Peter Siebenmorgen hat den privaten Nachlass Wolfgang Wagners gesichtet Wenn nichts zu enthüllen ist

 Foto: red

Er ist der Mann, dem Festspielleiterin Katharina Wagner den privaten Nachlass ihres Vaters übergab: Der Journalist und Historiker Peter Siebenmorgen hat Frau Wagner gegen den Vorwurf verteidigt, sie blockiere die Aufarbeitung der Wagner-Familiengeschichte. Das Gegenteil ist der Fall, sagt Siebenmorgen. Mit ihm sprach Gert-Dieter Meier.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Herr Siebenmorgen, Sie sind gemeinsam mit Wolfram Pyta von Katharina Wagner auserkoren worden, den Nachlass von Wolfgang Wagner zu sichten. Nike Wagner hält Ihnen und Katharina Wagner „Verschleppungstaktik“ vor. Mit folgenden Worten: „Die Herren Siebenmorgen und Pyta dürfen entweder nichts tun oder sie tun es nicht.“ Was sagen Sie dazu?
Siebenmorgen: Das ist völlig abwegig.

Wie aufwändig ist es denn gewesen, den Nachlass Wolfgang Wagners zu sichten und zu bewerten?
Siebenmorgen: Wolfgang Wagner hat Berge von Papier hinterlassen. Diese Papiere sind weithin ungeordnet. Da finden sich zu allen möglichen Lebensbereichen aussagekräftige und weniger aussagekräftige Unterlagen. Wir haben uns in einem ersten Schritt einen groben Überblick verschafft, was es zu dem speziellen, uns interessierenden Thema „Bayreuther Festspiele im Dritten Reich“ beziehungsweise die Festspiele und der Nationalsozialismus – man wird das Thema nämlich weiter fassen müssen als nur bezogen auf die Zeit 1933 bis 1945 – gibt. Und diese Sichtungsarbeiten sind weitgehend abgeschlossen

Gibt es schon Ergebnisse, ist mit Spannendem zu rechnen, muss man vielleicht sogar die Festspielgeschichte umschreiben?
Siebenmorgen: Ganz sicher nicht. Man sollte doch einfach mal rückwissend den Kontext beachten. Es gibt ja Leute, die jetzt große Vorhaltungen von Verschleppung, Vertuschung und Verschleierung machen. Was ist denn da noch zu vertuschen? Dass der Grüne Hügel im Dritten Reich eine zutiefst braune Veranstaltung gewesen ist, wissen wir doch längst. Und wenn dieser Grundsachverhalt bekannt ist – und es ist ja durch die Arbeiten von Michael Karbaum ("Studien zur Geschichte der Bayreuther Festspiele", 1976), Hans Mayer („Richard Wagnern in Bayreuth“) und Brigitte Hamann („Die Familie Wagner“ 2005, „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“, 2002) weit mehr bekannt als das abstrakte Faktum – was will man dann noch an Sensationellem herausfinden? Brauner als braun geht nun mal nicht. Ich wüsste auch niemand in der seriösen Wissenschaft, der so etwas versprechen oder in Aussicht stellen könnte oder auch nur erwarten würde.

Indirekt sagt das ja auch Nike Wagner, die selbst, wie sie in einem Interview sagte, „allenfalls neue Nuancen“ erwartet nach der Sichtung der Archive ….
Siebenmorgen: Genau deshalb ist auch ihr Vorwurf der Verschleppung absurd. Wenn nichts zu enthüllen ist, macht eine Verschleppung einfach keinen Sinn.

Sie sitzen nun zwei Jahre über dem Material. Welcher Aufwand ist es, das zu sichten, zu lesen, zu bewerten und gegebenenfalls zu archivieren?
Siebenmorgen: Nein, wir archivieren nichts. Weder Prof. Pyta noch ich selbst sind ausgebildete Archivare, die es nun mal braucht, um einen solchen Nachlass vernünftig archivarisch zu bearbeiten und zu verzeichnen. Das können wir nicht. Wir haben uns einen Überblick verschaffen wollen – und dazu den Nachlass Wolfgang Wagners gesichtet und in anderen Archiven gearbeitet, ob dort womöglich Neues zu heben ist. Zu glauben, dass ein Nachlass ausreichen würde, um an ein so großes Thema heranzugehen, zeugt von einer elementaren Unkenntnis wissenschaftlicher Prozesse und Zusammenhänge. Im Übrigen haben wir das getan, ohne von irgendjemand auch nur einen Cent dafür bekommen zu haben. Das ist eine reine Pro-Bono-Tätigkeit gewesen, die wir neben unseren beruflichen Beanspruchungen ausgeübt haben.

