Im Kurier-Interview zieht der scheidende Polizeipräsident Reinhard Kunkel Bilanz und gesteht eine kleine Sünde Wie der Polizeipräsident geblitzt wurde

Von Manfred Scherer
Polizeipräsident Reinhard Kunkel geht zum April 2017 in den Ruhestand. Foto: Manfred Scherer Foto: red

Seit Oktober 2010 ist Reinhard Kunkel Polizeipräsident Oberfrankens. Nun ist Schluss. Am kommenden Freitag wird der 61-Jährige in den Ruhestand geschickt. Im Kurier-Interview legt er noch ein Geständnis ab.

 
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Sind Sie schon mal geblitzt worden?

Reinhard Kunkel: In der Tat bin ich schon geblitzt worden. Und ich muss sagen, ich hab’ sehr brav mein Geld bezahlt, in der Hoffnung, dass es natürlich nicht die Außenwirkung kriegt, wo man sagt: Schaut her, der Polizeipräsident... Ich bin im eigenen Dienstbereich geblitzt worden und zwar war ich da in einer 30er-Zone etwas zu schnell. Es war noch im Verwarnungsbereich. Ich bin bemüht, immer mit Tempomat zu fahren, um mich nicht der Gefahr auszusetzen, dass ich nicht gegen Geschwindigkeitsvorschriften verstoße.

Wenn sie im Edeka einen Wurstdieb sehen – was machen Sie?

Kunkel: Als Polizeivollzugsbeamter werde ich einschreiten, mit allen Konsequenzen und natürlich werde ich die Umstehenden um Hilfe bitten, damit die Kollegen kommen können, um alles weitere zu veranlassen.

Sie kommen aus dem schönen Spessart. Wo gibt es die schöneren Motorradrouten – im Spessart oder in der Fränkischen Schweiz?

Kunkel: Ich muss gestehen, dass die letzten Routen, die mir noch gut in Erinnerung sind, ausschließlich in Oberfranken waren. Aber ich würde die Routen in der Fränkischen Schweiz und Spessart gleichsetzen.

Thema Motorradfahrer – holen Ihre Streifenpolizisten oft genug die Motorradraser raus? Was an schönen Sommertagen beispielsweise am Würgauer Berg los ist, halten viele für Wahnsinn.

Kunkel: Wir wissen um die Problematik. Wir haben bei der Polizeiinspektion Bamberg Land einen Schwerpunkt gesetzt. Die Kollegen sind sehr aktiv.  Wir haben heuer laut der Statistik wieder mehr tote Motorradfahrer zu beklagen. Leider gelingt es nicht immer, die gefährlichen Raser rauszufiltern, weil unsere Kollegen sich in Geschwindigkeitsbereich begeben müssten, die für die Kollegen lebensgefährlich sind. Und das ist es nicht wert. Da muss man sagen: Lieber abbrechen und nicht hinterher. Das hat dann nichts mit Augen zudrücken zu tun. Da muss man an den Verstand und die Vernunft der Raser appellieren: Ihr setzt euer Leben und das Leben anderer aufs Spiel.

Ihre Kinder – wollten die Polizist werden?

Kunkel: Wir haben zwei Töchter. Beide haben nie den Wunsch verspürt zur Polizei zu gehen. Vielleicht war der Vater ein abschreckendes Beispiel, weil er nur selten zu Hause war, immer unterwegs, Tag und Nacht – die Wochenenden sind manchmal auch zu Lasten der Familie gegangen. Unsere große Tochter ist Gymnasiallehrerin, die jüngere ist in Erlangen bei einer großen Firma Betriebswirtschaftlerin. Beide interessiert der Beruf des Vaters, sie haben beide auch ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, aber als Polizistinnen wollten beide nie arbeiten.

Sind Sie der Meinung, dass Polizisten genug Geld verdienen?

Kunkel: Ich war auch schon in der Situation, in München Dienst machen zu müssen, dort mit einer jungen Familie zu leben, wo zum Schluss nur ein Verdienst da ist, wenn beispielsweise die Frau schwanger ist. Da wird im mittleren Dienst das Geld knapp. Viele Kollegen haben dort zu knapsen. Für einen solchen Ballungsraum würde ich die Situation anders bewerten wie irgendwo im ländlichen Raum.

Wenn ich unsere Arbeit im Vergleich zu anderen Berufsgruppen sehe, muss ich sagen: Wir haben einen gefährlichen Beruf, der einiges abverlangt – sowohl von der Dienstzeit als auch von der Art und Weise des Dienstes. Ich glaube aber auch, dass der Beruf doch anständig bezahlt wird und ich glaube auch, dass man vielleicht an manchen Stellschrauben drehen sollte. Das betrifft insbesondere den Schichtdienst. Diesen unangenehmen Dienst sollte man besser honorieren.

Anspucken, Beleidigen, körperliche Übergriffe gegen Polizisten scheinen an der Tagesordnung zu sein. Ist das so und würden Sie jungen Menschen heute raten, Polizist zu werden?

