Wilde Liga: Fußball trifft Picknickkorb

Von Thorsten Gütling und Moritz Kircher

Wenn im Frühjahr auf Bayreuths Bolzplätzen gegrätscht, gejubelt und gefeiert wird, dann ist wieder Zeit für die Wilde Liga. Wir waren beim 3. Spieltag live dabei.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Um 18.30 Uhr soll angepfiffen werden. Auf dem Bolzplatz in Meyernberg haben sich gut 50 Leute eingefunden. Die wenigsten sind Spieler, die meisten machen Picknick. Die Wilde Liga hat zum dritten Spieltag gerufen. Zehn Minuten nachdem es los gehen sollte, werden noch Bierflaschen geköpft. Die Frage nach einem Spielball macht die Runde.Andere richten eine Kamera ein. Das Aufeinandertreffen der Mannschaften Rasenballküre Bayreuth (RB) und Stiftung Wadentest wird live ins Internet übertragen. Dann ist alles ist bereitet für einen entspannten Feierabendkick, der im Laufe des Abends an Fahrt aufnehmen soll.

„Es geht für uns um die ersten Punkte auf dem Weg zur Meisterschaft“, sagt RB-Coach Felix. „Wir wollen wir hier nix liegenlassen,“ sagt er. Dann versammeln sich die Männer und eine Frau im Kreis. Das Team wird eingeschworen. Aus den Spielerkehlen hallt es über den Bolzplatz: „RB! Olé, olé, olé!“ Und von drüben antwortet der Spielerkreis der Stiftung Wadentest: „Hier! Regiert! Die Stiftung W!“ Anstoß.

Lesen Sie auch:

Im vergangenen Jahr hat die Rasenballküre um „Capitano“ Felix Ruppert die Liga 3C für sich entschieden. Insgesamt 65 Mannschaften treten in diesem Sommersemester auf Bayreuths Bolzplätzen gegeneinander an. Fast 1000 Leute spielen mit. Gespielt wird in neun frei wählbaren Ligen. Die Mannschaften tragen sich ein, je nachdem, wie ernst sie den Wettkampf nehmen. Für Liga 1 hat sich niemand gemeldet. Die Leute wollten beim Kicken und Biertrinken entspannen und keinen Leistungssport nachgehen, sagt Matthias Liebeton. Er betreut die Wilde Liga seit sechs Jahren. An einem launigen Bierabend in einer Kneipe habe er sie übernommen, sagt Liebeton. Seitdem ist sie gewachsen. Und wie.

Der Spiel ist kaum ein paar Minuten alt, da ist es mit der Regierungszeit der Stiftung Wadentest vorerst vorbei. Die Rasenballküre geht mit 1:0 in Führung. Die Spieler grätschen, laufen und ackern. Dass der Meyernberger Bolzplatz schon länger keinen Rasenmäher mehr gesehen hat - geschenkt. Dann wird es ruppig. Blutgrätsche an der Seitenlinie. Die Zuschauer raunen: „So spielt man Fußball!“ Und irgendjemand ruft irgendwem hinterher, dass er offenbar nicht ganz bei Trost sei. Was folgt ist Rudelbildung. Einen Schiedsrichter gibt es nicht. Irgendwie wird man sich immer einig. Wenn Schiedsrichter dabei seien, versuchten Fußballer nur Fouls zu schinden, sagt Liebeton. „Ohne lachen dich die Mitspieler dafür aus.“

Von Bayreuth in die Republik

Was vor 12 Jahren mit zehn Mannschaften begann, ist eine echte Erfolgsgeschichte geworden. Der Name Wilde Liga ist längst ein geschützter Begriff. Sponsoren geben sich die Klinke in die Hand. Wer sich mit einem gelungenen Video bewirbt, dessen Spiel wird live ins Internet übertragen. Dazu gibt es Freibier, zum Saisonauftakt treffen sich Hunderte Menschen im Herzogkeller und einmal im Jahr wird auf einem richtigen Fußballplatz ein Pokalturnier ausgespielt. Längst werden Wilde Liga-Spiele nicht mehr nur in Bayreuth ausgefochten. Von hier aus hat Liebeton nur Anlauf genommen. Hat sich und seinen Traum von der Rückkehr zum nicht kommerziellen Fußball in vielen anderen Städten vorgestellt. Die Wilde Liga gibt es heute auch in Würzburg, Nürnberg und Erlangen. In weiteren Städten, darunter Ulm, Weimar, Passau und Augsburg ist der Spielbetrieb in Planung.

