Katharina Wagner im Kurier-Interview „Wir wollen wegweisend sein“

Florian Zinnecker
 Foto: red

Festspielleiterin Katharina Wagner spricht im Kurier-Intervie über den Castorf-„Ring“, die Sanierung des Festspielhauses und die Debatte um die Vergangenheit ihrer Familie.

 
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Frau Wagner, worüber haben Sie in den vergangenen Wochen häufiger nachgedacht: über die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft?
Katharina Wagner: (lacht) Sehr viel über die Zukunft. Und wenn man mit der Vergangenheit konfrontiert ist, denkt man natürlich auch darüber nach. Letztlich holt mich das Tagesgeschäft aber immer wieder mit Nachdruck ein. Es gibt ja viele Dinge, die einfach aktuell erledigt werden müssen.

Zu den Dingen, die in dieser Saison aktuell erledigt werden mussten, gehört die Umbesetzung der Partie des Holländers. Wie sehen Sie die Absage Nikitins wegen seiner angeblichen Hakenkreuz-Tätowierung heute, fünf Wochen danach?
Wagner: Meine Meinung hat sich da nicht grundlegend geändert. Ich halte Herrn Nikitin immer noch für einen sehr guten Sänger. Seine Entscheidung, in dem festspielgeschichtlichen Kontext auf seinen Auftritt bei den Festspielen zu verzichten, halte ich aber immer noch für richtig, und ich finde, sie verdient Respekt.

 

Haben Sie seit seiner Abreise miteinander gesprochen?
Wagner: Nein. Er wollte erst einmal seine Ruhe haben. Und dann hat er ein Interview im „Spiegel“ gegeben, in dem er ja auch alles gesagt hat, was von seiner Seite zu sagen war. Er hatte uns vorher deutlich erklärt, dass er den Holländer aufgrund des Gesamtzusammenhangs nicht machen möchte.

Die Folge seiner Absage war eine wiederaufflammende Debatte um die Vergangenheit Ihrer Familie. Sind Sie davon überrollt worden, dass das alles so plötzlich wieder auf den Tisch kam?
Wagner: Nein, aber nur deshalb nicht, weil ich ja von Anfang an versprochen hatte, alles aufzuklären, was zur Rolle der Festspiele im Dritten Reich möglicherweise noch aufzuklären wäre. Deshalb hatte ich den Nachlass meines Vaters ja den Historikern Peter Siebenmorgen und Wolfgang Pyta übergeben. Dieser Nachlass ist, wie Sie ja festgestellt haben, keineswegs unter Verschluss. Unsere Aufforderung an Amélie Hohmann, den Nachlass Winifred Wagners herauszugeben, läuft auch schon seit längerem. Wir sind eher von der öffentlichen Diskussion dieser Themen überrollt worden als von der Tatsache, dass wir uns darum kümmern müssen. Das haben wir vorher schon getan.

Noch im Frühjahr hieß es: Wann Siebenmorgen und Pyta ein Ergebnis vorlegen könnten, sei nicht absehbar. Dann reiste Nikitin ab – und plötzlich war klar, es gebe nichts Belastendes im Nachlass Wolfgang Wagners. War das Zufall?
Wagner: Glaube ich nicht. Ich glaube, dass die Herren sehr fundiert antworten wollten; nachdem das Thema aber in dieser Weise in die Öffentlichkeit kam, haben sie eine Stellungnahme abgegeben. Die war sicherlich weniger fundiert als ein Resümee, das sie erst in einem halben oder ganzen Jahr abgegeben hätten. Aber das ändert nichts am Ergebnis.

Zurück zur Gegenwart. Wie lief die Festspielzeit 2012 aus Ihrer Sicht?
Wagner: Extrem positiv. Wenn man die Absage Robert Holls als König Marke ausnimmt, der ja vor Probenbeginn schon erkrankt war, hatten wir nur einen einzigen Krankheitsfall. Ansonsten lief alles – toi, toi, toi, wir haben ja noch eine Vorstellung – sehr gut. Auch unter den extremen Witterungsbedingungen in diesem Sommer, da ist man ja nicht nur bei Höchstleistungen sehr anfällig. Und Sänger geben Höchstleistungen, teilweise in sehr dicken Kostümen, unter Scheinwerferlicht. Das potenziert dann alles. Die Witterungsschwankungen machen es aber auch dem Orchester nicht leicht.

