Winterdorf: Der Zeit ein Stück voraus

Von Uwe Renners

Es ist noch nicht Winter. Dieter Reil weiß das. Der 54-Jährige hat mit seinem Dorf in der Mitte Bayreuths fast alles richtig gemacht. Rund 120000 Besucher sollen bis zum 31. Dezember seine Erlebnisgastronomie besuchen. Reil blickt zufrieden auf sein Werk aus Holz und Hüttenträumen.

 
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Über Zahlen redet er nicht, aber dass es sich lohnt, steht außer Zweifel. Wäre da nicht der eine Geburtsfehler, der den Geschäftsmann auch nach 13 Jahren noch wurmt: "Ich hätte es nie Winterdorf nennen dürfen." Das mit dem Winter, der am 20. Oktober noch keiner ist, muss er sich jedes Jahr aufs Neue anhören. Und es ärgert ihn auch. "Ich hätte es Tiroler oder Bayreuther Dorf nennen sollen", sagt er. Nach 13 Jahren ist es aber zu spät dafür.

Rustikale Stimmung

Egal, wie er es heute nennen würde, bei den Bayreuthern bleibt es das Winterdorf. Die lieben es, schwärmen von der heimeligen Atmosphäre, der rustikalen Hüttenstimmung, dem Oktober-Glühwein oder vom Federweißen.

Neid

Oder sie rümpfen die Nase und schreiben bei Facebook, dass sie keinen Fuß ins Dorf stellen, geschweige einen Euro dort lassen.  Manchmal auch mit so deutlichen Worten, dass selbst der 54-Jährige sauer wird. "Neid ist die unschönste Form der Bewunderung", sagt er dann und ärgert sich trotzdem. Reil ist so wie das Winterdorf. Entweder liebt man es oder macht einen großen Bogen darum. Auf jeden Fall wird darüber geredet, über das Dorf und über seinen Besitzer. 

Singlebörse

1,15 Millionen Euro, so sagt es ein Wertgutachten, stehen auf dem Platz, der dem Finanzamt gehört. 65 Mitarbeiter arbeiten dort bis Ende Dezember. Sie gehören zum Erfolg des Dorfes, viele sind junge Frauen. Ein junger Mann sagt am Eröffnungstag, das Winterdorf sei die größte Singlebörse Bayreuths. Der Grund seines Kommens liegt auf der Hand. Seinen Namen will er nirgendwo lesen, zu groß sei die Gefahr, dass Freunde und Bekannte ihn damit aufziehen.

Marketing

Anja Küspert ist da gelassener, bezeichnet sich sogar als Stammgast. Nicht weil sie Single ist, sondern "weil man hier so viele Leute trifft". Wer etwas auf sich hält, so scheint es, der muss ins Winterdorf. Ob CSU-Fraktionsvorsitzender, Geschäftsmann oder Richterin: Für viele gehört das Dorf zum Pflichtprogramm. Reil findet das gut, begrüßt seine VIPs auch persönlich. Der Uni-Präsident und der ehemalige Oberbürgermeister kommen einmal während der Dorfsaison, um Platten aufzulegen. Das alles gehört zum Marketing - und zum Gefühl Winterdorf. Reil verkauft nicht nur Glühwein, er verkauft ein Gefühl. Und der 54-Jährige hat seine Ohren an den Besuchern. Im vergangenen Jahr hat er unter den Gästen eine Umfrage machen lassen und sein Angebot daraufhin angepasst. Reil: "Die Leute wollten Brezen. Jetzt bekommen sie Brezen." Eine Verkäuferin in passender Kleidung - auch die ist Pflicht - läuft damit durchs Dorf. Bis 23 Uhr, dann gehen auf dem Platz am Finanzamt die Lichter aus. 

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