Als Bayreuth seine Zukunft erfand

Von Michael Weiser
Der Maler Werner Froemel vor einigen seiner Werke. Foto:Lammel Foto: red

Bayreuth war auch mal bekannt für Bildende Kunst – daran erinnert im Moment die Ausstellung über die Freie Gruppe und die Zeit nach dem Krieg im Kunstmuseum. Ein Akteur dieser Gruppe wäre am 20. Januar 90 geworden: Werner Froemel, an den in diesen Tagen gleich zwei Ausstellungen erinnern werden. Ein Interview dazu mit der Kunstmuseums-Chefin Marina von Assel.

 
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Avantgardisten: Als sich die Freie Gruppe in Bayreuth etablierte – Interview mit Marina von Assel

Die eine unter dem Titel „Vertraute Fremde“ beginnt heute im Neuen Rathaus. Die andere widmet Barbara Froemel ihrem Mann im Alten Schloss (Vernissage Samstag, 11 Uhr). Wir unterhielten uns mit Marina von Assel über die Zeit, da in Bayreuth viel mehr möglich schien. Und über einen surrealen Künstler, den es nunmehr neu zu entdecken gilt.

Wenn man sich die Werke, aber auch die Aktivitäten zur Zeit der Freien Gruppe ansieht, dann erlebt man eine Vielfalt und Qualität, wie sie nicht für jede Zeit Bayreuths typisch ist. Wie kam es denn dazu?

Marina von Assel: In Bayreuth gab es seinerzeit verschiedene Künstlergruppen. Die „Freie Gruppe“ entstand 1951, parallel zu „Neu-Bayreuth“. Der Name ist als programmatisch zu verstehen, denn man wollte eine neue Kunst propagieren, die bewusst nicht nationalsozialistisch geprägt war. Nicht überall war das gern gesehen. Nach dem Krieg kamen in Bayreuth verschiedene Menschen zusammen. Ein gutes Beispiel dafür ist Caspar Walter Rauh, der ja in Bayreuth zur Schule ging, in Düsseldorf und Leipzig Berlin studierte und in Berlin lebte, als er zum Krieg eingezogen wurde. Sein Atelier wurde ausgebombt. So zog es die Familie zurück nach Franken. Dann waren da die vier Gründer der „Freien Gruppe Bayreuth“: Ferdinand Röntgen, Friedrich Böhme, Rudolf Jakubek und Sawo P. Iwanow. Jakubek war in Königsberg geboren und hatte in München und Prag studiert, ab 1948 lebte er in einem Flüchtlingslager in Bindlach. Ferdinand Röntgen stammte aus Barmen, wo er auch studiert hatte. 1920 gründete er die Künstlergruppe „Die Wupper“ und war Mitglied der Rheinischen Sezession, auch er hatte sein Atelier verloren. Nach einer Anstellung als Bühnenbildner im Krieg lebte er seit 1946 in Bayreuth. Friedrich Böhme stammte aus Dresden, wo er bei Albiker studiert hatte. Er lebte seit 1945 in Bayreuth. Über Iwanow hat das Forscherteam leider kaum Informationen herausbekommen können. (Er ist aber heute hier noch als „Professor Iwanow“ bekannt). Dazu kamen Hanna Barth, Anton und Alfred Russ, Caspar Walter Rauh und viele andere mehr. Gezielt suchten Böhme und Röntgen Kontakt auch zu Künstlern der Region. Legendär sind Erzählungen von Fahrten mit einem geliehenen Moped. In Schwarzenbach an der Saale trafen sie Anton Richter und Werner Gilles, ebenfalls aus dem Rheinland, in Turnau Toni Farwick, die bei Lovis Corinth studiert hatte, oder in Bamberg Anton Greiner… Es war den Künstlern der Gruppe wichtig, Menschen, die in Bayreuth gestrandet waren und die hier gelebt haben, zusammenzubringen. Caspar Walter Rauh ist wohl deswegen auch hier geblieben, obwohl er noch auch Kontakte zu Galerien in Essen und Düsseldorf hatte, etwa zur bekannten Galerie Neher.