Wie sind Sie denn an die Materialien rangekommen?
Siebenmorgen: Katharina Wagner hat uns eingeladen nach Bayreuth – und uns alles zugänglich gemacht. Ich habe Wert darauf gelegt, dass Sie oder einer Mitarbeiter daneben steht, während wir die Sachen angeschaut haben. Damit nicht der Eindruck entsteht, dass da irgendetwas abhandenkommen könnte. Nach der Erstsichtung habe ich dann Dinge ausgewählt, die ich mir genauer anschauen wollte. Und die habe ich dann mitgenommen. Insofern stimmt auch nicht, was kolportiert wird: Der Nachlass liegt nicht bei mir. Bei mir liegen ausgewählte Stücke, die ich für wichtig erachtet habe, genauer zu sichten.

Nochmal gefragt: Um welches Mengen Papier handelt es sich dabei?
Siebenmorgen: Das kann man schlecht quantifizieren, weil die Dinge weder verzeichnet noch geordnet sind. Es handelt sich oft um lose Papierbestände. Es ist aber ein sehr umfangreicher Nachlass, in dem sich das ganze Leben wiederspiegelt. Das, was uns interessiert, ist nur eine sehr kleine Teilmenge davon.

Das können also Briefe an einen Kartenbesteller, ein Schreiben an Tante sowieso oder ein Protestbrief an die Stadt Bayreuth sein – das ganze bunte Leben?!
Siebenmorgen: Genau, das uns vieles mehr. Aber auch in solchen Dingen kann natürlich eine interessante Information stecken; deshalb muss man sich ja, wenn man seriöse Wissenschaft betreiben will, alles sehr genau anschauen und sich an die Regeln des Handwerks halten.

Noch ein Vorwurf, dieses Mal aus einer ganz anderen Ecke: Hannes Heer, der Kurator der Ausstellung „Verstummte Stimmen“ hat in einem Interview wörtlich gesagt: „Alle Versuche der Stiftung und der Stadt, zu einer Absprache mit ihrem ,Hofhistoriker' zu kommen, scheiterten.“ Hand aufs Herz: Haben Sie Heer den Zugang zum Wagner-Nachlass verweigert?
Siebenmorgen: Natürlich nicht, warum sollte ich. Aber es stimmt, dass er die Dinge nicht gesehen hat. Weil er nicht einmal angefragt hat. Ich habe mit Herrn Heer in meinem ganzen Leben noch kein Wort gewechselt. Er hat mir weder einen Brief noch eine Mail geschrieben und auch nicht angerufen. Zu mir hat aber Sven Friedrich Kontakt aufgenommen (der Leiter des Richard-Wagner-Nationalarchivs, Anm.d.Red.); er ist sofort von mir über die Sachlage in Kenntnis gesetzt worden. Und seinem Wunsch, ob er sich einen persönlichen Eindruck verschaffen könne über das Material, das mir vorliegt, habe ich entsprochen. Er hat mich dann besucht und sich ein Bild gemacht. Das ist die Geschichte.

In die Kritik ist in letzter Zeit vor allem Katharina Wagner geraten. Man hält ihr vor, dass sie die Aufarbeitung der Geschichte nur halbherzig betreibe. Ihre Erfahrung?
Siebenmorgen: Exakt die gegenteilige! Prof. Pyta und ich finden es anerkennenswert, dass Frau Wagner ohne jeden Vorbehalt die Papiere ihres Vaters der Wissenschaft zugänglich macht. Sie liess uns gewissermaßen die Tür öffnen, durch die jetzt auch andere gehen können. Soweit ich das überblicke, ist Katharina Wagner zudem die einzige, die ernsthafte und nachhaltige Anstrengungen unternimmt, um diesen ominösen Aktenbestand, der der Erbengemeinschaft Siegfried und Winifred Wagner widerrechtlich von Amelie Homann vorenthalten wird, endlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Während andere Familienangehörige mal wieder ihrem Lieblingssport frönen – Katharina-Bashing -, gemütlich in der Loge sitzen, um sich das ganze Treiben genüsslich anzuschauen – aber in der Sache nichts Erkennbares tun.

