Wenn die Seele Bauchweh hat

Von Ulrike Sommerer
Wenn die Seele für Bauchweh sorgt, bekommt ein Kind am Bayreuther Klinikum Hilfe. Denn auch psychische Belastungen können durchaus für körperlichen Schmerz sorgen, sagt Ines von der Osten-Sacken, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Sie ist dauernd da. Diese Angst. Sie schnürt die Kehle zu, der Bauch tut weh, rasende Kopfschmerzen. Die Ärzte checken das Mädchen durch. Sie finden nichts. Bis eine Psychologin das Gespräch sucht und herausfindet, dass das Mädchen ein traumatisches Erlebnis hatte. Als Kleinkind wäre das Mädchen beinahe ertrunken. Viele Jahre später hat sich dieses traumatische Erlebnis in ihr Gedächtnis und ihren Körper gefressen. Es schmerzt, obwohl es längst überwunden schien. Hilfe gibt es in Bayreuth gleich an mehreren Stellen.

 
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Das Klinikum Bayreuth kann helfen - auch, wenn der Schmerz keine organische Ursache sondern eine seelische hat. Es bekam vom Ministerium für Gesundheit und Pflege die Zulassung für eine psychosomatische Versorgung von Kindern und Jugendlichen.

Seelischer Schmerz und psychosoziale Belastungen zeigen sich durchaus körperlich, erklärt Dr. Ines von der Osten-Sacken. Sie ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapeutische Medizin am Klinikum und wird immer dann zu Rate gezogen, wenn nach umfassender Untersuchung keine körperlichen Ursachen für Schmerzen gefunden werden können. Im Gehirn werden nicht nur bei körperlichen sondern auch bei einem seelischen Schmerz dieselben Nervenzellen aktiviert.

Viele Erkrankungen in Bayreuth

Nach Jahren an der Kinderklinik in Erlangen arbeitet die gebürtige Hannoveranerin von der Osten-Sacken inzwischen seit eineinhalb Jahren am Bayreuther Klinikum. Was sie erschreckt: Trotz der ländlichen Prägung Oberfrankens gebe es hier erstaunlich viele Krankheiten, in denen Kinder- und Jugendliche psychisch behandelt werden müssen. Bei etwa 1000 Kindern und Jugendlichen - ein Viertel der Kinder, die in der Kinderklinik aufgenommen werden - stellt sich schließlich eine psychosomatische Ursache heraus. Der Bedarf sei so groß, dass ab September eine weitere Kinder- und Jugendpsychiaterin am Klinikum eingestellt werde.

Schmerzen sind real

Kommt ein Kind mit Schmerzen in die Bayreuther Kinderklinik, wird immer erst nach einer körperlichen Ursache gesucht. Eine verletzte Seele kann viele Symptome zeigen. Bauchweh, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, aber auch Beschwerden, hinter denen man zunächst neurologische Gründe vermutet wie Taubheitsgefühle oder Krampfanfälle. Die Schmerzen sind real, sagt Professor Thomas Rupprecht, Leiter der Kinderklinik. "Es tut dem Kind richtig weh, das muss man sehr ernst nehmen." Findet sich keine organische Ursache, werde das Gespräch mit Kind und Eltern gesucht.

Ursachenforschung

Die Ursache für ein Trauma oder eine seelische Störung könne Jahre her sein, könne nicht einmal mehr in Erinnerung der Betroffenen und ihres Umfelds sein, erklärt von der Osten-Sacken. Ein Auslöser wie Stress könne dann plötzlich zu Schmerzen oder anderen körperlichen und emotionalen Störungen führen. "Was ich sehe, fühle, höre und rieche, bleibt gespeichert." Wird die Ursache nicht verarbeitet, beispielsweise nach einem Unfall, komme es zu einer posttraumatischen Belastungsstörung mit entsprechenden Beschwerden. In einer psychosomatischen Komplexbehandlung werden die Belastungen verarbeitet, die Kinder Kinder psychische stabilisiert und ihr Selbstvertrauen gestärkt. "Ressourcen stärkend arbeiten", nennt von der Osten-Sacken es.

Mobbing, Unfall, Trennung

Was bei einem Menschen ein Trauma auslöst, kann für andere völlig banal erscheinen. Von der Osten-Sacken nennt in Bezug auf Kinder zum Beispiel Trennung der Eltern, einen Unfall, den Verlust emotionaler Sicherheit, im Schulalltag auch Demütigung zum Beispiel durch Mobbing. Entscheidend sei, dass das Kind etwas subjektiv als bedrohlich und belastend erlebt habe, erklärt von der Osten-Sacken.