Kunkel: Ich würde heute jedem raten, zur Polizei zu gehen, wenn er die Neigung hat. Ich glaube, dass es sich lohnt, sich für diese Gesellschaft einzusetzen. Es ist ein höchst interessanter Beruf und ich und viele Kollegen erkennen die Notwendigkeit, hierfür auch die unangenehmen Dinge in Kauf zu nehmen. Der Beruf wird auf jeden Fall unangenehmer und gefährlicher.

Wir führen seit einiger Zeit Statistiken über die Übergriffe gegen Polizeibeamte. Hier sind die Zahlen in den letzten Jahren gestiegen und auch auf hohem Niveau. Das Beleidigen, das Anpöbeln – bis hin zu körperlichen Angriffen hat in der Tat zugenommen. Hier spielt die Nachtzeit und der Alkohol eine große Rolle. Was früher vielleicht noch die Uniform bewirkt hat, nämlich einen Respekt für die Polizei, ist nicht mehr so: Er wird an den Streifenwagen uriniert, man findet die unmöglichsten Beleidigungen, bis hin zu rassistischen Ausdrücken.

Unter diesem Gesichtspunkt war es richtig und ist es notwendig, dass der gesetzliche Schutz verbessert worden ist und dass man jetzt auch Mechanismen prüft, um das Problem vielleicht besser in den Griff zu bekommen – nämlich die sogenannte Body-Cam, um das Geschehen vor Ort aufzunehmen, Beweise zu sichern und zu signalisieren: Passt auf, euer Verhalten wird dokumentiert.

Es heißt immer wieder, die Polizei in Oberfranken sei unterbesetzt und überaltert. Stimmt das noch?

Kunkel: Vom Altersdurchschnitt liegen wir in Oberfranken etwas höher als die Ballungsraum-Verbände wie München und Nürnberg. Das liegt daran, dass die jungen Kollegen nach ihrer Ausbildung von der Bereitschaftspolizei vermehrt in die Ballungsräume gehen und von dort aus nach einer gewissen Zeit zu uns zurück kommen.

Wobei wir bei den letzten Zuteilungsterminen auch ganz junge Kollegen von der Bereitschaftspolizei bekommen haben. Das Durchschnittsalter wird in Zukunft gesenkt werden. Unterbesetzt sind wir in Oberfranken nicht: Unsere Stellen sind belegt, wir haben keine offenen Stellen. Unser Bedarf kommt daher, weil der öffentliche Dienst ein sehr sozialer Dienst ist.

Wir haben neben den üblichen krankheitsbedingten Ausfällen auch Ausfälle wegen Familienzeiten, es gibt Ausbildungs- und Fortbildungszeiten, Schwangerschaften – der Frauenanteil nimmt immer mehr zu. Dadurch ist eine gehörige Zahl nicht aktuell im Dienst. Diese Stellen werden natürlich nicht doppelt besetzt.

Was würden Sie als Ihren größten Erfolg als oberfränkischer Polizeipräsident bezeichnen?

Kunkel: Wir haben in letzter Zeit sehr viele Dinge umgesetzt, die allesamt notwendig waren. Da waren die ganzen Aktivitäten um die Rahmenbedingungen, sprich Bautechnik. Es ging auch darum, in der Personalplanung die richtigen Schwerpunkte zu setzen, sprich: Wo ist der richtige Mann, die richte Frau am richtigen Ort eingesetzt? Daneben haben wir sehr viele taktische und strategische Zeile festgelegt, die zum Erfolg geführt haben.

In der polizeilichen Arbeit freut mich sehr, dass es uns gelungen ist, das Freie Netz Süd zurückzudrängen, auch, dass das Anwesen in Oberprex nahe Hof nicht mehr Stützpunkt der Rechten ist. Wir haben auch in Bamberg gegen die extremistische Szene einen großen Schlag durchführen können. Wir haben Schwerpunkte gesetzt, die wir organisatorisch weiterverfolgen: Das ist die Bekämpfung des Crstal-Schmuggels an der tschechischen Grenze mit sehr guten Erfolgen auch in der Zusammenarbeit mit den tschechischen Kollegen.

Wir haben das modernste Polizei-Einsatztrainingszentrum hier in Bayreuth gebaut, um auch auf die Herausforderungen der aktuellen Zeit und der Zukunft reagieren können. Unsere Kollegen können im Hinblick auf Anschläge und Terror trainieren. Wir haben in Hof ein hochmodernes Spurensicherungsbäude errichtet. Wir haben aber auch – und da bin ich recht stolz – zwei Inklusionspreise erhalten, weil zirka acht Prozent unseres Personals Behinderte sind. Das ist außergewöhnlich, weil man landläufig glaubt, dass es nicht möglich ist, bei der Polizei Menschen mit Behinderung zu beschäftigen.

Was war ihr größter Misserfolg?

Kunkel: Ich würde nicht von Misserfolgen reden. Es sind viele Dinge angestoßen, die noch nicht zu Ende gebracht wind. Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern, sowohl materiell und personell. Wir brauchen zum Beispiel im Bereich Bamberg unbedingt eine Entlastung im zentralen Dienstgebäude, weil dort die Räumlichkeiten aus allen Nähten platzen. Deshalb ist geplant, dass die Verkehrspolizei einen Neubau bekommen soll – allerdings wird das noch dauern.

