... und die Antworten darauf von Prof. Carl Hegemann und Janine Ortiz Zehn Fragen zum neuen „Tannhäuser“

Gert-Dieter Meier
 Foto: red

... und die Antworten darauf von Prof. Carl Hegemann und Janine Ortiz.

 
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Dieser „Tannhäuser“ spaltet. Vor allem nach der Premiere sah sich das Regieteam um Sebastian Baumgarten einem Buh-Tsunami ausgesetzt. Offenbar sind noch viele Fragen offen bei dieser Inszenierung. Der Kurier hat deshalb das Regieteam gebeten, die zehn wichtigsten und/ oder meistgestellten Fragen zum neuen „Tannhäuser“ zu beantworten. Dramaturg Carl Hegemann und Janine Ortiz (Dramaturgie-Assistenz) gaben die Antworten.

1. Warum ist die Venus schwanger? Und warum dauert ihre Schwangerschaft so lange?

Venus ist bei Wagner nicht nur die Göttin des Eros, sondern ebenso die Göttin der Fruchtbarkeit. Sie wird vom Hirtenjungen als Frau Holda besungen. Das ist ihr auch als Frau Holle bekanntes Alter Ego, die heidnische Göttin des Wachstums und des Lebens. Es liegt also keineswegs fern, die Venus schwanger darzustellen. Dass Tannhäuser der Venusberg „zu viel“ wird, bekommt durch die Schwangerschaft zusätzliche Plausibilität.Abgesehen davon, dass das Reich der Kunst wie die Götterwelt, von allem, was „Zwang heißt, sei es im Physischen, sei es im Moralischen, entbunden ist“, wie Wagners Vorbild Schiller schon bemerkte, erklärt sich die dauerhafte Hochschwangerschaft der Venus durch die kürzeren Wege: Rom liegt in dieser Inszenierung nicht in Italien, sondern ist, wie der Venusberg, ein Teil der Wartburg. Dadurch ergibt sich für die Inszenierung eine nahezu klassische Einheit von Raum, Zeit und Handlung, ohne dass die Grundkonstellation geändert wurde.

2. Warum richtet Wolfram sein Abendstern-Lied an die Darstellerin der Venus?

Der im Volksmund sogenannte „Abendstern“ ist der Planet Venus. Dieses astronomische Faktum war schon zu Wagners Zeiten allgemein bekannt. Warum also sollte man den Text nicht ernst nehmen? Der „holde Abendstern“ (= die Venus) soll Wolframs „sel’gen Engel“ (= Elisabeth) auf dem Weg aus „dem Tal der Erden“ grüßen, ihr folglich sicheres Geleit ins Jenseits geben. Dass Elisabeth und Venus bei aller Gegensätzlichkeit eine Ähnlichkeit in ihrer Fixierung auf Tannhäuser besitzen, ist ein Hauptmerkmal von Wagners Personenzeichnung.

3. Warum geht Elisabeth ins „Gas“? Und Wolfram hält auch noch die Tür zu?

Genau genommen geht sie gar nicht ins „Gas“, sondern verabschiedet sich vom weltlichen Leben, indem sie den Gasbehälter durch die Eingangstür für das Reinigungs- und Wartungspersonal betritt. Nachdem Tannhäuser aus „Rom“ nicht zurückgekehrt ist, hat sie die Hoffnung auf eine reale Liebesbeziehung aufgegeben. Und der sehnsuchtsvolle Wolfram, der jetzt vielleicht bei Elisabeth zum Zuge kommen könnte, bekommt es mit der Angst. Hohe Minne und ewige Sehnsucht sollen die diesseitige Liebe ersetzen. Wolfram will Elisabeth als idealisiertes „fernes“ Objekt und nicht als reale Frau mit sinnlichen Bedürfnissen, deshalb achtet er darauf, dass die Tür zwischen ihm und ihr geschlossen bleibt. Man muss Wolfram nicht so interpretieren. Aber Wagner hat dies zweifellos mit angelegt. Bereits im Sängerwettstreit definiert Wolfram seine Liebe zu Elisabeth: „Du nahst als Gottgesandte, / ich folg’ aus holder Fern’, – / so führst du in die Lande, / wo ewig strahlt dein Stern.“

4. Was bedeuten die „sinnfreien“ Überschriften im Sängerkrieg?

Der „Liebe Wesen“ soll in diesem Krieg „ergründet“ werden. Dies geschieht durchaus mit Argumenten. Die Video-Kommentare fassen die Thesen der einzelnen Sänger schlagwortartig zusammen, um dem Zuhörer das Verständnis und den Überblick zu erleichtern. Die Thesen lauten:

Wolfram: Liebe = ewiges BegehrenWalter: Liebe = Kulturleistung durch SublimationBiterolf: Liebe = LynchjustizTannhäuser: Liebe = Genuss jenseits von Gut und Böse.

