Was war das Motiv für die Babymorde?

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Die Familie von Andrea G. wohnt jetzt wieder in dem Haus, in dem die toten Babys lagen. Nach dem Fund hatten Menschen Blumen und Kerzen auf ein Fensterbrett des Hauses gestellt. Foto: Nicolas Armer/dpa Foto: red

War sie wirklich so „normal“, wie die Wallenfelser sagen? Oder gab es doch Hinweise, dass etwas nicht stimmte mit Andrea G. (45), der Frau, die acht Babys unbemerkt zur Welt brachte, mindestens sechs davon nach der Geburt getötet und im eigenen Haus versteckt hat? Zwar gibt es Hinweise auf mögliche Motive und ein ungewöhnliches Doppelleben, aber Andrea G. bleibt rätselhaft. Eine Spurensuche.

 
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Eine Woche ist es her, da brach das Unfassbare in die scheinbar „heile Welt“, wie Bürgermeister Jens Korn (CSU) vor den Fernsehkameras seinen Ort nannte. Gegen 16 Uhr standen vor dem Haus in der Jakob-Degen-Straße in Wallenfels zwei Krankenwagen und die Polizei. Noch in der Nacht fuhren zwei Leichenwagen die sterblichen Überreste von sieben Babys in die Rechtsmedizin nach Erlangen, einen Tag später wurde eine achte Leiche entdeckt. Andrea G., die „normale“ Frau, fünffache Mutter, wird am Freitag verhaftet. Sie gesteht die Taten teilweise.

Seitdem sucht ein Dorf nach Antworten. Und Hinweisen.

Die Spurensuche beginnt mitten im Frankenwald. In einer Einöde, nicht weit weg von Wallenfels. Andrea G.s Exmann lebt dort, vor mehr als 13 Jahren hat sie sich von ihm getrennt. „Ich hab mit der Sache nichts zu tun“, sagt er. Mehr nicht. „Bitte verlassen Sie das Grundstück.“ Er sieht mitgenommen aus. Und müde.

Scheidung, neuer Mann, Affäre

Damals, als die junge Andrea G. ihn heiratete und im Ort mit ihm lebte, sah alles ganz „normal“ aus. Ihre erste Tochter kam. Jetzt, im Nachhinein fällt es manchem ein: Schon beim ersten Kind will keiner bemerkt haben, dass die leicht füllige Frau schwanger war.

Bald gibt es die ersten Probleme in der Ehe, sie verliebt sich in einen anderen Mann: Hans G. (55). Sie trennt sich von ihrem ersten Mann und zieht ein paar Häuser weiter zu Hans G. Ihn wird sie später heiraten und ihm drei Kinder gebären. Schon eines der Kinder aus der ersten Ehe soll von ihm gewesen sein, erzählt man sich im Dorf - der Grund für die Scheidung vom ersten Mann.

Der Radius, in dem Andrea G. lebte, war klein. Sie wuchs in Wallenfels auf, ging dort zu Schule, machte bei der Kleiderfirma dort eine Ausbildung zur Textilnäherin, heiratete dort, feierte dort. Tötete dort ihre Babys. Und im Frühling dieses Jahres lernte sie dort im Fly, einer Kneipe, einen Mann kennen: Manfred S. (55).

Sie hatte wohl Schulden

Geflirtet hat sie immer gern, die Andrea, erzählen die aus dem Dorf. Sie sei „lebenslustig“ gewesen, ausgestattet mit einer gewissen „verführerischen Art“. Viele Männer hätten eine Chance bei ihr gehabt. Heißt es jetzt. Es gab Gerüchte, immer wieder. Was ist, wenn manche der acht Kinder nicht von ihrem Ehemann sind? Wenn er keine Kinder mehr bekommen wollte – oder konnte, wie man sich erzählt? Das wäre wenigstens ein Motiv für ihre Taten. Denn sie sei finanziell abhängig von ihrem Mann gewesen, gearbeitet hat sie lange nicht. Nur ein paar Nachmittagsstunden im Schwimmbad bei schönem Wetter.

