"Warum nicht in einer Aufführung sterben?"

Von Michael Weiser
Komödiantentum im Blut: Intendant und Schauspieler Jan Burdinski (links, mit Lutz Götzfried, Freund aus Marburger Studientagen). Foto: Fränkischer Theatersommer Foto: red

Der Fränkische Theatersommer wird 25 Jahre alt: Gespräch mit Jan Burdinski über den finalen Vorhang, Hebammen und Sex-Streiks.

 
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Vor einem Vierteljahrhundert fragte der Hollfelder Lehrer und Künstler Wolfgang Pietschmann einen Theatermann, ob der nicht „was machen“ könne. Es folgten eine Karl-Valentin-Collage rund um den „Ritter Unkenstein“ - und dann zwei Jahre des Umhertingelns mit einem stets für den Abend geborgten VW-Bus zum Transport des Bühnenbilds. Sehr, sehr schön sei das gewesen, sagt der Theatermann heute, zwei Jahre, in denen alles gepasst habe. Und so ging's weiter. Der Theatermann heißt Jan Burdinski. Und sein Wandertheater gibt es noch immer. Heuer feiert der Fränkische Theatersommer 25. Geburtstag. Und wir sprachen mit Jan Burdinski über den schönen Theaterstress, über Sex-Streiks und den finalen Vorhang.

 

Sie haben erzählt, wie schön die ersten Jahre in Hollfeld waren. Zu schön, um aufzuhören?

Burdinski: Es war auch eine private Komponente dabei. Ich war freiberuflich unterwegs, und meine erste Frau wollte, dass ich nicht so weit weg von ihr und dem Kind bin. Für meine Frau war das eben unmöglich, heute Feuchtwangen, morgen Weimar, dann Rudolstadt. Nach Bamberg wollte ich aber auch nicht mehr zurück. Da habe ich gesagt, dann gründe ich eben ein eigenes Theater. Ich setze alles auf eine Karte. Ich bin nicht nur geblieben, weil's so schön war, ich wollte auch bei meiner Familie bleiben. Die Mühe der Aufbaujahre, die habe ich verdrängt. Ich komme heute noch jedes Jahr auf 80.000 Kilometer, für Aufführungen, Besuche, Akquirieren und vieles andere.

 

Sie sagten „erste Frau“. Hat Ihre Ehe Ihre Theaterleidenschaft nicht überstanden?

Burdinski: Ja, ja, wir haben uns getrennt, auch wegen des Theaters.

 

Ein echter Theaterveteran also. Wie fühlt man sich da so, nach 25 Jahren Theatersommer?

Burdinski: Eigentlich ist das Dauerstress. Urlaube gibt es seit Jahren so gut wie gar nicht. Wenn ich mal zwei Wochen weg wäre... Du lieber Himmel, ich hätte gleich furchtbaren Druck. Das geht rund ums Jahr. Vielleicht werden Banker aber schneller alt. Theaterleute haben die Chance, sich lange zu halten, weil sie so viel Bewegung haben, auch körperlich, weil sie sich permanent Herausforderungen stellen, weil sie immer mit kreativen Menschen zusammen sind. Doch, man kann sich lange jung halten, in diesem Beruf, der so viel Arbeit, aber auch so viel Freude macht. Wenn man nicht durch #metoo gestoppt wird, wie Dieter Wedel – dann kann man in diesem Beruf sehr gut alt werden. Warum eigentlich soll man es nicht Moliére nachmachen und mitten in einer Aufführung sterben? Es muss aber nicht unbedingt „Der eingebildete Kranke“ sein.

 

Wir hatten so schönen leichten Ton in unserem Gespräch. Und jetzt wollen Sie auf einmal sterben...

Burdinski: Das schreckt einen Theatermann überhaupt nicht.

 

Warum? Woher kommt diese Gelassenheit?

Burdinski: Für jeden von uns ist das Leben eine gewaltige Herausforderung Wir spielen stellvertretend für alle Menschen. Jeder ist Schauspieler, jeder hat so viele Rollen, die er im Alltag ausfüllen muss. Es ist unsere Art der Lebensbewältigung, die auch eine hohe Verpflichtung in sich birgt, die Menschen zu unterhalten. Wenn's gelingt, ist es gut, wenn nicht, beißt man sich in den Hintern. Dann setzt es harte Selbstkritik. Ich habe ganz schön lange gebraucht, um festzustellen, dass Theater kein Luxus, keine Spielwiese ist, sondern ein ernstzunehmender Beruf mit großer Bedeutung. Ich war ursprünglich ja auch mit einem ganz anderen Berufsziel unterwegs gewesen.