5. Warum sind Tiere im Venusberg?

Weil der Venusberg für die animalische und vorsubjektive Seite des Lebens steht, was sich durch die übliche Bebilderung als Bordell oder Ähnliches nur eingeschränkt darstellen lässt. Gewerblich betriebener und mechanischer Sex dürfte seinen Ort eher in der Wartburg haben. Der Venusberg ist das Unbestimmte, die pure Lebendigkeit jenseits menschlicher Rationalität; deshalb versuchen die Kostüme von Nina von Mechow und die Videos von Chris Kondek, die unzweifelhaft vorhandene tierische Seite unseres Daseins abzubilden. Wagner hat dies, mythologisch verbrämt, mit seinen Satyren, Nymphen und Faunen ebenfalls getan.

6. Warum ist der Venusberg ein Käfig?

Der Venusberg ist durchlässig, das Gitter ist in beide Richtungen leicht zu überwinden und das Rauschmittel, das in ihn hineingepumpt wird, ist in der Wartburg hergestellter „Alkohol“. Der Gegensatz und die gleichzeitige wechselseitige Abhängigkeit von Venusberg und Wartburg, die Wagner ins Zentrum seiner Oper rückt, sollten so deutlich werden.

7. Wurde die Oper tiefer transponiert, um es den Sängern leichter zu machen?

Nein, Thomas Hengelbrock dirigiert nach dem Faksimile von Wagners handgeschriebener und dann lithographierter Originalpartitur von 1845, es gibt keine Transponierung und auch keine besondere Stimmung der Instrumente.

8. Warum wurde die Partitur gekürzt? Und an welchen Stellen?

Von den zahlreichen Strichen, die Wagner selbst an der Dresdener Fassung vorgenommen hat, wurden nach langer Debatte zwei für die Aufführung übernommen, weil eine Straffung des dramatischen Bogens zu einer höheren Konzentration des Werkes führt. Dieser Ansatz kommt sowohl dem Dirigat Thomas Hengelbrocks als auch der Inszenierung Sebastian Baumgartens entgegen.Im ersten Akt ist die zweite Strophe von Tannhäusers Lied an die Venus gestrichen. Somit entfallen Tannhäusers sehnsüchtige Naturschilderungen, die jedoch im früheren Gespräch mit Venus bereits zur Sprache kommen. In der großen Ensembleszene des zweiten Aktes gibt es einen weiteren Strich, der jedoch keinerlei Text entfallen lässt, weil dieser sich wiederholt.

9. Was soll die Biogasanlage?

Die Biogasanlage ist der für die Energiegewinnung zuständige Teil der Installation von Joep van Lieshout, die symbolisch den Lebenskreislauf darstellt, die tägliche Selbstreproduktion des Menschen zwischen Essen und Trinken, Arbeiten und Schlafen. Die Biogasanlage verwandelt menschliche Ausscheidungen und allen Abfall in Energie und hält somit das System am Laufen. Das Bühnenbild insgesamt ist eine Welt im Kleinen, eine Kunstinstallation als Modellversuch, in der Tannhäuser Extremvarianten menschlichen Daseins durchläuft.

10. Was soll der Alkoholator?

Im „Tannhäuser“ spielt der Exzess eine zentrale Rolle. Einerseits ist da der Venusberg, wo alle möglichen Exzesse – seien sie physischer oder psychischer Natur – als realisierbar gelten. Andererseits finden auch auf der Wartburg Exzesse statt. Wenn sich die Ritter nach dem Eklat im Sängerwettstreit mit gezücktem Schwert auf Tannhäuser stürzen, so ist dies nichts anderes als versuchter Lynchmord.

Alkohol stellt sicherlich die einfachste und effektivste Art dar, den Menschen in einen Rauschzustand zu versetzen, der ihn, natürlich nur temporär, die Fesseln der Zivilisation, ja sogar des eigenen Ichs vergessen lässt. Dass der Alkoholator eine zentrale Stelle im „Tannhäuser“-Bühnenbild einnimmt, ist also nur folgerichtig. Auf der Wartburg wird der Alkohol hergestellt, dort hat man die dazu notwendigen technischen und organisatorischen Fähigkeiten. Die Bewohner genießen das Rauschmittel in Maßen, beispielsweise an hohen Festtagen wie dem Sängerwettstreit.

Der Venusberg hingegen, die heimliche Lasterhöhle oder Kehrseite der Wartburg, wird mittels eines Schlauchsystems mit Alkohol versorgt. Hier hat man nicht den Nerv, sich mit der Alkoholherstellung zu beschäftigen, stattdessen wird dieser exzessiv genossen.

Das symbolische Verhältnis von Venusberg und Wartburg, wie es im „Tannhäuser“ angelegt ist, wird also mittels der Installation von Joep van Lieshout illustriert, möglicherweise so überdeutlich, dass es sich gerade deshalb vielen Zuschauern verschließt.

Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath