Bayreuth Sitzen ist das neue Rauchen

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Olympiasieger Fabian Hambüchen warb an der Uni für mehr Bewegung. Die 350 Bayreuther Studenten nehmen mit Aktivitätstrackern an einer Studie teil. Foto: Andreas Harbach Foto: Andreas Harbach - Hagenstrasse 19b - 95448 Bayreuth - mobil 0170 8655 275 - kontakt@andreasharbach.de - www.andreasharbach.de

Bayreuth Von Ute Eschenbacher Fabian Hambüchen, Olympiasieger im Turnen, ist vom Spitzensportler zum Studenten geworden. Nach dem Ende seiner internationalen Sportlerkarriere studiert der 30-Jährige an der Deutschen Sporthochschule in Köln. An der Universität Bayreuth verriet er Studenten Motivationstricks, damit sie sich mehr bewegen.

 
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Das Projekt Smart Moving der Universitäten Bayreuth und Regensburg untersucht derzeit das Bewegungsverhalten von Studenten. Von 700 Studierenden werden Bewegungsmuster, Tagesabläufe und Verhaltensweisen erfasst. Unterstützt wird die Untersuchung von der Techniker Krankenkasse und dem Kompetenzzentrum für Ernährung. Die Studenten können sich über einen Ideenwettbewerb einbringen.

Wir sitzen zu viel

In der Vorlesung, im Seminarraum und in der Bibliothek: Studenten sitzen tagsüber zu viel. Die Bewegung kommt im Studienalltag zu kurz. Der früherer Profisportler Fabian Hambüchen kennt das nur allzu gut. Der ist derzeit selbst Student und bekennt: „Auch ich muss mich jeden Tag in den Arsch treten.“ Hambüchen spricht im Hörsaal offen über seine Karriere und das Ringen, eine Balance zwischen Training und Studium zu finden. Denn den inneren Schweinehund überwinden müsse jeder, egal ob Freizeit- oder Profi-Sportler.

"Die Psyche muss mitspielen"

Hambüchen, der von seinem Vater Wolfgang trainiert wurde, verbrachte in früheren Zeiten 32 Stunden in der Woche in der Turnhalle, wie er den Zuhörern schildert. Heute geht er nur noch zum Krafttraining, was an seinen muskelbepackten Oberarmen zu sehen ist. Entscheidend sei, so der erfolgreiche Turner, eine positive Haltung gegenüber Sport und Bewegung einzunehmen: „Die Psyche muss mitspielen. Ich gehe nicht ans Reck und überlege mir, dass ich runterfallen könnte.“ Hambüchen beschäftigte eigens für mentales Training einen Onkel als Coach.

Mit Spaß verbinden

Jeder solle sich die Frage stellen, was ihm Spaß an Bewegung mache, rät er. „Versuche, die beste Version von der selbst zu sein“, sei sein Motto gewesen. „Und wenn ich etwas anpacke, dann mache ich es zu hundert Prozent oder lasse es bleiben.“ Mit einem guten Zeitmanagement dürfte es jedem möglich sein, zehn bis 15 Minuten Sport pro Tag zu betreiben. Im Alltag Treppen steigen, mit dem Rad fahren und Laufen gehen könne jeder. Mit der Techniker zusammen hat Hambüchen ein Acht-Minuten-Workout fürs Büro entwickelt.

Ehrgeiz und Ausdauer

Hambüchen ist ein Ausnahmesportler: Mit erst zwölf Jahren gewann er seinen ersten deutschen Meistertitel und wurde später vier Mal Jugendeuropameister. 2004 nahm er an den olympischen Spielen in Athen teil. Als jüngster deutscher Teilnehmer erturnte er sich am Reck einen siebten Platz. 2005 wurde er Europameister am Reck, im Oktober 2007 in Stuttgart Weltmeister. 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking gewann er die Bronzemedaille, 2012 in London Silber. 2015 erkämpfte er sich bei den Europaspielen am Reck sogar Gold. Ein Jahr später gewann er bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro die Goldmedaille am Reck, obwohl er zuvor aufgrund einer Verletzung gar nicht ausreichend trainieren konnte.

Das Projekt Smart Moving

Wie lässt sich die Zeit verringern, die wir sitzen? Das ist die Kernfrage, um die es in dem Projekt „Smart Moving“ gehen soll. Dabei sind nicht die Sportbegeisterten die Hauptzielgruppe, sondern eher diejenigen, die im Alltag zu wenig Bewegung haben sagt Thomas Holm, bei der Techniker Kasse Leiter der Gesundheitsförderung. So könnten in Zukunft neue Arbeitsformen entwickelt werden, die das lange tägliche Sitzen reduzieren. Beispiele hierfür gibt es bereits: Die Firma Walkolution erfand etwa eine Kombination aus Laufband und Schreibtisch. „Besser als Sitzen ist das Arbeiten im Stehen“, sagt Erik Söhngen von Walkolution. Der Nutzer steuert dabei die Geschwindigkeit des Laufbands selbst. Er kann sich auch zurücklehnen und pausieren. „Die Steuerung erfolgt intuitiv“, erklärt Söhngen.

Von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen wird, 10 000 Schritte am Tag zu gehen. Doch die meisten Erwachsenen würden zwölf Stunden am Tag sitzen. Dabei seien mindestens 150 Minuten Bewegung in der Woche wichtig, damit der Bewegungsapparat, die Organe, Körper und Geist gesund bleiben. Schon wenn es gelingen würde, die Sitzzeit auf drei bis vier Stunden zu verkürzen, wäre viel gewonnen, so die Fachleute. Die gesundheitlichen Kosten, um die Folgen des zu langen Sitzens zu beheben, seien enorm. „Es kommt ein Tsunami auf uns zu und wir haben keine Handhabe“, warnt der Krankenkassenvertreter Holm.

Nicht mal die Hälfte hält sich daran

Bisher erfüllten nur 35 Prozent der Frauen und 45 Prozent der Männer die Empfehlungen, sagt Prof. Susanne Tittlbach. „Es ist wichtig, dass wir das Sitzen immer wieder unterbrechen.“ Das könnte auf spielerische Weise geschehen: Stockholm brachte die Fußgänger dazu, über eine Treppe, die klingt wie eine Klaviertastatur, seltener die Rolltreppe zu benutzen. Die Vision: Aus der Bayreuther Uni eine „bewegtere Uni“ zu machen, wie es Vizepräsident Torsten Eymann ausdrückte. Die Ergebnisse der Studie und die Ideen daraus sollen sich später auf dem Campus niederschlagen. Die Studenten tragen vorher etwa über Fotos und Kommentare dazu bei, bewegungsfreundliche und abschreckende Stellen ausfindig zu machen, damit diese verändert werden können.

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