Wie gehen die Musiker damit um?
Wagner: Bei intonationsempfindlichen Instrumenten wird vor jedem Akt eine sogenannte Satzprobe gemacht. Das sind Dinge, auf die hier sehr viel Wert gelegt wird – es gehört zur ganz normalen Arbeit. Hier sagt niemand: Jetzt kommt nur noch der dritte Akt, da muss ich nicht mehr sauber intonieren.

Was die Sänger-Besetzung betrifft, war das Niveau so hoch wie lange nicht, manch einer sagt sogar, so hoch, wie es früher einmal war. Bleibt das jetzt so?
Wagner: Hoffen wir’s. Das formulierte Ziel von meiner Schwester und mir ist ja – und lassen Sie uns nicht über die Regie sprechen, das ist immer Geschmackssache: Wir wollen wegweisend sein. Auch gerade angesichts des sehr eingeschränkten Repertoires. Das ist ein sehr hohes Ziel, das man nicht immer erfüllen kann, aber es ist das Ziel.

Herr Thielemann wird im nächsten Jahr den „Tannhäuser“ nicht mehr dirigieren – warum nicht?
Wagner: Weil er „Rienzi“ macht, im Rahmen des Wagner-Jahres in der Oberfrankenhalle. „Holländer“, „Rienzi“ und „Tannhäuser“ – das würde zu viel. Dass er „Rienzi“ machen möchte, war von Anfang an so geplant.

Im nächsten Jahr wird Frank Castorf den „Ring“ inszenieren, mit Catherine Foster als Brünnhilde, Wolfgang Koch als Wotan und Lance Ryan als Siegfried. Wie laufen die Proben?
Wagner: Gut. Herr Castorf ist jetzt gerade wieder abgefahren, er hat im August hier probiert: einzelne Szenen aus der „Walküre“, aus „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Gestern saß er noch einmal bei uns im Büro, er klang zufrieden. Er sagt, er freut sich auf nächstes Jahr. Und von den Sängern kamen die gleichen Signale.

Wie lief das Debüt „Wagner im Kino“?
Wagner: Ich hatte das Gefühl, sehr gut. Wir hatten sehr, sehr viel positives Feedback. Und wir haben auch schon Anfragen vieler Kinos, die im nächsten Jahr wieder mitmachen wollen. Leider gab es auch ein paar Kinos, bei denen erst am Tag vorher klar war, dass sie unser Sendesignal nicht empfangen können, weil ihnen die nötige Hardware fehlte. Das war natürlich sehr ärgerlich.

Wie war die Auslastung?
Wagner: Unterschiedlich. Gerade in den Eventkinos in Nürnberg, München, Stuttgart, in Berlin am Potsdamer Platz war die Auslastung sehr gut – wir haben nur noch nicht alle Zahlen. In manchen Kinos saßen zwölf, in anderen mehr als 400 Zuschauer. Bayreuth ist absoluter Spitzenreiter.

Und noch eine Neuerung gab es in diesem Jahr: keine Kartenkontingente mehr für die Wagner-Verbände. Wie sehr hat dieser Schritt das Publikum in seiner Mischung verändert?
Wagner: Ich höre, dass es Unterschiede gibt, aber das kann ich nicht beurteilen.

Bekommen Sie noch böse Briefe wegen der Entscheidung des Verwaltungsrats, die Kontingente zu streichen?
Wagner: Was heißt „böse“ – die Leute haben sich zu Recht beschwert. Es ist unser treues, sehr verbundenes Publikum. Und wenn unser Stammpublikum plötzlich ausgeschlossen wird, ist es klar, dass das auf Unverständnis trifft. Ich habe die Beschwerdebriefe auch nie als persönlichen Angriff empfunden. Es war ja auch keine Entscheidung, die leichtfertig getroffen wurde. Es war eine Entscheidung unseres Verwaltungsrats, weil es um öffentliche Gelder geht – und weil diese Gelder mit entsprechenden Auflagen verknüpft sind: dass möglichst viele Karten in den freien Verkauf kommen. Und da habe ich dann auch zugleich wieder Verständnis für den Verwaltungsrat.

Sind Sie glücklich mit der Entscheidung.
Wagner: Natürlich bin ich mit der Tatsache nicht glücklich. Die Wagner-Verbände sind unser Stammpublikum. Von einer solchen emotionalen Wertung muss man sich aber distanzieren. Es ist eine Entscheidung, die getroffen wurde, und die muss man akzeptieren. Man muss ja auch die andere Seite sehen: Wenn tatsächlich aufgrund der Kontingente Gelder gekürzt würden – wäre man dann glücklich?

