Winifreds Historikerin Hamann gestorben

Von Michael Weiser

Sie schilderte so umfassend und dabei so gut lesbar wie niemand zuvor die Verwicklungen der Familie Wagner in die Machenschaften des Dritten Reiches. Jetzt ist Brigitte Hamann gestorben. Die deutsch-österreichische Historikerin und Autorin des Bestsellers „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“ wurde 76 Jahre alt.

 
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Brigitte Hamann hatte sich unter anderem schon durch "Hitlers Wien" einen Namen gemacht, als Wolfgang Wagner an sie herantrat. 1997 war das, Winifred Wagners 100. Geburtstag stand bevor, und Hamann sollte, so bat der Patron der Bayreuther Festspiele, einen Vortrag halten. Hamann zögerte keine Sekunde - und sagte nein. "Mein Bild von ihr war geprägt durch Hans Jürgen Syberbergs Film des Jahres 1975, in dem sie sich als sozusagen einzige verbliebene treue Hitler-Freundin und unbelehrbare ,Nazi' präsentierte."

Offene Fragen für Hamann

Doch da waren die offenen Fragen, die durch die intensive Arbeit an "Hitlers Wien" aufgetaucht waren: Der Aufstieg Adolf Hitlers zum Reichskanzler war durch seine Wiener Erfahrungen nicht zu erklären. Wohl aber durch Deutschlands Zustand der Jahre 1918 und später. "So kam mir dann doch wieder Winifred Wagner in den Sinn", schrieb sie gut fünf Jahre später im Vorwort zu dem Buch, das ihren Namen mit Bayreuth verbinden sollte: "Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth".

Freundlich und akribisch

Hamann begann zu forschen. Und stieß auf die Äußerungen einer höchst belasteten, dabei aber auch offenherzigen und überhaupt widersprüchlichen Frau. Dass Hamann diese Widersprüche der Winifred Wagner nicht zu glätten versuchte, gehört zu den unbestreitbaren Vorzügen des Buches, das zum Standardwerk wurde. Hamann schilderte Winifreds Verstrickungen, aber auch, dass zahlreiche Menschen ihr die Rettung vor der Nazi-Verfolgung verdankten.

Sven Friedrich, Leiter des Richard-Wagner-Museums, lernte Hamann während ihrer Archivarbeit kennen und schätzen. „Wir hatten sofort einen super Draht, sie war reizend und offen, dabei aber auch sehr genau und akribisch. Für diese Aufgabe war Brigitte Hamann genau die Richtige, es war eine erfreuliche Zusammenarbeit." "Großes Bedauern" äußert Festspiel-Chefin Katharina Wagner: "Auch mein Vater hat sie sehr geschätzt. Sie war immer sehr verantwortungsbewusst, aber auch persönlich sehr nett."

Details und das große Ganze

Hannes Heer, der die Ausstellung "Verstummte Stimmen" realisierte und nach Bayreuth brachte, äußerte gegenüber dem Kurier höchsten Respekt vor Hamann. "Brigitte Hamann hat seinerzeit mit ,Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth‘ ein Standardwerk geschaffen, das auf großartige Weise den Detailblick mit einer fundierten historischen Kontextualisierung verbindet", sagte er. "Das ist keine Lokalgeschichte, Brigitte Hamann hat, dem Thema auch der Festspiele angemessen, eine weite, große Perspektive entwickelt." 

Anfang als Journalistin

Die in Essen geborene Brigitte Hamann hatte zuerst Lehrerin werden wollen, machte dann aber als Volontärin der Deutschen Presse-Agentur und als Redakteurin der „Neuen Rhein Ruhr Zeitung“ einen kurzen Ausflug in den Journalismus. 1965 zog sie zu dem Historiker und Universitätsprofessor Günther Hamann nach Wien. Sie erhielt neben der deutschen auch die österreichische Staatsbürgerschaft, zog drei Kinder auf, war Hausfrau und Assistentin ihres Mannes.

Eine Laufbahn, die mit dem Tod in Mayerling begann

Für die gewinnende, mondän erscheinende Frau bei weitem nicht genug. Skeptisch beobachtet ging sie ihren Weg. Ihre Versuche Richtung Wissenschaft seien ihrem Mann, einem Professor alten Schlags, aufgrund ihres Vorlebens als Journalistin peinlich gewesen, erzählte Hamann einmal.

Sie ließ sich nicht beirren und verfasste in den 1970er Jahren eine 1000-seitige Doktorarbeit über den österreichischen Thronfolger Rudolf, ein liberaler Hoffnungsträger im verkrusteten Habsburger-Reich, der zu einer morbiden Legende wurde, als er sich 1889 zusammen mit seiner Geliebten erschoss - ein Drama, das als "Tod in Mayerling" in die Geschichte einging. Um die Hälfte gekürzt wurde das Buch ein großer Erfolg und ebnete Hamann die Laufbahn als freie Historikerin.

Sie hatte auch das Motto ihres Schriftsteller-Lebens gefunden: Mythen auf ihren Gehalt abklopfen. Und dazu harte Fakten mit dem Gefühl für Erzählung zu verbinden. Schon der Titel des Rudolf-Buches war Indiz: "Kronprinz und Rebell".

Alles andere als trockene Wissenschaft

Hamann verband auch bei ihren folgenden Büchern Widersprüchliches. Die Werke sind  wissenschaftlich fundiert, aber auch gut zu lesen. Sie ist präzis, aber nicht trocken. Sie schildert das Detail - und hat gleichzeitig die Perspektive des Ganzen im Kopf. Sie schildert geschichtliche Prozesse, und stellt doch Menschen in den Mittelpunkt ihrer Schilderungen. Und bewies weiterhin den Riecher für interessante Themen. Etwa, als sie im Archiv das bislang unbekannte Tagebuch der Sisi fand. Sie machte daraus: "Elisabeth. Kaiserin wider Willen." Auch in ihrem letzten Buch zeichnete sie sich als Erzählerin aus - "Bertha von Suttner. Kämpferin für den Frieden." Für ihr Werk erhielt sie viel Anerkennung und wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels.

Was heute noch fehlt

Brigitte Hamann wusste selbst, dass die Arbeit eines Historikers immer nur Annäherung ist, immer Prozess. "Es ist mir nur allzu klar, dass die Biographie einer erst 1980 gestorbenen Peson nicht abgeschlossen sein kann", schrieb sie selbst im Nachwort zum Winifred-Buch. So wollte sie weiterforschen. Die vergangenen Jahre zog sich Hamann auch wegen ihrer Erkrankung mehr und mehr zurück. 'Sehr weit über ihren Stand ist die Forschung heute noch nicht hinausgekommen - auch, weil der Zugang zu allen relevanten Archiven noch immer nicht frei ist.

Was auch Hannes Heer kritisch anmerkt: Es sei negativ, dass das Winifred-Buch nicht aus einer Situation offener Archive heraus geschrieben worden sei, sondern "aufgrund der persönlichen Entscheidung Wolfgang Wagners, der dieses und jenes Schriftstück zur Verfügung stellte. Und aufgrund des freundlichen Entgegenkommens von Verena Lafferentz.“ Das nehme dem Buch "nichts von seiner Genauigkeit,  aber bis heute ist es fragwürdig, dass man sich als Historiker mit solchen Provisorien begnügen muss“.

Mit Material von dpa

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