AOK beantragte gegen den Willen von Waltraud Axmann eine Erwerbsunfähigkeitsrente Pegnitzerin fühlt sich zwangsverrentet

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Waltraud Axmann will noch arbeiten - und kann es auch laut zweier Gutachten. Doch die AOK sah das anders und stellte für die Pegnitzerin einen Rentenantrag. Foto: Ralf Münch Foto: red

Waltraud Axmann versteht die Welt nicht mehr. Gut, sie ist körperlich angeschlagen. Gut, sie kann deshalb in ihrem alten Beruf nicht mehr tätig sein. Aber da gibt es Gutachten, die belegen: Grundsätzlich steht sie dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung. Das sieht ihre Krankenkasse anders: Die AOK hat eine Erwerbsunfähigkeitsrente für die Pegnitzerin beantragt. Und die deutsche Rentenversicherung hat diesem Antrag stattgegeben. Waltraud Axmann fühlt sich zwangsverrentet.

 
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Die 59-Jährige war in der Altenpflege beschäftigt. Zuletzt bei den Dr. Loewschen Einrichtungen in Königstein. Irgendwann kamen die Rückenprobleme. Sie wurden immer schlimmer. Irgendwann ging es einfach nicht mehr. Diversen Behandlungen folgte eine Reha-Maßnahme. An deren Ende stand ein Gutachten. In dem stand: Waltraud Axmann kann nicht mehr in der Altenpflege aktiv sein, aber durchaus in vielen anderen Berufsfeldern. Und zwar länger als sechs Stunden am Tag.

Alles andere als erwerbsunfähig

Die Pegnitzerin bezieht aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen bereits geraume Zeit eine Teilrente. Um diese zu erhalten, bedurfte es einer amtsärztlichen Untersuchung. Und hier sind wir bei Gutachten Nummer zwei: Auch Dr. Klaus von Stetten, Leiter der Abteilung Gesundheit am Landratsamt Bayreuth, attestierte Waltraud Axmann, alles andere als erwerbsunfähig zu sein.

Sie soll Krankengeld zurückzahlen

Dann der Schock: Plötzlich landete im Briefkasten der Familie Axmann ein Rentenbescheid. Rückwirkend ausgestellt zum 1. April 2016. Ein Bescheid über eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Beantragt hatte diesen Bescheid Ende 2016 die AOK, die seit Monaten Krankengeld an Waltraud Axmann gezahlt hatte. Die deutsche Rentenversicherung stimmte zu. Was zur Folge hat, dass die AOK nun ebenfalls rückwirkend zu diesem Termin das von ihr gezahlte Krankengeld zurückfordert. Nach Verrechnung mit dem Rentenbeitrag müsste Waltraud Axmann rund 1600 Euro zahlen.

"Das kann doch nicht sein"

„Das ist einfach nicht zu begreifen“, sagt ihr Mann Heinz Axmann. Da wolle jemand arbeiten, dem seine Arbeitsfähigkeit bestätigt wurde – und dann dürfe derjenige sich keinen Job suchen, sondern werde in die Zwangsverrentung geschickt. Seine Frau ist verzweifelt: „Ich kann arbeiten und ich will arbeiten, aber ich darf nicht, das kann doch nicht sein.“

Das sagt der Anwalt

Auch ihr Anwalt Jörg Kasch kann das Ganze nicht so recht verstehen. Ja, ihr Leistungsvermögen sei gemindert, daher ja auch die Teilrente. Und, ja, ein Pegnitzer Arzt bescheinigte ihr, dass sie ihre Tätigkeit als Altenpflegerin auf Dauer wohl nicht mehr werde ausüben können.

Das sagte die AOK

Nach ihrem Reha-Aufenthalt in Bayreuth Anfang 2016 wurde Axmann laut Kasch von der Rentenversicherung darauf hingewiesen, dass ein Antrag auf Leistungen in bestimmten Fällen als Rentenantrag gelten würde. Kasch: „Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfolgreich gewesen seien.“ Und: Die AOK hatte der Pegnitzerin schon im Oktober 2015 mitgeteilt, dass sie nach der geltenden Rechtsprechung für künftige Erklärungen gegenüber dem Rentenversicherungsträger die Zustimmung der AOK benötige. Auch könne ein Krankengeldanspruch rückwirkend wegfallen.

Im Verschiebebahnhof

Für den Rechtsanwalt ist der Fall klar: „Letztendlich geht es also einmal mehr um den Verschiebebahnhof zwischen den Sozialversicherungsträgern.“ Zu klären sei die Frage, wer denn eigentlich zuständig für eine entsprechende Leistung ist. In Betracht komme dabei die Fortzahlung des Krankengeldes bis zum Ablauf der 78 Wochen – „hierzu hat die AOK natürlich keine Lust, weshalb sie wie in anderen Fällen auch versucht, Frau Axmann aus dem Leistungsbezug herauszubekommen“.

Sechs Stunden und mehr?

Nach dem Bezug des Krankengeldes kommt für Waltraud Axmann außerdem der Bezug von Arbeitslosengeld in Betracht: „Das setzt aber wiederum voraus, dass sie der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.“ Dies sei dann der Fall, wenn sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich leisten könne. Lasse ihr Leistungsvermögen nur drei bis unter sechs Stunden zu, „muss ihr die Agentur für Arbeit entweder eine entsprechende Stelle anbieten.“ Oder man komme zu dem Schluss, dass der Arbeitsmarkt für sie keine Stelle bietet – „mit der Folge, dass sie dann Rente wegen voller Erwerbsminderung erhält“.

Normalerweise anders rum

Zum jetzigen Zeitpunkt habe seine Mandantin naturgemäß kein Interesse daran, Rente wegen voller Erwerbsminderung zu erhalten, „weil diese relativ gering ist und sich durch den Rentenbezug dann natürlich auch die spätere Altersrente deutlich verringert. Üblicherweise ist dies auch gar kein Problem, weil in den meisten Fällen die Betroffenen um Rente kämpfen, sie aber nicht erhalten.

Unmissverständliche Gutachten

Die vorliegenden Gutachten sagten jedenfalls unmissverständlich aus, dass die Leistungsfähigkeit von Waltraud Axmann in ihrem erlernten und zuletzt ausgeübten Beruf als Altenpflegerin mit unter drei Stunden täglich zu bewerten sei. Gleichzeitig aber auch, dass sie in anderen Bereichen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden täglich und auch mehr tätig sein könne.

Plötzlich noch ein ärztlicher Bescheid

Das habe der Krankenkasse offensichtlich nicht gepasst. Denn plötzlich sei ein weiterer ärztlicher Bericht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) aufgetaucht. Kasch geht von einem „Gutachten nach Aktenlage“ aus – denn untersucht worden sei die Pegnitzerin von dieser Seite nicht worden. Dieser Bericht attestiere ihr, weniger als sechs Stunden arbeiten zu können. Daraus wurde dann ihre „Rentenbezugsberechtigung“ abgeleitet. Kasch: „Unter Berücksichtigung dieses Berichtes wurde sie dann quasi zwangsverrentet.“

Verweis auf laufendes Verfahren

Nachdem der Streit unter den Sozialversicherungsträgern in der Regel immer auf den Schultern des Betroffenen ausgeführt werde, leide sie nunmehr bis zur abschließenden Klärung unter dieser Situation. Kasch hat Widerspruch eingelegt. Dazu äußern wollen sich weder die AOK noch die Rentenversicherung. Sie verweisen auf das laufende Verfahren. Und Dr. Klaus von Stetten vom Landratsamt auf seine ärztliche Schweigepflicht.

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