Beckmesser: "Es ging ums Überleben"

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Johannes Martin Kränzle singt heuer den Beckmesser. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Er spielt viele Instrumente, komponiert, liebt das Schauspiel und – war schwer krank. Im Kurier-Interview spricht Johannes Martin Kränzle über den Kolbenfresser im Gesang des Beckmesser und über seine Erfahrungen in einer Situation, in der auch alles hätte vorbei sein können.

 
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Herr Kränzle, Sie sind vermutlich der erste Beckmesser, der selbst schon eine Oper komponiert hat.

Johannes Martin Kränzle: Das könnte sein.

Ihre Kammeroper trägt den Titel „Der Wurm“. Ist damit Fafner gemeint?

Kränzle: Nein, das Thema des Kompositionswettbewerbs hieß „Adam und Eva“. Der Titel „Der Wurm“ beinhaltet, dass es eher eine Farce sein soll. Ich habe aber auch schon in meiner Schulzeit zwei Abendfüller geschrieben: „Hexensabbat“ und „Hera und Polyester“.

Hatten Sie damals den Wunsch, Komponist zu werden?

Kränzle: Nein, ich habe viele Instrumente gespielt und im Chor gesungen. Etwas aktiv mit anderen zu machen, war für mich immer wichtiger als nur im Kämmerchen zu sitzen und zu komponieren. Komponist ist schon ein einsamer Beruf.

In welchem Stil haben Sie damals geschrieben?

Kränzle: Das war ein Freestyle, der sich ein bisschen am klassischen Jazz orientiert. Da es eine Farce war mit nur sechs Instrumenten und vier Sängern, klingt es so wie, na ja...

Strawinsky?

Kränzle: Sagen wir: Zwischen Strawinsky und Augsburger Puppenkiste.

Von Richard Wagner waren Sie also eher nicht beeinflusst.

Kränzle: Das spielt in meiner Musik keine Rolle. Auf meiner Webseite kann man übrigens meine neueste Komposition hören: Lieder um Liebe, Brechts Liebesgedichtsvertonungen für Sängerin und Streichorchester. Ich habe eine neue Musiksprache für Brecht versucht, lyrischer als üblich, aber es ist keine avantgardistische Musik.

Verhunzt oder avantgardistisch?

Würden Sie denn das verhunzte Lied von Beckmesser als avantgardistisch oder einfach nur als missraten bezeichnen?

Kränzle: Es gab ja Untersuchungen, dass das die wirklich moderne Musik in diesem Stück sei. Das kann ich so einfach nicht unterschreiben. Ich glaube, dass es eher ein diese Regeln der Meistersinger strikt einhalten wollendes Singen ist, was sich aber dann wie ein Kolbenfresser immer weiter verhärtet. Und irgendwann macht Beckmesser selber diese Fehler, die er dem anderen angekreidet hat. Dann wird es lächerlich und unsinnig. Aber das ist schon toll gemacht. Man hört am Anfang: Wenn er nicht gestört werden würde, oder er den Text richtig lesen könnte, dann würde er gut singen können. Er ist ja einer der guten Meistersinger. Man merkt, dass der Anfang allen Regeln entspricht. Das Lied hat auch eine schöne Grundmelodie. Aber da Hans Sachs ständig hämmert, kann es nichts werden.

Das heißt, die Grundhaltung von Beckmesser ist eine konservative, weil er alle Regeln einhalten will.

Kränzle: Ja, es wirkt aber ein bisschen modern, weil dauernd Quarten gesungen werden. Aber deswegen ist es noch keine moderne Musik.

Sondern ein Malheur.

Kränzle: Das macht die Figur aber auch so spannend, weil wir alle diese Situation kennen: dass man einen Vortrag halten muss, dass man ein Vorstellungsgespräch hat, man gut präpariert ist, und plötzlich kommt irgendeine Irritation und man kommt aus dem Konzept, verhaspelt sich, kriegt den Faden nicht mehr und der Angstschweiß bricht aus. Dadurch ist uns Beckmesser viel näher, als wenn er nur als Witzkarikatur gezeigt wird. In jedem von uns ist diese Angst des  Versagens. Dadurch ist es eine recht menschliche Figur. Es ist zumindest mein Anspruch, dies zu zeigen. Ich denke, es ist langweilig, wenn man nur versucht, witzig zu sein. Der Witz muss in der Situation entstehen. Man darf nicht auf die Pointe zusteuern, man muss sie entstehen lassen.

Was sicher nicht einfach zu spielen ist.

Kränzle: Ja, das andere ist sicher einfacher, aber auch platter.

Das Schauspielerische scheint Ihnen ja großen Spaß zu machen, was Sie bereits als Beckmesser in Frankfurt bewiesen haben.

Kränzle: Ich komme eigentlich aus einer Mischung: Privat gehe ich mehr ins Schauspiel als in die Oper, weil es mir im Darstellerischen immer wieder neue Impulse geben kann. Auch um zu sehen, was kann man machen, was geht nicht. Ich habe ja ganz am Anfang begonnen, Musiktheaterregie zu studieren und erst später Gesang. Mein Ansatz war immer schon das Gesamte. Ich finde nichts langweiliger als eine Bellini-Oper, wo alle nur die Hände ausfalten.

Das sieht man aber nicht mehr allzu oft.