Sprechen wir über die Zukunft. Vor einigen Monaten sagten Sie in einem Interview mit dem Kurier, es sei nicht klar, wie renovierungsbedürftig das Festspielhaus sei und wie es um die Statik des Theaters stehe. Inzwischen gibt es ein Gutachten, die Rede ist von Kosten in Höhe von 48 Millionen Euro, aber es gibt keine Details. Was ist denn nun? Wie kaputt ist das Festspielhaus?
Wagner: Das ist eine schwierige Frage. Eines ist klar: Die Verkehrssicherungspflicht muss man – wie bei jedem öffentlichen Gebäude – immer überprüfen. Da gibt es meist etwas zu tun – das betrifft auch die Gesimse an der Fassade. So, wie es jetzt ist, sieht es nicht unbedingt schön aus, aber es kann nichts mehr herunterfallen. Die Dringlichkeit der anderen Punkte kann ich nicht beurteilen. Ich bin kein Baugutachter.

Aber es gibt ein Baugutachten – in Auftrag gegeben von Ihnen.
Wagner: Richtig. Dass das Haus saniert werden muss, ist klar. Aber es fällt uns nach wie vor nicht über dem Kopf zusammen. Man muss vor allem darauf achten, dass der Spielbetrieb weitergehen kann. Man muss ordentlich planen, es darf keine Schnellschüsse geben.

Wolfgang Wagner hat bis zum Ende seiner Zeit als Festspielleiter das Haus sichtlich in Schuss gehalten, es wurde ständig irgendwo gebaut. Wie kann es sein, dass vier Jahre später ein Gutachten einen Sanierungsbedarf mit Kosten in Höhe von 48 Millionen Euro feststellt?
Wagner: Man darf eines nicht verwechseln: Es wurde eine Reihe von Gesamtkonzepten zur Diskussion gestellt, die diesen Preis haben. In einigen war aber – ich übertreibe bewusst – jeder Blumentopf eingerechnet. Eine Kostenschätzung kann ich bis ins Unendliche hochtreiben. Die Frage ist jedoch: Was ist notwendig, was ist dringlich, wo geht es um Ästhetik – und was ist Spielerei?

Und das geht auch aus diesem Gutachten nicht hervor?
Wagner: Doch, daraus geht Verschiedenes hervor. Aber die Diskussionen sind noch nicht zu Ende geführt.

Auch eine andere Neuigkeit hat für Aufsehen gesorgt: Im Jahr 2016 soll Jonathan Meese „Parsifal“ inszenieren. Warum? Weil der Name „Jonathan Meese“ Aufmerksamkeit – und vielleicht sogar einen kleinen Skandal – garantiert?
Wagner: Nein. Wenn man über Meese diskutiert, sollte man immer den Gesamtkontext seines Schaffens bewerten. Einzelne Bilder zeigen stets nur Teilaspekte.

Zum Beispiel, wie Meese am Bahnhof steht, vor einem Güterzug voller Panzer, und dem Festspielhaus salutiert.
Wagner: Aber wenn Sie seine Performances kennen, wissen Sie das einzuordnen. Er geht nun einmal sehr kritisch und teils sehr zynisch mit der Vergangenheit um. Man kann eine Performance nicht in einem einzelnen Bild festhalten. Worum es aber eigentlich geht: Meese arbeitet permanent mit Symbolen. Und „Parsifal“ ist ein extrem symbolträchtiges Stück. Wir haben die Wunde, den Gral, den Speer. Das ist das, was uns bewogen hat – das ist es, was einen „Parsifal“ von Meese in künstlerischer Hinsicht sehr interessant machen könnte.

Wissen Sie schon, in welche Richtung Meese mit „Parsifal“ gehen will?
Wagner: Nein, er hat ja auch noch zwei Jahre Zeit, die Konzeptionsvorstellung vorzubereiten. Er arbeitet sich mit viel Liebe und Lust ein – ich klopfe da aber auch nicht alle zwei Tage an und frage nach, wie weit er ist. Ich kenne das ja von mir selber – wie störend es ist, wenn immer wieder jemand klopft und fragt: Na, weißt du schon was?