Im Dorf heißt es, dass mindestens sechs Männer, teilweise verheiratet, seit dem grausigen Fund unruhig schliefen. Die Ermittler können es „nicht ausschließen, dass auch andere DNA als die vom Ehemann gefunden wird“. Das werde, sagt einer von ihnen, „unheimlich viel Unruhe aufwirbeln“. Zwar werde im Moment im rechtsmedizinischen Institut in Erlangen untersucht, wer die Väter der Kinder sind, aber die Ergebnisse würden nicht öffentlich gemacht. Aus ermittlungstaktischen Gründen, sagt der leitende Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb.

Bei Manfred S., den sie im Fly, kennen gelernt hatte, da wussten es viele: ihr neues Verhältnis. S. wohnt nur knapp 20 Kilometer weit weg von der Einöde ihres Exmannes, knapp 40 von Wallenfels. Er war mal Bauarbeiter, dann ist er in den landwirtschaftlichen Betrieb seiner Frau eingestiegen. Die Geschäfte laufen nicht mehr so gut, im Sommer wurde eines seiner Tiere Opfer eines Tierquälers.

Da kannte er Andrea G. schon „Er fuhr oft nach Kronach“, sagen seine Nachbarn. „Sein Auto war oft da“, sagen die Wallenfelser. Eine Familienkutsche, sieben Sitze, vermüllt, sogar Schlafdecken liegen drin. Das Liebespaar traf sich auch am Parkplatz vor der Kirche, nicht weit weg von Andrea G.s Wohnhaus. Und nicht weit weg von der verschlossenen Abstellkammer, in der acht Babyleichen verwesten.

Als vor einer Woche dort die Krankenwagen standen, dachten manche, der Ehestreit sei wegen Andrea G.s Verhältnis eskaliert. Ihr Ehemann hatte sie vor die Tür gesetzt. „Ich hab sie rausgeschmissen.“ Denn noch etwas hatte er entdeckt: Sie hatte im Laufe der Jahre Schulden angehäuft, unbezahlte Rechnungen, die sie im Haus versteckt haben soll. Wenn ihr Mann „auf Schicht war“, habe sie die Rechnungen verschwinden lassen.

Ermittler bestätigen, dass die „finanziellen Verhältnisse angespannt“ gewesen seien, aber „überschaubar“. Im Dorf ist von vielen Bestellungen die Rede und von bis zu 20.000 Euro Schulden. Im Dorf reden sie viel. Aber Schulden wären wenigstens noch ein Motiv.

Und Geld hatte sie wirklich keines mehr. Sie zog fast zwei Monate mit ihrem neuen Freund von Pension zu Pension, zahlte aber nie. Er sagt, sie habe angedeutet, dass sie Geld habe. Trotzdem war er dabei, als sie zu Verwandten fuhr, die sie lange nicht gesehen hatte – und um Geld bettelte. Von den toten Kindern habe er nichts gewusst, sagt er. Manfred S. führte die Polizei zu seiner neuen Freundin, eine seiner „schwärzesten“ Momente im Leben. Er sagt nicht viel. Aber einem Fernsehsender hätte er gegen einen hohen Geldbetrag etwas gesagt. Doch die zahlten nicht. Jetzt schweigt er. Die Schulden bei den Pensionen hat er schon teilweise zurückgezahlt.

Ende eines "normalen" Lebens

Auch die Familie von Andrea G. schweigt, ihre Mutter, ihre Verwandten. Ihr Bruder soll beim Einkaufen in Tränen ausgebrochen sein, ihr Ehemann wird psychologisch betreut. Gegen ihn besteht ein „gewisser“ Tatverdacht, wie der Staatsanwalt sagt.

Die Wirtin, bei der Andrea G. verhaftet worden war, sagt, sie sei kurz vorher viel ruhiger als sonst gewesen. „Ich bin es, nach der sie suchen“, sagte sie ihrem Geliebten. Als sie ins Gefängnis gefahren wurde, trug sie noch eine schicke schwarze Lederjacke, ihre Fingernägel waren lila lackiert, die Haare geschnitten. Als ob sie aus einem anderen, normalen, Leben käme. Eines, das sie eigentlich nie hatte.

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