Am Ende des stationären Aufenthalts in der Kinderklinik steht eine Beratung und Empfehlung. Wenn die Behandlung des Kindes ambulant fortgesetzt werden müsse, werde das geregelt. Auch die Eltern des Kindes werden hier einbezogen um mögliches Fehlverhalten zu vermeiden. Hier arbeite die Klinik eng mit den niedergelassenen Kinderärzten, Kinderpsychiatern, Psychotherapeuten und gegebenenfalls auch mit den Schulen und Kindergärten eng zusammen.

Weitere Anlaufstellen für Kinder in Not

Bezirkskrankenhaus Bayreuth: Hilfe bekommen Kinder, die psychische Probleme haben, auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Bezirkskrankenhauses Bayreuth. Von Januar bis Juni 2017 wurden dort 265 Patienten teilstationär oder stationär aufgenommen.

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Stellvertretende Chefärztin Stephanie Steinmann stellt klar, dass erster Ansprechpartner bei Schmerzen oder Auffälligkeiten der Kinder- oder Hausarzt sein soll. Es sollte immer erst abgeklärt werden, ob nicht doch ein körperliches Problem vorliegt. Man dürfe ein Kind oder Jugendlichen "nicht zu früh auf die psychosomatische Schiene bringen" und dann stecke vielleicht doch zum Beispiel eine Nahrungsmittelunverträglichkeit dahinter. Sollte sich jedoch kein körperliches Problem finden lassen, würde der Kinderarzt zu niedergelassenen Psychologen oder ans Bezirkskrankenhaus verweisen. Der Schwerpunkt dort liegt auf stationärer und teilstationärer Behandlung, es gibt aber auch ein ambulantes Angebot. Das sei gerade in Krisensituationen oder zur Diagnostik eine gute Anlaufstelle, sagt Steinmann.

Gespräche mit Eltern

Natürlich, sagt sie, haben Eltern nach wie vor oft Vorbehalte gegen eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung - eines gebrochenen Armes schämt man sich weniger, als zuzugeben, dass psychische Probleme vorhanden sind. Doch Stephanie Steinmann bemerkt eine Veränderung im Bewusstsein der Gesellschaft. Dazu trage auch bei, dass eine Behandlung immer nur mit ausführlichen Vorgesprächen stattfinde. Ängste der Eltern werden allein dadurch, dass Eltern sich die Klinik ansehen können, abgebaut, Gespräche tun das Ihre. Das ist wichtig. Denn Eltern spielen eine große Rolle in der Behandlung der Kinder - ohne die Eltern wäre eine psychosomatische Behandlung gar nicht denkbar. Stephanie Steinmann spricht hier von einem "verpflichtenden Teil der Behandlung".

Kinderschutzbund: Eine erste Anlaufstelle in Notfällen ist auch der Kinderschutzbund, beziehungsweise das Kinder- und Jugendtelefon. Hier dürfen Kinder sich mit ihren Sorgen hinwenden. Die Nummer lautet 116111. Unter dieser Nummer können Kinder anonym anrufen, von montags bis samstags ist zwischen 14 und 20 Uhr immer jemand zu erreichen. Ein vergleichbares Angebot gibt es für Eltern: Unter der Nummer 0800/1110500 können sich Eltern beraten lassen.

Ansprechpartner an den Schulen

Der Kinderschutzbund versteht sich aber nicht als Hilfeeinrichtung, sondern tatsächlich als erste Anlaufstelle. Dort passiert keine Therapie. Vielmehr geht es darum, geeignete Ansprechpartner und Therapiemöglichkeiten zu vermitteln, erklärt Ulrike Thoma-Korn. Sie ist Sozialpädagogin beim Kinderschutzbund. Die Gespräche und Beratung durch den Kinderschutzbund ist vertraulich und kostenlos. In vielen Fällen, in denen Kinder über körperliche Beschwerden klagen, ohne dass sie krank sind, spiele der Bereich Schule eine große Rolle, erklärt sie. Kinder haben Schulangst, Prüfungsangst, Angst vor Hänseleien oder Mobbing. In diesen Fällen kann auch der jeweilige Schulpsychologe oder Schulsozialarbeiter angesprochen werden.

Kinder und Eltern können sich mit Sorgen auch an Avalon oder die Erziehungsberatungsstelle wenden.

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