 

Und zwar?

Burdinski: Ich war gerade 30, stand im Medizinstudium kurz vorm Abschluss. Ich hatte aber schon erste Theater-Engagements. Es lag also nahe, sich vorzustellen, wie man Medizin mit Theaterpädagogik verbinden kann, vielleicht auf dem Gebiet der Psychiatrie, der Rehabilitation. Davon hatte ich geträumt, aber dann war ich mehr und mehr vom Theaterspielen allein fasziniert. Und mein damaliger Intendant sagte, Sie müssen sich entscheiden. Und dann bekam ich wenig später die Chance, in München die Schauspielprüfung abzulegen. Als ich daraufhin ein Angebot beim E.T.A. Hoffmann-Theater bekam, habe ich nicht lange gezögert. Da war mir klar, dass ich nicht mehr zur Medizin zurückkehren würde.

 

Da haben Sie Ihren Lebenssinn gefunden. Inwiefern aber macht das den Gedanken an den finalen Schlussvorhang leichter?

Burdinski: Ob es so banal ist, dass man irgendwann alle existenziellen Situationen durchgespielt hat? Wir loten das Leben im Spiel aus. Und wenn man das mit viel viel Ernst macht, sich hineinlebt in die Rollen, wenn man als junger Mann alte Rollen verkörpern muss, dann fällt da eine Angst weg. Und zwar komplett. Wir dürfen damit spielen, dass wir hinter die Kulissen des Lebens gucken, man lotet Themen wie Schuld, Liebe und Konflikte aus, drückt alle möglichen Gefühle aus. Es geschieht oft, dass ich mir mitten im schlimmsten Stress sage, schön, dass ich diesen Beruf gelernt habe. Wie viele Menschen gehen mit ihren Träumen schwanger und können sie nicht umsetzen? In diesem Beruf, in diesem kleinen Theater wird von März bis Oktober gespielt, und im Winter wird vorbereitet und verwaltet. Vielleicht sind das nicht die tollsten Aufgaben im Winter, zu schreiben wäre viel schöner. Aber wenn man dann das Glück hat, wie wir jetzt gerade ein Stück für den Sommer zu vertonen – dann ist der Winter auch ganz schön.

 

Um was geht’s?

Burdinski: Um die „Lysistrata“ von Aristophanes, zusammen mit Hans Martin Gräbner, der die Musik schreibt. Ein schönes Stück Musiktheater.

 

Was fasziniert Sie an diesem Stück von der „Heeresauflöserin“?

Burdinski: Das beschäftigt mich schon länger, auch wegen meiner pazifistischen Ader. Ich habe ja auch den Wehrdienst verweigert. Aristophanes hat dieses Stück 411 vor Christus zur Aufführung gebracht, im 20. Jahr des Peloponnesischen Krieges. Ein brisantes Thema also, dem muss es wirklich um was gegangen sein. Es gibt da einiges drin, was uns heute lächerlich vorkommt, aber auch so viele tolle Auftritte, dass ich mir gesagt habe, ich mache eine eigene Fassung daraus. Man weiß halt relativ wenig davon, wie das Stück aufgeführt wurde. Haben die Chöre gesprochen, haben sie gesungen? Einige Passagen wird Hans Martin Gräbner vertonen, und dadurch wird der Text noch viel präsenter.

 

Die alten Griechen wieder... Bei denen sind die Götter letztlich auch nichts anderes als Theaterintendanten oder Kulissenerschütterer“, wie es bei Lukianos heißt. Wie lebt sich's als Allmächtiger?

Burdinski: Ich kenne die Götter in Weiß, ich kenne ihr Leiden an ihrer Überverantwortung, an ihrer straffen Hierarchie auch. Und ich habe selber Theatergötter kennengelernt. Für mich ist Theaterarbeit nach wie vor Hebammenarbeit. Wenn ich aus den Schauspielern mehr heraushole, dann habe ich gute Arbeit geleistet. Danach hat der Regisseur loszulassen, er hat Abschied zu nehmen, er hat dem Schauspieler zuzugestehen, dass er sein Ding macht. Den Aufpasser darf ich dann nicht mehr spielen.

 

Hebammenarbeit... Schon wieder was Griechisches. Wie bei Sokrates.