Kränzle: Komischerweise sieht man in der ganz jungen Generation von Sängern, die tolle Stimmen haben, sich aber keine Zeit für szenischen Unterricht nehmen, plötzlich wieder die Klischees, die man schon ewig nicht mehr gesehen hat. Da spiegelt sich wider, dass die wilderen Zeiten der Opernregie schon 20 Jahre zurückliegen. Im Moment findet eher eine Konsolidierung, teilweise im guten, teilweise aber auch im bedenklichen Sinn, statt.

In Salzburg wurden heuer 50 Jahre alte Bühnenbilder von Günther Schneider-Siemssen nachgebaut...

Kränzle: Das finde ich völlig langweilig. Entweder man lässt die Produktionen so lange im Repertoire, weil sie so viel taugen...

So wie bei Otto Schenk ...

Kränzle: ... oder man macht sie neu.

Wie stehen Sie denn zu den verherrlichenden Schlusschören in den „Meistersingern“?

Kränzle: Die Sicht, die da textlich komponiert ist, kann ich nicht teilen. Ich halte das für einen verheerenden Irrtum, wenn hier von welschem Tand die Rede ist. Man muss in irgendeiner Form dazu Stellung nehmen. Man kann das nicht einfach so runterspielen. Man muss es ja nicht mit erhobenem Zeigefinger machen. In Frankfurt hat man, als die Chöre kamen, nur Springerstiefel gesehen, aber nicht die Menschen. Die haben hinter einem Gaze-Vorhang gesungen, um das, was danach kam, anzudeuten.

Peter Konwitschny hat in Hamburg das Stück kurz vor Schluss unterbrochen und die Frage diskutiert, was hier eigentlich gesungen wird.

Kränzle: Da ist die härteste Lösung, musikalisch ist es sicher nicht die beste. Aber das musste mal sein.

Innerhalb weniger Wochen tödlich erkrankt

Herr Kränzle, Sie mussten krankheitsbedingt eine längere Auszeit von der Opernbühne nehmen. Haben Sie die Krankheit gut überstanden?

Kränzle: Es war eine Knochenmarkerkrankung, die von einem Tag auf den anderen passiert ist. Innerhalb weniger Wochen war ich tödlich erkrankt. Wenn ich nicht sofort einen Spender gehabt hätte – das war einer meiner Brüder –. dann gäbe es mich nicht mehr.

Es musste eine Knochenmarktransplantation gemacht werden.

Kränzle: Von meiner spezifischen Erkrankung gab es nur ganz wenige Fälle. Ich hatte das große Glück, dass mein Bruder kompatibel war. Mein gesamtes Blut wurde zerbombt. Ich war dafür sechs Wochen in einem Quarantänezimmer. Da ist man nicht lebensfähig, man kriegt Injektionen mit den Stammzellen des Bruders, dann muss man warten, ob es klappt oder nicht. Klappt es nicht, verabschiedet man sich innerhalb von zwei Wochen gedanklich. Wenn es klappt, hat man die Chance, weiterzuleben.

Ihr Bruder hat Sie gerettet.

Kränzle: Es ist wie ein Wunder. Vor einem Jahr konnte ich nicht mal  eine Treppe hochgehen, jetzt fahre ich mit dem Fahrrad den Grünen Hügel hoch. Ich bin einer der wenigen, der nach so einer Krankheit wieder körperlich arbeiten kann. Insofern habe ich Glück oder einen starken Willen gehabt. Als ich dann zum ersten Mal wieder auf der Bühne stand – das war in „Cosi fan tutte“ in London –, war das unbeschreiblich. Mir sind nach der Vorstellung nur die Tränen gelaufen.

Gehen Sie jetzt anders durchs Leben?

Kränzle: Es gab zwei Todesmomente, in denen ich wusste, es könnte jetzt zu Ende sein. Ich wurde dabei ganz ruhig, obwohl ich zuvor gedacht hatte, man kämpft. Seit ich das erlebt habe,  bin ich mit  vielem sehr viel gelassener. Andererseits würde ich nicht behaupten, ich bin jetzt ein komplett anderer Mensch.

Wie reagierte die Branche?

Kränzle: Es gab durch die Krankheit einige Opernhäuser, die sich rausgezogen haben. So etwas ärgert mich dann trotzdem noch – dass man nicht einmal fragt, wie geht es dir eigentlich, sondern dass man gleich einen anderen nimmt. Andere Häuser aber hielten zu mir und haben sogar während der Krankheit neue Angebote gemacht.

Da ist der Markt manchmal brutal.

Kränzle: Ja, aber das wusste ich vorher bereits. Ich habe zwei Jahre während der Krankheit nichts mehr verdient, aber diese Dinge haben mich nicht mehr belastet. Für mich ging’s ums Überleben.

In der Oper geht es ja auch oft um existenzielle Situationen. Stehen Sie mit Ihrer Erfahrung jetzt anders auf der Bühne als zuvor?

Kränzle: Nach der Krankheit habe ich zunächst das Oratorium „Paulus“ in Frankfurt gesungen, wo ich seit vielen Jahren lebe. Man hat gemerkt, dass sich das Publikum sehr gefreut hat, dass ich überhaupt wieder zurückkam. In dem Oratorium gibt es die Arie „Herr, verwirf mich nicht“. Das hat mich überwältigt, weil es emotional so nah an der Kante dessen war, was ich gerade erlebt hatte. In der Oper ist mir das bisher noch nicht passiert. Aber das Oratorium hat noch eine andere Dimension.

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