Wie wollen wir alt werden?

Von Norbert Heimbeck
Rollator. Symbolfoto. Foto: Oliver Berg/dpa

Kommentar: Am Umgang einer Stadt mit ihren Senioren zeigt, sich ob sie eine lebenswerte Stadt ist. Parlamentarische Staatssekretärin Anette Kramme (SPD) hat Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe diese Woche vorgeworfen, die Chance verpasst zu haben, als Partner des Familienministeriums ein Modellprojekt für Mehrgenerationenwohnen durchzuführen. Die OB hält die Kritik für unbegründet.

 
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War es wirklich nur ein taktisches Manöver?  Anette Kramme hat Bayreuths Oberbürgermeisterin diese Woche scharf kritisiert. Ob die Bundestagswahl die richtige Plattform für eine Auseinandersetzung ist, die unser aller Zukunft angeht, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Für eine gute Seniorenpolitik müssen alle Parteien, müssen sämtliche Sozialeinrichtungen und Wohlfahrtsverbände und noch viele weitere Gruppen an einem Strang ziehen. Denn: Ob eine Stadt lebenswert ist, entscheidet sich im Umgang mit ihren Alten. Das wird schon bald zu einer der vordringlichsten Gemeinschaftsaufgaben werden.

Immerhin rund 15.000 Bayreutherinnen und Bayreuther sind zurzeit 65 Jahre oder älter. Im Jahr 2030 wird diese Zahl auf etwa 18.500 steigen. 10.000 dieser Menschen werden dann älter als 75 Jahre sein. Natürlich werden nicht alle dieser Senioren irgendwann pflegebedürftig. Daher wäre es zu kurz gegriffen, die Seniorenpolitik auf Fragen der Pflege zu reduzieren.

In Sachen Pflege steht Bayreuth aktuell ganz gut da. Die Zahlen dazu nennt der seit 1996 regelmäßig fortgeschriebene Seniorenbericht der Stadt. Einige wenige Stichworte herausgegriffen: 13 ambulante Pflegedienste (davon sieben private) sind in der Stadt tätig. Rund 1200 stationäre Pflegeplätze gibt es. Zum 31. Dezember 2015 waren in den stationären Einrichtungen 94 Prozent der Plätze belegt. Das zeigt ganz gut, was auf uns zukommt.

Klar ist: Niemand will gerne ins Heim. Selbst im best ausgestatteten Heim ist man nicht so zuhause wie in den gewohnten vier Wänden. Daher könnten die künftigen Senioren auf die Idee kommen, neue Wohnformen kennen zu lernen. Leih-Omas und -Opas sind bei berufstätigen Eltern schon heute stark als Babysitter gefragt, Senior-Experten beraten Berufsanfänger. Generationenübergreifend hilft man sich gegenseitig, Junge und Alte tauschen sich aus statt sich abzuschotten. WG war gestern, heute heißt das Experiment Großfamilie 2.0.

Tatsächlich werden immer mehr Menschen immer älter. Ihnen geht es nicht nur um das Wohnen, sondern auch um Mobilität, ums Einkaufen, ums Kochen, um Theater- oder Konzertbesuche. Das nennt man Teilhabe. Auch der ganz normale Alltag gehört dazu: Wenn nur mal eine Glühbirne ausgetauscht werden soll, braucht die 75-Jährige, die nicht mehr auf eine Leiter steigen will, keinen Handwerker, sondern einen Nachbarn, der unkompliziert hilft. Mit solchen Fragen beschäftigen sich die Wohlfahrtsorganisationen, der Seniorenbeirat und die Heimbetreiber in Bayreuth. Antworten könnten im Projekt Mehr-Generationen-Wohnen gegeben werden.

Wenn die Attacke Anette Krammes gegen Brigitte Merk-Erbe eines klar gemacht hat, dann das: Es darf nicht darum gehen, Recht zu behalten. Es muss darum gehen, dass das Mehrgenerationen-Dorf endlich gebaut wird. Ob es dann so oder anders genannt wird, ist auch ziemlich egal. Wichtig ist, dass etwas getan wird. Und: Solche neuen Angebote müssen bezahlbar sein, auch für Senioren mit weniger finanziellen Mitteln. Denn die meisten von ihnen haben jahrzehntelang gearbeitet oder ihren Beitrag in der Kindererziehung geleistet. Diese Leistung im Alter gebührend zu würdigen, das wäre eine Aufgabe, die zu lösen allen politischen Kräften gut zu Gesicht stünde.

norbert.heimbeck@nordbayerischer-kurier.de