66-Jähriger aus dem südlichen Landkreis, erneut ging es um Beleidigung.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Kurzer Rückblick: Am 8. Mai wurde der Rentner schon einmal wegen Beleidigung verurteilt. Er hatte die 800 Euro, mit denen das Verfahren bereits im Herbst eingestellt worden war, nicht bezahlt – „aus Prinzip nicht“, wie er zu Richter Torsten Schwarz am Freitagvormittag sagte.

Schwarz hatte auch in jenem ersten Prozess die Sitzungsleitung inne gehabt. Also kam es zu der Verhandlung im Mai, wo der Rentner die Beleidigung mehr oder weniger im Versehen gestand und zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

Neue Verteidigungslinie

Richter Alois Meixner hielt es damals für erwiesen, dass er seine Nachbarin als Suizidamsel beleidigt hatte. Noch im Gerichtssaal kündigte er die Berufung an, die nun erneut das Amtsgericht beschäftigte.

Nachdem der Angeklagte im Mai noch ohne Rechtsbeistand erschienen war, kam er diesmal in Begleitung seines Verteidigers Ernst-Anton Eder.

Der hatte ihm wohl zu einer neuen Verteidigungslinie geraten: Sein Mandant habe die Frau nicht gesehen, weil er mit seinem Freund in der Garage gestanden sei – also mit dem Mann, der sich kurz zuvor auf das Grundstück eben jener Nachbarin erleichtert haben soll. Die Frau haben ihn dabei fotografiert.

Ansprache nicht relevant

An dieser Stelle setzte Eders Strategie an: kurz darauf habe der Freund den Angeklagten gefragt, wer das gewesen sei. Dieser habe nur geantwortet: „Das war die Suizidamsel.“ Dass die Frau das gehört habe, sei ihm nicht klar gewesen.

Richter Schwarz widersprach: Es sei völlig klar gewesen, dass die Nachbarin noch in der Nähe war. „Sie kann sich ja nicht einfach in Luft auflösen.“ Für eine Beleidigung sei es außerdem völlig egal, ob dabei der Beleidigte direkt angesprochen wird oder nicht.

Die Verteidigung wich dennoch während der gesamten Verhandlung nicht von ihrer Linie ab – auch dann nicht, als der 40-jährige Freund, der Angeklagte selbst und seine Ehefrau sich gegenseitig widersprachen.

"Finden Sie es nicht unanständig?"

Der Freund erklärte, er könne sich nicht daran erinnern, was der Rentner wann zu ihm gesagt habe. Er wisse nur noch , dass er auf das Nachbargrundstück uriniert habe und dabei fotografiert worden sei.

Unfreiwillig schlimmer machte es dann die Ehefrau des 66-Jährigen. Diese sagte aus, dass ihr Mann dem irritierten 40-Jährigen an Ort und Stelle erklärt hätte, dass die Fotografin „die Suizidamsel“ gewesen sei. Sie selbst habe sich nur über das Foto aufgeregt, „unanständig“ sei das.

Richter Schwarz, sichtlich irritiert, bohrte nach: „Finden Sie es nicht unanständig, in den Garten zu pinkeln? Oder jemanden Suizidamsel zu nennen?“

Eindeutige Beleidigung

Auch die Erwiderung, dass die Nachbarin ja bereits einen Selbstmordversuch hinter sich habe, stellte Schwarz nicht zufrieden: „Die Frau fährt doch sicher auch mal in den Urlaub, oder isst Pizza. Nennen Sie sie dann auch Pizza-Esserin oder Urlauberin?“ Die Bezeichnung sei eindeutig als Beleidigung gewählt worden.

Die Geschädigte selbst machte einen ruhigeren Eindruck als noch vor drei Monaten. Trotz der offensichtlichen Nervosität und ihrem sichtbaren Zittern war die Stimme gefasst, als sie von dem kaputten Verhältnis zu ihren Nachbarn erzählte.

Der 66-Jährige habe seinem Freund nichts erklärt, er habe sie angebrüllt. Das alles sei Teil seiner Strategie: „Er weiß von meinem Selbstmordversuch und erzählt das auch weiter. Ich bin labil, und das greift er an.“

Ruhe nur durch Medikamente

Ihre relative Ruhe kommt nicht von ungefähr: die 43-Jährige nimmt starke Beruhigungstabletten, um die Verhandlung zu überstehen. Ihr Psychiater hat ihr ein Attest ausgestellt: Der Streit zermürbt die Frau, sie entwickelt depressive Symptome, wie sie nach der Verhandlung erklärte. Ihre Familie führe sogar Tagebuch, um auf nicht gerechtfertigte Anzeigen des Nachbarn reagieren zu können.

Am Ende hielt Richter Torsten Schwarz, auch auf Forderung von Staatsanwältin Anja Lettenbauer, das Urteil vom Mai aufrecht.

Für den Rentner steht somit nach wie vor eine Geldstrafe von 1000 Euro aus. Ob er diese zahlen wird, ist nach wie vor unklar: Wie schon drei Monate zuvor kündigte er an, sich gegen das Urteil wehren zu wollen.

Bilder