Doch darf man es sich nicht so leicht machen. Nicht bei Wagner, aber auch nicht in der Art und Weise, wie man auf seine Frauenfiguren blickt. Zum einen neigt Wagner in seinen Schriften tendenziell zu rhetorischer Zuspitzung und – auch werbewirksamer – Überhöhung. Zum anderen sind die Opernfiguren mehrdeutig und vielschichtig und haben seit jeher zu zahlreichen Interpretationen verleitet. Die Meinungen gingen dabei stets weit auseinander. Darüber hinaus ist jedoch auch immer zu bedenken, dass Oper ein Bühnenereignis ist. Und geprägt ist dieses Ereignis durch die Verkörperung dieser Figuren durch Sängerinnen.
Jenseits der bürgerlichen Norm
Diesen Aspekt untersucht derzeit am Forschungsinstitut für Musiktheater in Thurnau ein Projekt zu Musik, Stimme und Geschlecht. An Sängerinnen des 19. Jahrhunderts – wie etwa die von Richard Wagner verehrte Wilhelmine Schröder-Devrient – zeigt sich, wie insbesondere die dramatische oder hochdramatische Sopransängerin zu einer Grenzüberschreiterin in mehrfacher Hinsicht wird. Als arbeitstätige und oft skandalumwitterte Frau agiert die Opernsängerin außerhalb der gesellschaftlichen Normen von Weiblichkeit. Sie bewegt sich auf der Bühne oft in stimmlichen und darstellerischen Extremen, und das Publikum trennt in seiner Wahrnehmung der Sängerin Bühnen- und Lebenswelt häufig nicht mehr.
Die Schauspielerin steht als Frau wie als Figur eines Dramas außerhalb der Normen: Wagners „Weib der Zukunft“ bekommt eine ganz neue Facette, wenn es vor dem Hintergrund dieser Bühnenpraxis des 19. Jahrhunderts gelesen wird. Das „unendlich weibliche Weib“ – auch in der Frage, wer das sei, kann Wagner neu gelesen werden.
INFO: Kordula Knaus ist Professorin für Musikwissenschaft an der Universität Bayreuth. Zum Weiterlesen: „Wagner – Gender – Mythen“, hg. von Christine Fornoff und Melanie Unseld, Würzburg: Königshausen & Neumann 2015 , 39,80 Euro.