Mollath lehnte jede Hilfe ab Wie Gustl Mollath zunehmend vereinsamte

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Hilfe abzulehnen, ist entweder ein Zeichen von Stärke oder von Schwäche. Oder töricht. Was auf Gustl Mollath (57) zutrifft, ist schwer zu sagen. Aber mit allen, die Mollath helfen wollten, lag er im Clinch. Angehörige, Rechtsanwalt, Betreuer, Richter – sie scheiterten an ihm. Und er an sich selbst. Unser Bericht vom dritten Tag im Wiederaufnahme-Verfahren gegen Gustl Mollath.

 
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„Ich bin davon überzeugt, dass Sie nicht krank sind“, sagte Thomas Dolmany (58). Der Nürnberger Rechtsanwalt hatte gerade die Pflichtverteidigung von Mollath übernommen, es drohte eine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie. Einer von zig Fällen, Routine für Dolmany. Das psychiatrische Gutachten akzeptieren, das Mollath eine Wahnkrankheit attestierte, neun Monate auf Bewährung, keine Unterbringung, das war 2004 der Vorschlag des Rechtsanwaltes. Denn gegen Gutachten, das weiß der erfahrene Anwalt, habe man schwer eine Chance vor Gericht. Und Mollath? „Herr Mollath hat nie mit mir über den Fall gesprochen.“ Als es zur Verhandlung vorm Nürnberger Amtsgericht kommt, nimmt Mollath ein Buch, lehnt sich zurück und – liest. Die Anklage habe ihn nicht interessiert, sagt Dolmany. Stattdessen macht er seinem Anwalt Angst: Donnert an einem Freitagabend schreiend gegen die Kanzleitür, beschimpft ihn als Nazi, warnt ihn, besser seine Rechtsschutzversicherung zu bezahlen. Denn der Fall koste ihn sonst die teure Wohnung in Erlenstegen.

Mollath Webreportage

Sein Pflichtverteidiger hält Gustl Mollath nach wie vor für gesund

Noch heute hält Dolmany seinen Mandanten von damals für nicht krank. Und noch heute hat er Angst vor ihm und seinen Unterstützern. „Mich bestürzen die Angstzustände von Dolmany. Ich versichere Ihnen, Sie brauchen vor mir keine Angst haben. Ich hab das Gefühl, Sie brauchen Hilfe“, sagt Mollath. Dass Leute den Anwalt bedrohen, findet Mollath „unmöglich“. Er aber habe keinen Einfluss darauf, „ich versuche immer Deeskalation“.

Das sieht Petra S. (51), die Schwägerin von Mollaths Ex-Frau, anders. Sie beschreibt einen aggressiven, höchst seltsamen Mollath, der hinter geschlossenen Rollläden lebte, seine Frau kontrollierte, krankhaft eifersüchtig war und sie wiederholt schlug. Die ganze Familie hatte damals Angst vor Mollath, dem man Hausverbot erteilte, mit dem es ständig zu Streitereien kam und der seine Frau stalkte. Aber auch sie sagte. „Wir wollten ihm helfen.“ Sogar die Ex-Frau, gegen die sich seine Gewalt gerichtet habe, habe gesagt: „Vielleicht kann man ihn behandeln.“ Sie habe die Hoffnung gehabt, dass die Anfälle von Aggression heilbar sind. „Sie wollte ihm eigentlich helfen“, sagt Petra S. Sie hat versucht, mit ihm reden, hat versucht, das Haus vor der Zwangsversteigerung zu retten, hat versucht, die Scheidung gütlich zu regeln. Er sprach nicht mit ihr.

Mollaths Sprachlosigkeit hat auch Ralph Gebeßler (55) zu spüren bekommen. Er habe nur über Schwarzgeldschiebereien bei der Hypovereinsbank gesprochen, sagt der Betreuer aus Geiselhöring, der „froh“ war, seinen Mandanten wieder los zu sein. Dabei hatte Gebeßler es geschafft, die Zwangsversteigerung des Mollath’schen Hauses um mehr als ein Jahr hinauszuzögern. Er war ja damit beauftragt, sich um das Vermögen des Mannes zu kümmern, der gerade in die Psychiatrie gekommen war. Aber statt mit Ärzten – oder mit ihm – zu sprechen, wollte Mollath nur mit seinen Unterstützern Kontakt haben. Das wurde dem Betreuer zu viel. Er hätte wochenlang arbeiten müssen für ihn, bekam aber nur 4,5 Stunden im Monat bezahlt. Eine Verbindung, die scheitern musste. Die Hilflosigkeit traf beide Seiten hart, und unheilbar: „Ich war froh, das Amt wieder los zu sein“, sagt der Betreuer, der Mollath für krank hält. „Und ich war meine Habe los“, sagt Mollath, der den Betreuer für unfähig hält.

Gustl Mollath dachte nicht daran, mit dem Gutachter zu sprechen

Als Alfred Huber (53) Gustl Mollath erlebte, fasste er einen Entschluss. Oder eher: einen Beschluss. Den seltsamen Mann, der ihm gerade einen 106 Seiten starken Ordner mit teils wirrem Inhalt auf den Richtertisch am Amtsgericht in Nürnberg gelegt hatte, der angeklagt war, weil er seine Frau misshandelt haben soll, diesen seltsamen Mann wollte er nicht verurteilen. „Ich hatte ernsthafte Zweifel.“ Denn im Raum stand eine zumindest eingeschränkte Schuldunfähigkeit, sagt der Jurist heute. Ansonsten wäre es „der einfache Weg“ gewesen, das Verfahren mit einem schnellen Urteil zu beenden. Doch als Richter musste er sogar helfen, musste Mollath vor einem falschen Urteil bewahren. Doch der dachte nicht daran, mit dem Gutachter zu sprechen. Seine Hilflosigkeit endete in Handschellen. Er wurde verhaftet. Und landete in der Psychiatrie, freigesprochen, aber zum psychisch Kranken verurteilt.

„Da hat er eine Weiche gestellt, die ich immer noch nicht nachvollziehen kann, aber das ist seine eigene Entscheidung.“ Immer noch versteht Mollaths Pflichtverteidiger Dolmany nicht, warum. Warum hat Mollath nie mit ihm gesprochen? Weil er ihn für einen hielt, der mit Staatsanwalt und Richter gemeinsame Sache macht. Das sei verständlich, aber hätte sich mit einem Gespräch ausräumen lassen, sagt Dolmany. „Ich würde neben dem Staatsanwalt sitzen? Gaga!“, sagt Dolmany. Hätte Mollath ihm gesagt, er wolle freigesprochen werden, „ich hätte es 100 Prozent versucht“. Stattdessen Schweigen. Und viele Briefe, auch solche mit Beleidigungen. Dolmany riet Mollath, der schon untergebracht war, doch mit den Ärzten zu reden. Nach sechs Monaten wäre er freigekommen. Doch Mollath sprach nicht. Nur in Gerichtssälen haben die beiden sich „höflich“ begrüßt und miteinander gesprochen, ganz kurz. Mehr nicht. So wie am Mittwoch im Landgericht Regensburg, als es um die Beschreibung des Gerichtssaales 619 in Nürnberg ging. „Da war die Anhörung, wo Sie nicht da waren“, giftete Mollath. Und Dolmany seufzte: „Sehen Sie, er macht einfach weiter.“ Und hilflos klangen beide.

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