Wie gut ist die ambulante Intensivpflege?

Von Peter Rauscher
Natascha Schwemmlein (links) und Melanie Gäbelein vom Kulmbacher Intensivpflegedienst Intensio24 kümmern sich um eine Patientin mit Tracheostoma. Foto: red Foto: red

Ambulante Intensivpflegedienste sind ins Zwielicht geraten, seit Ermittlungen gegen einige von ihnen und ungeklärte Todesfälle unter ihren Patienten bekanntgeworden sind. Bayern stattet die Polizeipräsidien gerade mit Sonderermittlern gegen Betrug im Gesundheitswesen aus. Dabei ist die  Arbeit von Intensivpflegediensten für Hunderte Patienten in Bayern lebenswichtig. Allein das Krankenhaus Hohe Warte in Bayreuth entlässt jedes Jahr mehr als 20 Intensivpatienten, die Pflege brauchen. Wie kann man sie vor schwarzen Schafen in der Branche schützen?

 
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Das Problem: Intensivpflege ist nach den Worten von Bayerns Justizminister Winfried Bausback ein besonders anfälliger Bereich für Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen. Die AOK Bayern, die im Jahr 2017 gut 100 Millionen Euro für die Versorgung von rund 700 Intensivpflegefällen ausgab, lässt gerade 23 Fälle von der Staatsanwaltschaft prüfen. Es geht dabei um mögliches Erschwindeln von einer Million Euro Versichertengeldern. Die Tendenz ist steigend, weil nach Ansicht der AOK, Bayerns größter Krankenkasse, Angehörige sensibilisiert sind und weil wegen besserer Kontrollen mehr Fälle ans Licht kommen.

Ermittlungen gegen zehn Pflegedienste

Allein die Staatsanwaltschaft Hof, die in diesem Themenfeld seit rund einem Jahr eine Sonderzuständigkeit für Ober- und Unterfranken hat, ermittelt gegen zehn Pflegedienste, sagte Oberstaatsanwalt Andreas Cantzler dem Kurier. Dabei geht es nicht nur um das Geld, sondern auch um Leib und Leben der Versicherten. In einem Fall ermittelt die Hofer Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung eines Intensivpatienten gegen zwei Angehörige eines Pflegedienstes und hat dafür die Exhumierung der Leiche veranlasst.  

Das sagt das Klinikum Bayreuth: Intensivpatienten haben in der Regel einen sogenannten Tracheostoma, also einen künstlichen Zugang durch den Hals in die Luftröhre, und werden beatmet oder abgesaugt. Sie müssen rund um die Uhr überwacht werden. Mindestens 20 solche Patienten werden jedes Jahr allein aus der Hohen Warte in die ambulante Intensivpflege entlassen, sagt Andreas Berghammer, Leiter des Sozialdienstes am Klinikum Bayreuth.

Ein Auge auf die Pflegedienste

Grundsätzlich dürfe das Klinikum aus rechtlichen Gründen keine Empfehlungen abgeben, wo die Patienten nach Ansicht der behandelnden Ärzte in besten Händen wären, sagt Dr. Rainer Abel, Chefarzt der Klinik für Orthopadie und Querschnittsverletzungen. Und wo möglicherweise Abrechnungsbetrug verübt werde, könne man schon gar nicht wissen. Auch nicht, ob ein Pflegedienst über genügend Fachkräfte verfügt. Das zu prüfen, sei Aufgabe von Kranken- und Pflegekassen bei Vertragsabschluss. Aber ein Auge auf die Pflegedienste hat man im Klinikum trotzdem: Wie es den entlassenen Patienten geht, erfahre man zum einen bei Nachuntersuchungen im Krankenhaus; zum anderen gebe es Rückmeldungen von den Mitarbeitern jener Unternehmen, die den Patienten zuhause Beatmungsgeräte zur Verfügung stellen und regelmäßig warten. „Wenn es Qualitätsprobleme gibt, rede ich mit den Diensten“, sagt Berghammer. 

Der Intensivpflegedienst: Cathrin Hofmann kennt beide Seiten. 2015 gründete die Fachkrankenschwester für Anästhesie- und Intensivpflege den Intensivpflegedienst Intensio24 mit Sitz in Kulmbach. Zuvor arbeitete sie sechs Jahre für die AOK und war auch für die Abrechnung von Leistungen zuständig. Ihr Unternehmen betreut Wohngruppen für Intensivpatienten in Bayreuth, Kulmbach, Hallstadt, Küps und Weismain. Und bald soll eine weitere Wohngruppe in Bayreuth am Hofgarten hinzukommen.