Pause!

Mit 1:0 für Rasenballküre geht es in die Pause. Die Fouls und der tiefe Rasen haben Wirkung gezeigt. Die, die führen, wollen jetzt aus Trotz noch einen Gang höher schalten. Die, die hinten liegen versprechen den baldigen Ausgleich. „Für die Stiftung und auf den Sieg“, sagt Torhüter „El Wago“ noch, aber es soll anders kommen. Nur Sekunden nach Wiederanpfiff schenken die Orangenen den Dunkelblauen das zweite Tor ein. Bierflaschen klirren, es wird angestoßen, Fahnen werden geschwenkt. Am Fangzaun hängen Werbebanner und die Wappen der Mannschaften. RB hat ein Maskottchen dabei. Freddy, eine Frau im Elchkostüm, die Räder schlagen und Handstände machen kann. Der Spielfeldrand ist mit losen Schuhen markiert. Eine Familie aus der benachbarten Siedlung ist auf das bunte Treiben aufmerksam geworden und zur 2. Halbzeit gekommen.

Wäre sie drei Wochen früher aufmerksam geworden, hätte sie mitspielen können. Denn das können beileibe nicht nur Studenten. Etwa jeder fünfte Kicker in der Wilden Liga ist berufstätig. Die Rasenballküre besteht größtenteils aus Juristen, die als Hilfswissenschaftler an der Uni ihr Geld verdienen. Matthias Liebeton, der selbst bei der Stiftung Wadentest gegen das Leder tritt, ist längst mit der Uni fertig, hat in Bayreuth Betriebswirtschaft studiert und als Werkstudent bei Maisels gejobbt. Mittlerweile hat er sich als Veranstalter von Sportereignissen in Nürnberg selbstständig gemacht. Liebeton nennt sich selbst einen leidenschaftlichen Fußballfan, dem Bundesliga und Champions-League aber eines Tages zu kommerziell geworden seien. Auf dem Bolzplatz, schwärmt Liebeton, könne man den Grundgedanken des Sports noch spüren.

Dann patzt der Torwart

Der Torwart von Rasenballküre kann ihn sogar schmecken. Bisher solide gehalten, landet er unsanft, lässt den Ball durch die Hosenträger rutschen und die Stiftung bejubelt den Anschlusstreffer. Dann kommt, was kommen muss: Ein langer Ball nach vorne, im Gewusel hält irgendwer das Bein dazwischen – drin. Einer der Zuschauer ist sich jetzt sicher, dass die zwei mal 30 Minuten Spielzeit dann auch vorbei sein müssten und die sechs Feldspieler auf beiden Seiten einigen sich darauf, es für heute beim Spielstand von 2:2 zu belassen. In wenigen Wochen sieht man sich zum Rückspiel schließlich wieder.

Wo, das entscheiden die Spielführer. Ein Spieltag dauert von Montag bis Samstag. Solange haben die Kapitäne Zeit, sich auf einen Tag, eine Zeit zwischen 17 und 20 Uhr und einen von 24 Bolzplätzen im Stadtgebiet zu einigen. Auf der Internetseite der Wilden Liga wird verzeichnet, wer wo antreten will. Wenn dort dann bereits andere kicken, hat die Wilde Liga keinen Vorrang. Auch dann gilt es, sich irgendwie zu einigen. Häufig sei das aber noch nicht vorgekommen. Die Bayreuther seien selten auf den Plätzen anzutreffen, heißt es.

Müll sammeln und Bier trinken

Es wird dunkel. Schnell noch ein paar gemeinsame Erinnerungsfotos geknipst, dann machen in beiden Mannschaften drei Liter fassende Weißbiergläser die Runde. Die Kapitäne gehen unterdessen den Platz ab, räumen Müll und Leergut zusammen. So gute Bolzplätze wie hier, gebe es schließlich sonst nirgends, sagt Liebeton. Auch deshalb sei Bayreuth als Keimzelle des Wilde-Liga-Projekts prädestiniert gewesen. Und das soll auch so bleiben.

Bilder