Was kann man tun, um endlich an das vermeintlich so brisante Material aus dem Wagner-Giftschrank heranzukommen?
Siebenmorgen: Nach meiner Auffassung wird der Erbengemeinschaft widerrechtlich Eigentum vorenthalten. Da ist nicht mehr der Historiker, sondern der Jurist gefragt. Aber es wäre falsch, sich bei der Suche nach Akten allein auf den mythischen Schrank zu versteifen. Es gibt jedenfalls Grund anzunehmen, dass auch anderswo noch Dinge liegen. Möglicherweise lassen sich auch in Privathaushalten in Bayreuth noch Dinge finden.

Gibt es von Ihrer und Pytas Seite bereits ein Fazit, gibt es Empfehlungen für das weitere Vorgehen?
Siebenmorgen: Wir haben in der Tat Katharina Wagner Empfehlungen ausgesprochen, denen sie aufgeschlossen gegenüber steht. Unser Teil der Arbeit ist weitgehend abgeschlossen. Wir sehen aber, dass permanent Misstrauen gesät wird. Unser Vorschlag geht deshalb dahin, den Nachlass Wolfgang Wagners ans Bundesarchiv – oder eine vergleichbare Einrichtung – abzugeben. Damit dieser Nachlass von kompetenter Seite verzeichnet, geordnet und anschließend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Darüber hinaus haben wir vorgeschlagen, das Institut für Zeitgeschichte oder eine vergleichbar kompetente Einrichtung zu fragen, ob man sich dort der wissenschaftlichen Auswertung der Inhalte annehmen will, damit die absurden Diskussionen endlich mal aufhören. Dort gibt es Sachkunde, qualifiziertes Personal und Sachmittel, die erforderlich sind, um ein so umfängliches Thema in seiner ganzen Dimension zu erforschen, wo sonst die Kapazität einzelner Forscher an ihre natürlichen Grenzen stößt. Prof. Pyta und ich sehen uns jedenfalls nicht mehr in der Lage, mit unseren Mitteln sehr viel zu diesem Themenkomplex beitragen zu können. Wobei mir in diesem Zusammenhang auch wichtig ist, auf eines hinzuweisen: Katharina Wagner ist Geschäftsführerin der Festspiele GmbH. Ihre Aufgabe ist es ausschließlich, Festspiele zu organisieren. Für alles andere ist sie weder autorisiert, noch hätte sie hierfür irgendwelche Mittel. Wenn irgendjemand verantwortlich ist für den Themenkomplex Vergangenheitsbewältigung und möchte, dass das auch ordentlich gemacht wird, dann ist es entweder die Stiftung oder es sind die Gesellschafter der Stiftung, also Bund, Freistaat, Stadt und die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier haben als Geschäftsführerinnen hierfür keinerlei Mandat. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Gesellschafter, die sich für das Unternehmen Bayreuther Vergangenheitsbewältigung bisher noch nicht engagiert haben, sich mit einer Lösung Bundesarchiv und Institut für Zeitgeschichte sehr gut anfreunden könnten. Dadurch könnte dann auch tatsächlich diese wirklich absurde Diskussion der letzten Wochen und Monate, die angetrieben wurde und wird durch Halbwissen, böswillige Unterstellungen und besondere Wagner-Gene, beendet werden.

Kommen wir zur entscheidenden Frage: Haben Sie denn bei der Sichtung der Materialien irgendeinen Hinweis entdeckt, der Wolfgang Wagners Rolle bezüglich des nationalsozialistischen Umtriebe in ein neues Licht setzen würde?
Siebenmorgen: Nein! Im Nachlass ist sicherlich viel Spannendes drin – aber zu diesem Komplex gibt es nach heutigem Stand nichts Neues.

Rechnen Sie mit einem ähnlichen Ergebnis nach Sichtung des Materials, was in dem Giftschrank ruht?
Siebenmorgen: Ich weiß nicht, was in dem Giftschrank war oder noch ist. Man weiß aber, dass interessantes Material verschwunden ist. Wahrscheinlich ist das in dem Giftschrank – oder dort mal gewesen. Diese Frage aber kann nur Frau Homann beantworten. Sie ist in der Pflicht – gegenüber den Erben und gegenüber der Öffentlichkeit, die einen Anspruch darauf hat zu erfahren, ob es zusätzliches Material zur Frage der Verstrickung der Bayreuther Festspiele mit dem Nationalsozialismus gibt.

Zur Person:
Peter Siebenmorgen (51) hat Politik, Philosophie, Neuere Geschichte und Öffentliches Recht unter anderem in Bonn studiert und wurde mit einer zeithistorischen Studie promoviert. Siebenmorgen ist Autor mehrere Sachbücher, lebt bei Berlin und ist Journalist.

Autor