Ein Kommentar Zum Unwort "Lügenpresse"

Von Joachim Braun
 Foto: red

Ich bin Lügenpresse. Nein, natürlich nicht wirklich. Nur ein ganz ganz kleiner Teil, einer von etwa 45 000 Menschen in Deutschland, die hauptberuflich als Journalisten tätig sind. Und selbst wenn man nur die Kurierredaktion nimmt, auch hier gibt es fast 50 weitere Journalisten. Also bin ich nur ein winzig kleiner Teil der Lügenpresse. Nicht so schlimm also. Oder doch?

 
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Dass „Lügenpresse“ das Unwort des Jahres werden würde, war abzusehen. So kurz nach der Erschütterung durch die Attentate von Paris und mitten in der Pegida-Debatte. Und wenn ich im Radio oder Fernsehen die Massen auf der Dresdner Pegida-Demo „Lü-gen-pres-se“ skandieren höre, dann wird mir ganz anders. Das erinnert mich irgendwie an alte Rundfunk-Übertragungen aus Berlin, als die Massen schrien „Deutschland erwache“.

Aber Nein, verzeihen Sie, das ist wieder das falsche Fahrwasser. So ist Pegida nicht. Wirklich nicht. Pegida will Gutes tun für uns alle, will unser Bestes schützen, unseren gesellschaftlichen Frieden, unsere kulturelle Einheit, unsere religiöse Eindeutigkeit und die Mautfreiheit und möglichst auch gebührenfreies Fernsehen durchsetzen. Leider versteht sie keiner von der Lügenpresse.

Und weil die Medien die Wahrheit nicht akzeptieren wollen und schlicht verschweigen, wie groß die Bedrohung durch den Islam ist, wenn von rund vier Millionen Moslems in Deutschland 1000 oder 2000 gewaltbereit sind, 0,05 Prozent höchstens, sind sie eben Lügenpresse. Ist doch ganz einfach.

Dass die Medien in Deutschland große Fehler gemacht haben und immer noch machen – der Ironiemodus in diesem Text ist jetzt ausgeschaltet! – sollte uns Journalisten klar sein. Pegida zu stigmatisieren und zu sagen, ihr habt Unrecht, ändert nichts an den Ängsten der Menschen. Mit den Unzufriedenen einen angemessenen Umgang zu finden, ist in der derzeit angespannten Lage aber leider schwierig. Wer lässt sich schon gerne als Lügner bezeichnen? Und doch müssen wir wieder ins Gespräch kommen. Wenn Leser sich anonym beschweren, unsere Zeitung sei „äußerst linksliberal“, weil sie „andauernd über Asylanten“ berichtet, trifft uns das.

Journalisten müssen „schreiben, was ist“, hat Spiegel-Erfinder Rudolf Augstein mal gesagt. Richtig. Wir sind Berichterstatter und modulieren keine Wahrheiten. Dieses Grundvertrauen ist elementar für Medien, auch für den Kurier. Und wir bemühen uns deshalb tagtäglich darum, diesem Anspruch gerecht zu werden. Darum ist es auch gut, dass wir über das Unwort des Jahres diskutieren können: Denn, nein, wir sind keine „Lügenpresse“.

Pegida hat noch in einem anderem Punkt Unrecht: Wenn behauptet wird, in der Zeitung stimme nur der Wetterbericht. Das tut er, jedenfalls bei uns in Bayreuth, so gut wie nie.


joachim.braun@kurier.tmt.de