Worin liegt die kunsthistorische Bedeutung dieser Gruppe?

Von Assel: Die Freie Gruppe war eine lokale Gruppe mit überregionalen Kontakten, und das in einer Zeit kurz nach dem Krieg, da es noch Besatzungszonen gab. Eine Gruppe, die über den Tellerrand hinausgeguckt hat und die die moderne Kunst, die vor 1933 wichtig gewesen war, wieder aufgenommen und fortgeführt hat. Vergleichbar mit „Zen49“ und „Quadriga“ oder der „Junge Westen“ an anderen Orten auch gemacht haben. Die Künstler der Gruppe arbeiteten damals dicht am Puls ihrer Zeit. Ihnen war es selbstverständlich, dass die Welt nicht vom Brot allein lebt. Wenn man sich vorstellt, dass damals bei den Ruhrfestspielen jeder Besucher aufgefordert wurde, ein Brikett zum Heizen mitzubringen...

Unter Neubayreuth verstehen Wagnerianer den Neuanfang der Festspiele und ihre Entrümpelung von völkischer Ideologie. Inwiefern hing das zusammen?

Von Assel: Es gab einen Zusammenhang mit Hanna und Herbert Barth, dem Leiter des Pressereferates der Bayreuther Festspiele. Er hat mit seiner Frau Hanna, die von den Nazis diffamiert worden war, auf Schloss Colmdorf gelebt. Barth hat in jener Zeit das Jugendfestspieltreffen aufgebaut und Ausstellungen mit internationalen Künstlern ausgerichtet. Das war eine wichtige Anregung, ähnlich wie mit Gilles und Gottfried Brockmann, der ebenfalls der Rheinischen Sezession angehört hatte und als Verleger in Hof lebte. Hanna Barth hat erst 1955 wieder angefangen zu malen und war natürlich auch bei der „Freien Gruppe“ ausgestellt.

Hört sich an wie der Punkt, an dem sich Bayreuth ganz anders hätte entwickeln können.

Von Assel: Es kamen hier neue Musik und eine neue Kunst zusammen, eine Kunst, die stark geprägt war von der Moderne vor 1933, vom Expressionismus und vom Surrealismus. Dabei zeigten die Künstler der „Freien Gruppe“ eher gegenständliche Kunst im Gegensatz zum Beispiel zur Gruppe „Zen 49“ in München. Ob sich das anders hätte entwickeln können? - Wie soll man das heute sagen? So eine Frage ist wohl eine der unzulässigen Fragen an die Geschichte. Aber die Zeit war sicherlich voller Aufregungen – nicht nur wegen der faszinierenden Kunstausstellungen, sondern auch wegen der schwierigen Wohnungs- und Versorgungssituation und wegen der vielen Flüchtlinge. Norbert Aas schreibt ja darüber im Katalog. Die Freie Gruppe gab es übrigens in einem eher losen Zusammenschluss bis in die 70er Jahre. Dann, nachdem die Gründer verstorben waren, wurde sie in einen Verein umgewandelt und mit jungen Künstlern (Coler, Föttinger, Trux und Gröne-Trux) neu belebt. Da spielte dann auch Werner Froemel eine sehr wichtige Rolle, er war eines der Gründungsmitglieder des neuen Vereins. Froemel hatte ja sein erstes Bild 1957 im Rahmen der „Freien Gruppe“ gezeigt. Es ist in der Ausstellung im Kunstmuseum Bayreuth zu sehen. Er hatte als Gartenarchitekt gearbeitet, konzentrierte sich seit den siebziger Jahren aber immer mehr auf sein künstlerisches Schaffen. Er besuchte die Sommerakademie in Salzburg, wo er Kokoschka traf, und hatte einen Gastauftrag in der Villa Romana. Seit der Zeit mit Werner Gilles verband viele Bayreuther Künstler eine Liebe zu südlichen Ländern, zur Toskana, zu Ischia, Mallorca…. In den achtziger Jahren ging die „Freie Gruppe“ schließlich auf im neu gegründeten Kunstverein, der so etwas wie der Vorläufer des Kunstmuseum Bayreuth ist. 1968 gibt es dieses schöne Zitat von Barth in seinem Nachruf auf Ferdinand Roentgen – Beatrice Trost weist im Katalog darauf hin: „Viele Werke des Künstlers verdienten es, in einer bedeutenden städtischen Sammlung zu hängen.“ Die Freie Gruppe ist also – auch in seiner Orientierung auf die Moderne hin – so etwas wie eine der Wurzeln des Kunstmuseums.

