Annika Wachter, Enkelin einer Laineckerin, hat erfahren: Die Welt ist schön und friedlich Mit dem Billig-Rad um die Welt

Von Susanne Will

Ihre Räder sind aus dem Supermarkt. Ihr Plan ist, damit einmal um die Welt zu kommen. Sie haben es fast geschafft. Beim Kurzbesuch bei Oma Brigitta Preiß in Laineck wissen Annika Wachter (30) und ihr Mann Roberto Gallegos-Ricci (33) jetzt schon eines: Die Welt ist wunderschön und friedlich.

 
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Es war 2011, als sich die beiden entschlossen, die Welt zu sehen. Annika Wachter, die in Bremen aufwuchs und deren Verwandte in Laineck leben, ist Kulturwissenschaftlerin. Ihren Freund Roberto Gallegos hatte sie bei einem Auslandsseminar in Mexiko kennengelernt. Beide wohnten in Deutschland, als sie den Plan in die Tat umsetzten:  Einfach immer Richtung Osten, bis sie wieder in Deutschland ankommen. Roberto hatte nicht einmal ein Fahrrad. Annikas Mutter schaute in den Keller: Da stand noch eins. Ein Supermarkt-Produkt. Das sollte genügen.

Mittlerweile 25 Länder

Und es genügte. „Österreich, Slowakei, Ungarn, Serbien, Mazedonien, Griechenland, Türkei, Georgien, Armenien, Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan, China, Laos, Thailand, Kambodscha, Malaysia, Neuseeland, Tonga, Hawaii, Alaska, Kanada, USA, Mexiko“, Annika Wachter kann die Länder herunterrattern, die sie bislang gesehen haben. Sie sitzt in der Küche von Stief-Oma Brigitta Preiß. Die Räder haben sie in Madrid stehengelassen, dorthin sind sie von Mexiko aus geflogen.

Homepage informiert

Der Zwischenstopp ist einer Taufe in der Familie geschuldet, die sich das Ehepaar nicht entgehen lassen will. Geheiratet haben die beiden auf der Reise, in Kirgisistan. Auf ihre Homepage zeugen Bilder von einem sehr schönen Tag.

Quelle: Tastingtravel.com

Die Homepage ist beiden sehr wichtig, sie heißt „Tastingtravel“. Annika Wachter: „Jeder, der Rad fährt, erlebt seine Umwelt völlig neu. Radfahren überwindet Grenzen, auch zwischen gesellschaftlichen Schichten.“ Roberto Gallegos konkretisiert: „Wir haben wenig Geld auf unserem Trip. Wenn uns ein Reifen platzt, hilft uns jeder – egal, ob arm oder reich.“ Die Botschaft: „Lernt die Menschen kennen. Seid empathisch. Und euch wird Mitgefühl entgegengebracht.“

Platz ist im kleinsten Bett - neben der chinesischen Oma

Gelegenheit dazu haben sie zur Genüge erhalten. Annika Wachter: „Die Gastfreundschaft, die uns entgegenschlägt, ist manchmal wirklich nicht zu fassen.“ In China fragten sie nach einem Platz, um ihr kleines Zelt aufzuschlagen. Zelt? Nichts da! „Uns wurde nicht nur die Tür geöffnet, sondern sogar die Bettdecke gelüftet: Ich schlief bei der Großmutter mit im Bett“, sie hätte dieses Angebot nie ausschlagen können, ohne die Gastgeber zu beleidigen.

"Wir waren nie in Gefahr"

Und wenn sie sagen, der Iran sei in Sachen Gastfreundschaft bislang noch nicht überboten worden, scheint die Frage nach Angst oder Gefahr beinahe lächerlich. „Nein, wir waren nie in Gefahr. Wir haben festgestellt: Die Welt ist wunderschön. Und sie ist friedlich.“ Roberto Gallegos: „Und dazu muss man nicht die ganze Welt umfahren. Es  genügt, sich aufs Rad zu setzen und die nächste Ecke zu erkunden.“

Für die Mutter eine Herausforderung

Als die junge Frau damals zum ersten Mal in die Pedale trat, stand Mutter Christine Lindner tausend Tode aus. „Als sie durch die Rhön fuhren, dachte ich: Meine Güte, es ist so kalt. Und hoffentlich passiert ihnen im Thüringer Wald nichts!“ Mittlerweile macht sie sich keine Sorgen mehr, wenn in Alaska der Laptop nicht aufgeladen werden kann und sie dann tagelang nichts von Tochter und Schwiegersohn hört.

Quelle: Tastingtravels.com

Die Reise finanzieren sie sich auch durch Jobs währenddessen. So blieben sie ein Jahr in Neuseeland und arbeiteten. In Mexiko, Robertos Heimat, hielten sie viele Vorträge über ihre Reisen, vor allem an Schulen. Außerdem erarbeiteten sie einen Radreiseführer für Mexiko, den man sich kostenlos als pdf von der Webseite herunterladen kann. Roberto Gallegos: „Radwege sind in Mexiko nicht mit denen in Deutschland zu vergleichen. Wir hoffen, diese Wege in Mexiko populär machen zu können.“

Ganz normal: der Pärchenzoff

Gut 30 Kilogramm wiegt die Ausrüstung, die jeder der beiden aufladen muss. Hetzen lassen sie sich nicht. „Wenn wir müde sind, machen wir langsamer, wenn wir ganz müde sind, schlafen wir“, sagt die 30-Jährige. Natürlich gebe es auch Zoff zwischen dem Paar. „Nur den Fehler, dass ich ihn dann vorfahren lasse und mit großem Abstand hinter ihm her fahre, mache ich nicht mehr. Denn als ich einen Platten hatte und er das Flickzeug, schaute ich ganz schön blöd aus der Wäsche.“

Vorher noch nie einen Reifen geflickt

Übrigens: Beide waren vorher absolute Rad-Laien und durchschnittlich beweglich. Dennoch haben sie sich einfach auf den Sattel gesetzt.  „Wir hatten noch nie einen Reifen geflickt“, erzählen sie. Lernen durch Tun, das funktioniere. Und sie geben jedem, der einen Herzenswunsch hat, den Rat: „Macht es einfach. Es ist viel leichter, als man glaubt.“ In Kürze kehren sie zurück nach Madrid. Dann geht es an die letzten Kilometer. Oma Brigitta Preiß: „Weihnachten wollen sie zurück sein.“ Mutter Christine Lindner antwortet sehr trocken: „Die beiden haben nicht gesagt, in welchem Jahr.“

 

Bilder