Schwierige Suche nach Fachkräften

Das Geschäftsmodell funktioniere - auch wenn es „total schwierig“ sei, gutes Personal zu gewinnen, sagt sie. Von ihren 78 Angestellten seien rund 90 Prozent examinierte Pflegekräfte. Das Personal setze sie möglichst effektiv ein: in Wohngruppen. Für eine Einzelbetreuung rund um die Uhr bräuchte sie sie einschließlich Ausfallzeiten bei Urlaub und Krankheit 5,5 Pflegekräfte – mit dem gleichen Personalschlüssel könne sie in einer Wohngruppe zwei Intensivpatienten 24 Stunden am Tag  betreuen.

Man kann in Ruhe pflegen

Cathrin Hofmann sagt, sie kann nicht mehr bezahlen als ein staatliches oder kommunales Krankenhaus, der Lohn werde ausgehandelt. Dass sie dennoch über viele Fachkräfte verfüge, sei vor allem eine Folge von Mund-zu-Mund-Propaganda. „Bei uns gibt es nicht die Hektik von Pflegestationen, man kann in Ruhe pflegen und ruhigen Gewissens nach Hause gehen.“

Betrug bei der Abrechnung

Abrechnungsbetrug, das Thema kenne sie aus ihrer AOK-Zeit. „Ich habe erlebt, dass Pflegedienste Leistungen abgerechnet haben, die in Wahrheit die Angehörigen erbracht hatten.“ Oft seien ihr die Hände gebunden gewesen, auch wenn sie gewusst habe, „dass da was nicht stimmen kann“. Die Kontrollen des Medizinischen Dienstes seien zu lasch. „Wenn einer betrügen will, dann kann er das.“ Schärfere Kontrollen in ihrer Branche würde sie sehr befürworten, auch weil schwarze Schafe den Ruf seriöser Anbieter beschädigten. Hofmann gehört zu den Gründungsmitgliedern des bundesweit tätigen ambulanten Intensivpflegeverbandes Deutschland mit Sitz in Berlin, der unter anderem auch Qualitätskontrollen bei seinen Mitgliedsunternehmen durchführe.

Billigkräfte aus dem Ausland

Eine frühere Mitarbeiterin eines konkurrierenden Intensivpflegedienstes (Name der Redaktion bekannt) sagt: „Der Preisdruck in der Branche ist extrem.“ Je größer das Unternehmen, desto teurer der Verwaltungsapparat. Fachkräfte seien schwer zu bekommen, die Versuchung sei groß, Billigkräfte aus dem Ausland zu holen, die dann zu schlechten Konditionen beschäftigt würden. Unter Umständen müssten die sogar ihre Deutschkurse selber bezahlen und arbeiteten für weniger als den Mindestlohn.

Die Gesundheitsministerin: Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) bleibt zu diesem Thema vage. Sie hat zwar eine Überarbeitung des Pflege und Wohnqualitätsgesetzes für den Beginn der nächsten Wahlperiode ab 2019 angekündigt. Intensiv-Pflege-WGs seien besonders im ländlichen Bereich eine „wichtige und geeignete Versorgungform“, wird Huml in einer Mitteilung zitiert. Aber Konkretes gibt es nicht:  Das Ministerium prüfe gerade, ob bei den Qualitätskontrollen Änderungsbedarf bestehe, heißt es auf Anfrage. Die AOK, die die die Gelder der Versicherten ausbezahlt, würde bessere Kontrollmöglichkeiten ausdrücklich begrüßen.


Kommentar: Transparenz schaffen

Kontrollen im Pflegebereich sind eine zweischneidige Sache. Einerseits lähmen Bürokratie und Vorschriften schon jetzt die Pflegekräfte und rauben ihnen viel Zeit, die eigentlich den Patienten gehören sollte. Andererseits geht es um den Schutz der Patienten und viel Geld der Versicherten - darauf müssen Staat und Krankenkassen ein scharfes Auge. Der Boom der Pflegebranche  lockt auch unseriöse Anbieter, denn hier ist durchaus Geld zu verdienen. In der Intensivpflege ist der Spagat zwischen Freiheit und Kontrolle besonders schwierig: Viele Patienten sind selber hilflos, leben aber in privaten Wohngruppen, in die Kontrolleure nicht einfach eindringen dürfen.

Wer nur nach dem Staat als Aufpasser ruft, macht es sich zu einfach. Angehörige von Patienten stehen in erster Linie selber in der Verantwortung, sich zu kümmern. Der Staat wiederum  kann sich auch nicht rausreden, man könne ja nicht mehr machen. Das Mindeste, was er tun muss: Endlich mehr Transparenz schaffen und  Versicherten ermöglichen, sich über die Qualität von Pflegeeinrichtungen im Internet zu informieren. Die bisherigen Pflegenoten jedenfalls taugen dazu nicht.

Peter Rauscher