Apropos Misserfolg: Die DNA-Panne im Fall Peggy scheint geeignet, das Vertrauen in die Polizei zu erschüttern. Gibt es Konsequenzen aus der Schlamperei?

Kunkel: Ich würde das anders sehen. Vom Ergebnis her war es eine Übertragung einer Spur, die da nichts zu suchen hat. Die Arbeit der Sonderkommission, der Kriminalisten und der Gutachter hat allerdings genau das zutage gefördert. Dass so eine kleine Spur gefunden wurde, ausgewertet wurde und das Ergebnis verifiziert werden konnte, dass es eben keine tatrelevante Spur ist, ist aus meiner Sicht eine beachtliche Leistung. Das wäre wahrscheinlich vor fünf oder zehn Jahren in dieser Art und Weise nicht möglich gewesen, man wäre noch länger einer solchen Trugspur mit anderer Vehemenz nachgegangen.

Gibt es in der Region Reichsbürger, wo sitzen die? Sind diese Leute gefährlich? Haben die legale Waffen?

Kunkel: Wir haben diese Leute auch in Oberfranken. Aber es ist derzeit nicht erkennbar, dass die hier in der Art einer Partei agieren. Wir haben eine dreistellige Zahl an Reichsbürgern in der Region, die wir in Zusammenarbeit mit den Behörden herausgefiltert haben. Wir haben natürlich drauf geachtet, wer über Waffen verfügt und mit den Waffenbehörden eine Bewertung vorgenommen. Wer diesen Staat ablehnt, kann aus meiner Sicht niemals in Besitz einer Waffe sein. Diese Verfahren laufen.

Gibt es Polizeibeamte, die zu dieser Bewegung gerechnet werden?

Kunkel: Wir haben in der Tat Prüffälle gehabt. Diese Fälle sind dienstrechtlich abgehandelt worden. Es waren zwei oder drei Beamte. Dort wo es gravierend ist, werden die Konsequenzen bis zur bitteren Neige gezogen. Zu Dienstenthebungen hat es bisher aber nicht geführt bei uns.

Unter ihrer Führung wurde die Landespolizeiinspektion in Selb umstrukturiert. Es gab Proteste in der Lokalpolitik. Hat die neue Fahndungsinspektion denn schon Fahndungserfolge erzielt – außer den in den Presseberichten vermeldeten Aufgriffen von Reisenden, die mit Kleinstmengen an Rauschgift erwischt wurden? Und wie schnell sind die Beamten der nun an Marktredwitz angegliederten Wache in Selb im Ernstfall vor Ort?

Kunkel: Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Umstrukturierung eine wesentliche Verbesserung für die Polizei im Landkreis Wunsiedel ist und entlang der bayerisch-tschechischen Grenze. Aufgrund der geänderten polizeilichen Notwendigkeiten war es erforderlich, eine starke Fahndung zu etablieren. Das ist durch diese Umstrukturierung gelungen.

In diesem Landkreis Wunsiedel haben wir weiterhin zwei Dienststellen: Die PI Wunsiedel und die PI Marktredwitz. Wir haben zusätzlich die Inspektion Fahndung und haben es erreicht, dass diese Fahndung in diesem Jahr mit fünf Stellen und im nächsten Jahr noch mal mit fünf Stellen verstärkt wird. In der Summe bedeutet das, dass wir mehr Personal in dem Landkreis haben werden. Und ja, es gibt Erfolge.

Es ist nicht nur die Fahndung nach Rauschgiftkonsumenten mit Kleinmengen, sondern auch nach Tätern die Wohnungseinbrüche oder Kfz-Verschiebung begehen. Um schnell und ausreichend vor Ort zu sein, haben wir die Polizeiwache Selb beibehalten. Wir haben überdies festgelegt, dass der Bereich Selb immer durch eine oder mehrere Streifen belegt ist, um die Reaktionszeit möglichst kurz zu halten.

Sind weitere Umorganisationen zu erwarten?

Kunkel: In dieser Form nicht. Was momentan läuft, sind Ergänzungen bei den Kriminalpolizeien. Dort sind wir dabei, zusätzliche Cybercrime-Kommissariate einzurichten.

Wir haben den Tipp bekommen, dass sie eine Ausbildung als Fahrlehrer, Sachverständiger und Prüfer für Kraftfahrzeugverkehr haben. Dann haben wir gehört, dass sie technisch und handwerklich interessiert sind und auch gerne Fußball spielen. Was machen sie jetzt im Ruhestand? Autos herrichten? Buddelschiffe bauen? Eine Altherrenmannschaft führen?

Kunkel: Es ist ein der Tat so, dass Technik mich sehr interessiert. Mein Fahrlehrerschein ist nicht mehr gültig. Kfz-Sachverständiger werde ich nicht mehr machen. Ich werde die technischen Kenntnisse im privaten Bereich verwenden. Und solange ich fit bin, werde ich gerne jede Fußballmannschaft ergänzen, sollte ich gefragt werden. Ich werde niemand sein, der täglich auf die festen Essenzeiten und die Tagesschau wartet.

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