Zu alt für das Seniorenheim

Von Renate Allwicher
Wolfgang Birkel, ehemaliger Heimleiter Seniorenheim Weidenberg. Foto: Renate Allwicher Foto: red

Die Abschiedsgrüße flattern auf der Terrasse im Wind: Wolfgang Birkel, seit dem Bau des Weidenberger Seniorenheimes vor 24 Jahren dessen Leiter, hörte Ende Juli auf. Zum Abschied bekam er unter anderem eine lange Wimpelkette voller Widmungen, eine von jedem der aktuell 105 Bewohner. Und die alte Zeitungsseite über die Eröffnung des Hauses neu einlaminiert. Der Autor von damals schloss seinen Text mit den Worten: Angesichts der Mittelknappheit der öffentlichen Hand, wird es wohl eines der letzten Häuser sein, das mit diesem Standard gebaut wird.“ Zum Glück behielt er damit nicht recht.

 
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„Es wurden viele Häuser nach unserem Konzept gebaut. Wir hatten damals Besuch aus ganz Deutschland von Leuten, die sich das hier angeschaut haben“, sagt Birkel. Neu war damals das Leben in Wohngruppen, jeweils zehn Menschen teilen sich ein Wohnzimmer und eine kleine Küche. „In seinem Zimmer ist bei uns untertags eigentlich niemand“, sagt Birkel.

Vom Bundesgrenzschutz ins Altenheim

Nur am Haus liegt das natürlich nicht. Alles spielt zusammen. Das Gebäude, die Bewohner, die Betreuer und der, der die Fäden 24 Jahre lang zusammenhielt, obwohl – oder gerade weil – er ursprünglich etwas ganz anderes lernte. Nach der Schule machte er zunächst eine kaufmännische Ausbildung, später war er beim Bundesgrenzschutz. Als er dort aufhören wollte, wechselte er zur Bundesbank – aber das Beamtenleben und er passten schlichtweg nicht zusammen. Weshalb sich Birkel, fast schon 30 und zweifacher Vater entschloss, noch einmal ein Praktikum zu machen. In der Altenpflege. Danach war ihm klar: „Das kann ich mir vorstellen.“ Dass gleichzeitig die Altenpflegeschule in Stadtsteinach, dem damaligen Wohnort der Familie eröffnete, erleichterte die Entscheidung: Die Birkels schnürten den Gürtel ein wenig enger und er lernte noch einmal neu. Diesmal genau das richtige. Er arbeitete seither immer für die Arbeiterwohlfahrt. Zunächst als Pfleger. Dann machte er statt der Fortbildung zum Pflegedienstleiter – was sein Plan gewesen wäre – die berufsbegleitende Ausbildung zum Heimleiter - was sein Chef Oskar Schmidt vorschlug. Seine erste Stelle als Heimleiter bekam er in Neustadt an der Aisch. Nach vier Jahren kam der Anruf: „Wir bauen in deiner alten Heimat. Hast du Interesse?“ Er hatte Interesse – „auch wenn die Umzüge für die zwei Kinder hart waren.“

Leid, Tod und Freude

Viel Leid und viel Tod erlebte Birkel in alle den Jahren. „Freude“ sei es aber, was diese Arbeit bringt. „Das sind alles Leute mit viel Lebenserfahrung. Da konnte ich auch viel lernen“, sagt Birkel. Natürlich habe es auch Momente gegeben, in denen er sich über die nächste Nachtwache geärgert hat. „Und dann schreit schon wieder eine.“ Oder später als Chef: „Da war auch manchmal ein Machtwort nötig.“ Das seien aber Momente: schnell vorbei. Die Freude bleibt. Und dann erzählt Birkel von Frau Marker. Der er gemeinsam mit einem Mitarbeiter, der wie Birkel selbste in einem Harley-Club aktiv ist, zum 99. Geburtstag eine Ausfahrt durch Weidenberg organisierte. „Frau Marker war Berlinerin und sie hatte immer erzählt, ihr Bruder hätte nach dem Krieg die erste Harley in Berlin gehabt“, erinnert sich Birkel. Die Vorbereitungen für die Ausfahrt liefen absolut geheim. Als nach einem Sektempfang die beiden Harleys rückwärts einfuhren, und Frau Marker aufsteigen durfte: „Die Freude war gigantisch.“ Die Erinnerung daran auch.

„Im Mittelpunkt muss der Mensch stehen.“

Birkel erinnert sich an die Bewohner, seines Hauses, an deren Verwandte, an deren Schicksale. An die von früher mehr als an die der letzten Berufsjahre: „Früher war ich sehr oft im Haus unterwegs. Zu meinem Leidwesen ging das irgendwann nicht mehr: Die Bürokratie ist immer mehr geworden.“ Zu seinem Glück habe er aber sehr gute Mitarbeiter gehabt. „Allein bewirken Sie nichts“, sagt Birkel knallhart. Es brauche immer ein Team. „Als Heimleiter war es immer mein Ziel, das Personal in seiner täglichen Arbeit zu unterstützen. Zum Wohl der Patienten.“ Es gehe in der Pflege schließlich um eine sehr anspruchsvolle Arbeit am Menschen, bei der gleichzeitig betriebswirtschaftlich und sozial gedacht werden muss. „Im Mittelpunkt muss der Mensch stehen“, sagt Birkel. „Geh immer von dem aus, was du dir selbst wünschen würdest, wenn du auf Hilfe angewiesen bist“, sei die beste Herangehensweise.

Politische Entscheidungen mit Folgen für das Heimleben

Die Zeit bleibt indes nicht stehen. Ob das einst so gefeierte und oft kopierte Wohn- und Pflegekonzept des Weidenberger Hauses in Zukunft so bleiben kann, wird erst die Zukunft zeigen. „Zurzeit haben wir im Hause noch viele rüstige Bewohner“, sagt Birkel. Stationäre Betreuung soll es in Zukunft aber nur noch für Leute geben, die die entsprechende Pflegestufe attestiert bekommen.“ Politische Entscheidungen, die einem Mann wie Birkel, der immer die einzelnen Menschen sieht, manchmal nicht gefallen.

Laufend in der Natur

Nun ist er selbst dort angekommen ist, wo all die Menschen, um die er sich jahrzehntelang kümmerte längst waren: Im Ruhestand. Ruhig wird’s deswegen nicht: Im Hausflur stehen viele Paare Laufschuhe bereit, die größeren gehören Birkel, die kleineren seiner Frau Marion, beide laufen seit Jahrzehnten. Wenn auch inzwischen keinen Marathon mehr – auch bei vielen Triathlons war Birkel dabei. „Es ging mir dabei nie um die Zeit. Wichtiger war mir, dass ich eine halbe Stunde nach dem Zieleinlauf gemütlich ein Bierchen trinken konnte.“ Heute dreht er oft gemütliche kleine Runden: „ So 45 Minuten bis eine Stunde.“ Und statt der Harley fahren die beiden nun E-Mountainbike und E-Tourenbike. Auch das bringt offensichtlich Freude: „Nach einer Tour über den Schneeberg sind Kraft und Akku leer“, sagt Birkel begeistert. Aber immer nur kurz. Wie gesagt: Höchstens eine halbe Stunde.