Streuobstwiesen waren lange verpönt, jetzt werden sie gezielt gefördert Wiederentdeckt: Die Streuobstwiese

Von Tilman Toepfer und Peter Rauscher
Steuobst, Streuobstwiese im Fühjahr Fühling bei Bischofsheim in der Rhön. Die fünfjährige Mila riecht an einer Blume Foto: red

Streuobstwiesen sind nicht nur landwirtschaftlich nutzbar, sie bieten auch vielen Tier- und Pflanzenarten überlebenswichtige Nischen. Vier Bundesländer haben jetzt angekündigt, dieses landwirtschaftliche Kulturgut stärker zu fördern.

 
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„Die Streuobstbäume sind Obstgarten, Bienenweide, Futterwiese, Vogelwelt. Reichtum von natürlichen Lebensgemeinschaften, Reservoir und Rückzugsgebiet. Es sind individuell geprägte, auffallende Persönlichkeiten“, schreibt der Apfelforscher Edwin Balling in „Die Kulturgeschichte des Obstbaus“. Daneben findet sich auf Streuobstwiesen eine Vielzahl von seltenen Obstsorten – ein enormes Genpotenzial und ein Bestandteil der Kulturgeschichte. Trotzdem sind in den vergangenen Jahrzehnten viele dieser so wertvollen Streuobstbestände verschwunden. Andere sind in einem schlechten Zustand, vor allem die in steilen Hanglagen.

Nun soll sich das ändern. Die Regierungen der Länder Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern möchten sich „zukünftig noch intensiver um die Streuobstwiesen bemühen“, heißt es in einer Pressemitteilung. Erstmals veranstalten die vier Länder gemeinsame Streuobsttage vom 25. April bis 10. Mai. Außerdem gibt's eine Homepage zum Thema: www.streuobsttage.de . Dort werden Veranstaltungen, Produkte und Infos vorgestellt.

In Oberfranken sind Streuobstwiesen weit verbreitet. Das Bamberger Becken und die Fränkische Schweiz sind bekannt für reichhaltigen Streuobstbestand. Der Landschaftspflegeverband Weidenberg und Umgebung mit seiner Initiative Apfel-Grips registriert steigendes Interesse von Privatleuten am Obst und an den Wiesen, sagt Verbandsmitarbeiterin Christine Schamel. 95 Grundstückseigentümer in Weidenberg, Seybothenreuth, Kirchenpingarten, Emtmannsberg, Creußen, Goldkronach und Speichersdorf liefern ihr Obst an die Initiative. Der Ertrag kann sehr unterschiedlich ausfallen. „Im vergangenen Jahr waren es nur drei Tonnen, 2012 dagegen 40 Tonnen“, sagt Schamel. Die Äpfel werden verarbeitet zu Saft, der zum Beispiel in Edeka-Schneider-Märkten, in Weidenberger Getränkemärkten oder direkt beim Apfel-Grips-Büro am Gurtstein in Weidenberg für rund 1,50 Euro pro Liter gekauft werden kann (www.apfel-grips.info).

Streuobstwiesen böten auch vielen Arten wie Fledermäusen, Insekten und Igeln Lebensraum und seien deshalb ökologisch wertvoll, schreibt der Landschaftspflegeverband. Die Bäume schützen vor Wind, die Wurzeln verhindern eine Abtragung des Bodens, und wegen des Verzichts auf Chemikalieneinsatz leisten sie einen Beitrag zum Grundwasserschutz.

Martin Degenbeck von der Landesanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim hat die Vergangenheit unter die Lupe genommen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war der Obstanbau für die Versorgung der Bevölkerung unverzichtbar und wurde sorgsam gepflegt für unterschiedlichste Zwecke vom Tafelobst über Saft, Most und Brand bis hin zum Backobst. Ab 1950 gab es eine Trendwende hin zum monokulturellen Plantagenanbau.

Auch der Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft trägt zum Obstbaumsterben bei. Oma und Opa sind vielfach die Einzigen, die für die Pflege der Bäume überhaupt Zeit haben. Außerdem sind Monokulturen wesentlich rationeller zu bearbeiten, Tafelobst wird daher meist nur noch für den Eigenbedarf geerntet. Schließlich ist im Rahmen der Globalisierung über relativ billige Transportwege Obst aus aller Herren Länder in die Regale der Supermärkte und Discounter gelangt. Und auch das Versaften von Apfel und Birne – früher einmal wesentliches Standbein des Streuobstbaus – rentiert sich unter rein ökonomischen Aspekten kaum.

Dabei geht es doch um so viel mehr als den Preis, wissen Fachleute: Es geht auch um Qualität, Geschmack, Lebensmittel aus der Region, Artenvielfalt, geringe Transportkosten, Klimaschutz. Seit Jahren kämpfen Naturschutzverbände und Streuobst-Initiativen gegen die Ignoranz der Verbraucher bezüglich des billigen Apfelsaftes an – mit nur bescheidenem Erfolg. Es mangelt vielerorts an einer konsequenten Marketingstrategie für das Streuobst.

Doch es gibt auch ermutigende Nachrichten. Nicht nur in Weidenberg haben sich Streuobstinitiativen gebildet und wurden Lehrpfade eingerichtet wie im Streuobstdorf Hausen in der Rhön oder in Tiefenthal im Landkreis Main-Spessart. Das Freilandmuseum Fladungen (Landkreis Rhön-Grabfeld) zeigt Interessenten im 1860 in Rothausen erbauten Dörrhäuschen, wie man die Zwetschgen, Äpfel und Birnen aus den üppig bestückten Streuobstwiesen des Museums haltbar macht. Bewusstsein für den Wert der Streuobstwiesen ist wichtig, und es gibt auch Erfolge, was die Wirtschaftlichkeit anbelangt. Mittlerweile stehen Geräte für das Abschütteln des Mostobstes und das Auflesen der Früchte zur Verfügung, die einen wirtschaftlichen Streuobstbau möglich machen. Durch den Anbau moderner Erntetechnik können wesentlich größere Mengen auf einmal angeliefert werden, was den Aufwand der Kelterei gegenüber sackweiser Anlieferung verringert und dem Lieferanten höhere Mostobstpreise sichert.

Der Markenpionier Bionade aus Ostheim vor der Rhön bietet seit einem Jahr „Bionade Streuobst“ an – in limitierter Auflage und ausschließlich im Biofachhandel. In Altenkunstadt (Landkreis Lichtenfels) ist ein „Saftmobil“ des Kreisverbandes für Gartenbau und Landespflege unterwegs. Und der Saft von Apfel-Grips in Weidenberg wird mittlerweile auch zu Apfel-Secco weiterverarbeitet – und neuerdings zu Hugo: mit Apfel-Secco und Holunderblüte.

  • Wie prächtig so eine Streuobstwiese aussehen kann, hat Kurier-Leser Uwe Seidel in einem aufwändigen Panorama-Foto festgehalten. Chapeau, Herr Seidel!

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