Drei ehemalige M-Schüler berichten von ihrem Weg zum Studium Zwischen Uni und Kindern

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„Wenn die Noten nicht passen, heißt das nicht, dass auch die Praxis schlecht läuft“, bringt es Anika Krieger auf den Punkt. Deutlich plädiert sie für eine vermehrte Praxiserfahrung von Schülern des M-Zweiges. Die 29-Jährige spricht aus Erfahrung. 2002 machte sie an der Sammet-Schule ihren mittleren Bildungsabschluss – „mit Ach und Krach“ – jetzt arbeitet sie als Orthoptistin in Luxemburg.

 
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Die Lernfächer liefen gut, erzählt sie, aber die Naturwissenschaften waren nicht ihres, Mathe und Physik sind ihr schwergefallen, trotz Nachhilfe. „Das hat mich lebenslang begleitet“, sagt sie. Trotzdem hat sie keine schlechten Erinnerungen an ihre Schulzeit, „alle Lehrer waren locker und nett, die Klassengemeinschaft gut“. Nach dem Abschluss fing sie in Bayreuth eine Ausbildung zur Augenoptikerin an. „Das war da aber nicht so gut, keiner hatte Zeit für mich“, so Krieger weiter.

Abschluss als Gesellin

Nach drei Monaten setzte sie ihre Lehre in Pegnitz fort und schloss drei Jahre später als Gesellin ab. Aber eigentlich wollte sie was anderes werden, hatte bei einer Infoveranstaltung das Berufsbild der Orthoptistin – präventiv, diagnostisch und therapeutisch tätige Fachkraft in der Augenheilkunde – kennengelernt. „Das hat mich gereizt“, sagt sie. Und dafür war entweder das Abitur oder eine abgeschlossene Ausbildung in der Augenheilkunde notwendig.

Krieger ging ins Saarland, absolvierte dort ein duales Studium. „Die Ausbildung kann man nur an 14 Augenkliniken in Deutschland lernen, die im Schnitt nur vier bis fünf Azubis alle ein bis zwei Jahre nehmen“, erzählt sie. Und so standen Vorlesungen ebenso an wie die praktische Ausbildung in der Klinik. Den Abschluss hat sie dann gut hinbekommen.

Weg von Deutschland

Nun ging es an die Jobsuche. Krieger wollte von Deutschland weg. Hier gab es nur Teilzeitstellen und sie hätte mehrere gebraucht, um leben zu können. Schließlich hat sie in Luxemburg eine Dreiviertelstelle bekommen. „Die ist aber besser bezahlt, als in Deutschland eine Vollzeitstelle“, sagt sie. Und so lebt sie nun mit Mann und kleiner Tochter im Landkreis Bitburg-Prüm, acht Kilometer von der Grenze entfernt, und pendelt jeden Tag zur Arbeit. Dort arbeitet sie in einer multikulturellen Augenarztpraxis, wie sie es nennt. Der Chef und sie sind Deutsche, die Sprechstundenhilfen kommen Belgien und Portugal.

„Mittelschüler haben oft noch weniger Chancen als Realschüler oder Gymnasiasten“, hat sie beobachtet. Die Möglichkeit, auf dem M-Zweig den mittleren Schulabschluss zu erreichen, findet sie super. „Mit Quali wäre mein Weg nicht möglich gewesen“, ist sie sich sicher. Trotz ihrer Schwierigkeiten, die sie mit manchen Fächern hatte, hat sie immer positive Resonanz in Ausbildung und Beruf bei den Kunden und Patienten erlebt. „Arbeitgeber sollten bei Einstellungsgesprächen darauf auch achten, wie der Mensch ist und nicht nur auf seine Noten schauen“, appelliert sie.