Wie sahen Werner Froemels Beziehungen zur Freien Gruppe aus?

Von Assel: Froemel spielt für Bayreuth eine wichtige Rolle. Erst war er Gartenarchitekt, dann, ab dem 50. Lebensjahr, konzentrierte er sich nur noch auf sein künstlerisches Schaffen. Die Freie Gruppe und Froemel sind ein Forschungsprojekt unseres Museums. Werner Froemel war mit Friedrich Böhme, einem der Mitbegründer der Freien Gruppe, befreundet. In der Phase, in der sich die Gruppe bereits in einen Verein verwandelt hatte. Wir haben da ein Gefüge, das verschiedene sehr spannende Aspekte der Nachkriegskunst erläutert.

Eine Ausstellung im Kunstmuseum beleuchtet aktuell das Schaffen der Freien Gruppe, eine andere, die am Mittwoch im Rathaus eröffnet wird, stellt das Werk von Werner Froemel vor, der doch so intensiv mit der Freien Gruppe zu tun hat. Warum diese Trennung?

Von Assel: Es hat damit zu tun, dass wir den gesamten grafischen Nachlass von Froemel als Dauerleihgabe der Oberfrankenstiftung im Kunstmuseum Bayreuth bewahren. Dies ist unser erstes Forschungsprojekt, in dem wir uns diesem Nachlass nähern. Und der erste Ansatz war es nun, die Beziehungen Froemels zu anderen Künstlern herauszuarbeiten und diese in einer Publikation und in einer Ausstellung vorzustellen. Da gibt es zahlreiche Bezüge: Seine Freundschaft mit Friedrich Böhme, seine Zusammenarbeit vor allem mit der zweiten Generation der „Freien Gruppe“, die Beziehungen zu Künstlern der Villa Romana und nach Salzburg. Barbara und Werner Froemel veranstalteten regelmäßig auch Dichterlesungen, Konzerte und Ausstellungen und führten sozusagen einen ganz klassischen Salon.

Wie schätzen Sie Froemels Bedeutung als Maler ein?

Von Assel: Sein Werk erscheint als surreal, fast der Pittura Metafisica verwandt. Seine Landschaften erinnern an de Chirico. Seine Selbst-Portraits und die Bilder der Weggefährten sind treffend, manchmal nur mit wenigen Strichen gezeichnet, zuweilen karikaturhaft. Er hat da sozusagen mit sehr spitzer Feder gezeichnet. Zusammen mit Beispielen den Druckgraphiken und Zeichnungen aus der Werner-Froemel-Sammlung der Oberfrankenstiftung im Kunstmuseum Bayreuth zeigen wir auch Gemälde, zu denen es zum Beispiel im Museum Vorzeichnungen gibt. Hinzu kommen die „Musikserie“ und die Serie „Zeitverbaucher“. In beiden Dauerleihgaben der Oberfrankenstiftung haben wir mit Caspar Walter Rauh und Werner Froemel zwei Künstler der Figuration nach 1945, die hier in der Region tätig waren, und deren Werk ja vom Surrealen und Phantastischen geprägt ist. Für die Freie Gruppe war Froemel sehr wichtig, ein künstlerischer Gesprächspartner und Unterstützer.