Unbedingt Abitur machen

Mit ihr in eine Klasse auf dem M-Zweig sind Diana Rechtacek und Sebastian Thiem aus Kirchenthumbach gegangen. „Es war eine angenehme Jugend“, erinnern sie sich. Nach dem mittleren Abschluss hat Rechtacek am Klinikum Bayreuth eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht. Nicht, was sie unbedingt wollte, aber es war damals einer der Standardberufe, sagt sie. Sie wollte unbedingt das Abitur machen, um dann studieren zu können. Und so ging sie auf die BOS, machte 2007 ihren Abschluss. Danach arbeitete sie zwei Jahre bei einem ambulanten Intensivpflegedienst, bevor sie in Nürnberg ein Architekturstudium begann. Den Bachelor hat sie schon, zurzeit steht sie anderthalb Semester vor dem Master. Nach dem ersten Semester kam ihr Sohn Hannes zur Welt. Rechtacek nahm ein Jahr Elternzeit, dann kam Hannes in die Krippe. Seit zwei Jahren geht er nun in den Kindergarten.

Anspruch an sich selbst senken

Warum hat sie sich für das Architekturstudium entschieden? „Die Struktur und Organisation haben mich gereizt, es geht nach Plan“, sagt die 30-Jährige. Als Krankenschwester musste sie flexibler sein. Einen Plan braucht sie für ihr ganzes Leben und Disziplin. Vor neun Wochen wurden die Zwillinge Hilda und Anna geboren. „Man muss den Anspruch an sich selbst senken“, nennt sie es. Aber sie würde es nicht anders haben wollen. Auch das tägliche Pendeln nach Nürnberg stört sie nicht. Während der Fahrt bekomme man den Kopf frei, sagt sie. Jetzt macht sie noch ein Jahr Elternzeit, sie will ihre Mädchen ja auch aufwachsen sehen. Die ersten acht Wochen war ihr Lebensgefährte Sebastian Thiem zu Hause.

Der 30-Jährige machte nach dem M-Abschluss eine Lehre als Bankkaufmann. „Das war nicht mein Ziel, eigentlich hätte ich lieber etwas Kaufmännisches gemacht“, sagt er. Und so absolvierte er zumindest seinen Industriefachwirt, mit dem er auch die Hochschulzugangsberechtigung erhielt und ging dann zur KSB. Interessiert haben ihn aber schon immer die Geisteswissenschaften. Und so hat er vergangenes Jahr an der Fernuni Hagen begonnen, Geschichte – Militärgeschichte Ende des Mittelalters bis zum Zweiten Weltkrieg – und Germanistik zu studieren. „Als Brotberuf arbeite ich als Abteilungsleiter bei einem mittelständischen Unternehmen in der Oberpfalz, abends und am Wochenende studiere ich daheim“, erzählt er. Nur diese Fernuni bietet das Studium so an. Thiem schreibt auch noch Fachbeiträge zu den Waffen und hat schon zwei Bücher herausgegeben. „Das war zwar viel Arbeit, aber es macht mir halt Spaß“, so Thiem. Und darum ist das Studium für ihn auch keine Belastung. Insgesamt zehn Semester wird er bis zum Master brauchen.

Ergänzen sich gegenseitig

Kommt bei so viel Programm bei beiden das Privatleben nicht zu kurz? „Nein“, sagen Rechtacek und Thiem. Sie haben ähnliche Interessen, ergänzen sich gegenseitig. „Familie und Heim sind die Basis, aber ich weiß auch mein Ziel“, sagt Rechtacek. Nach dem Studium möchte sie noch eine Beamtenausbildung dranhängen und beim Stadtplanungsamt Nürnberg arbeiten. Das wäre der Idealfall. Ansonsten geht sie in ein Architekturbüro. „Das lasse ich auf mich zukommen“, sagt sie. Mit genug Struktur geht das alles. Jeder von ihnen wusste, was er investieren muss. Beide finden, dass sich die heutigen Schüler schon viel zu früh für eine weiterführende Schule entscheiden müssen. Die Weichen werden zu bald gestellt. Und am Gymnasium müsse zu viel gelernt werden, es fehlt an der Praxis. Da habe man nicht viel von der Kindheit gehabt. Die „reinen“ Studenten seien oft realitätsfern.

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