Burdinski: Ehrlich? Vielleicht kommt das von der Pädagogik. Da ist man ja automatisch Hebamme. Man muss aus den Leuten was hervorholen. Wenn du gut atmest, wird deine Stimme eine andere. Oder man sagt seinen Schauspielern, du hast drei Wände und eine vierte Wand zum Publikum hin. Diese Wand nutzt du, um noch tiefer in deine Rolle hineinzukommen. Man sagt ihnen, wie sie Scheu und Schüchternheit ablegen.

 

Wie geht’s Ihnen mit den modernen Formen des Theaters? Mit all der Performance, mit der ironischen Brechung?

Burdinski: Einer unserer Schauspieler hat ein Stück geschrieben, „Die Schöne und das Fossil“. Eine Vision der Schauspielerin der Zukunft ist das, konfrontiert mit einem Regisseur der alten Schule. Mich würde eine künstliche Schauspielerin, eine Androidin schon befremden. Andererseits: Freier Umgang mit Texten, Romandramatisierungen, Performance, Dekonstruktion – ist das alles so neu? Jeder bedient sich zu seiner Zeit der Dinge, die er vorfindet. Theater darf vieles sein, nur nicht langweilig. Man muss auf der anderen Seite auch nicht alles ausprobieren. Insofern bin ich konventionell. Was nicht so konventionell ist: Ich animiere meine Schauspieler zum Schreiben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Schauspieler sonst ihr Potenzial zu wenig abrufen. Im strengen Theaterbetrieb ist manchmal für eigene Ideen überhaupt kein Platz. Und so greift schnell Frustration Raum. Es ist gut, wenn man den Schauspielern diese Perspektive gibt, auf einem Markt, der enger und knapper wird, wenn man ihnen Mut machen kann. Du kannst dich, auch wenn du mal kein Engagement hast, durchschlagen, und hier bei uns kannst du einen Anfang machen.

 

Was hat sich für Sie verändert, in 25 Jahren des Wanderbühnendaseins?

Burdinski: Unser Spielgebiet hat sich vergrößert. Die Zahl der Aufführungen hat sich mittendrin mal bis zum Anschlag auf 240 erhöht, da haben wir dann aber schon gemerkt, dass wir über den Zenit kommen. Jetzt sind es nur noch 160. Die Vorstandsarbeit hat sich in der Zeit sehr verbessert, Herr Matthes nimmt seine Verantwortung sehr gut wahr. Was sich ebenfalls äußerst positiv ausgewirkt hat, ist der Thespiskarren, vielen Dank an die Oberfrankenstiftung und die Sparkassen. Das ist wirklich eine Erfahrung der besten Art, eine Erleichterung auf von körperlicher Arbeit, insgesamt ein tolles Hilfsmittel. Wir haben auch die Theaterpädagogik ausgebaut, wenngleich wir im 25. Jahr kein neues Projekt im Programm haben. Ein Ziel, das uns auf den Nägeln brennt, ist eine eigene Spielstätte zu bekommen.

 

Eine Wanderbühne will sesshaft werden...

Burdinski: Ja, schon - doch ohne die Wanderbühnentätigkeit zu vernachlässigen.

 

Deswegen auch der Flirt mit Forchheim.

Burdinski: Ja, das war der Grund. Wir haben unser Equipment an verschiedenen Orten, das raubt Zeit und Energie. Und unsere Vision ist eine eigene Theaterscheune, so dass wir nicht so viel Zeit- und Kraftverlust haben und künstlerisch noch zulegen können. Wir haben uns das fürs erste in Forchheim abgeschminkt, die haben eigene Probleme, aber die Würfel sind noch nicht gefallen.

 

Wäre so etwas in Hollfeld möglich?

Burdinski: Unsern Sitz werden wir ohnehin weiter in Hollfeld haben. Aber wir bräuchten die Möglichkeit, eigene Räume zu nutzen. Vielleicht auch in einem anderen Landkreis. Zur Zeit fahren wir sehr viel, um unsere Abteilungen unterbringen zu können, Kostüm, Requisite, Technik. Daher träumen wir von einer eigenen Theaterscheune, mit Lager, Werkstatt und Probebühne.

 

Sie suchen also weiterhin...

Burdinski: Es sieht so aus, als ob wir bis August fündig werden und diesen Ort dann der Öffentlichkeit vorstellen könnten. Hier in Hollfeld werden wir dieses Jahr auf jeden Fall den „Brandner Kaspar“ auf Fränkisch spielen, ausschließlich mit Laien. Es macht Spaß, ich habe wieder meine Hebammenfunktion, ich fühle mich wohl. Die Einstellung der Darsteller ist ohnehin professionell, mit so viel Eifer und Zuverlässigkeit, wie die weiterhin an den Tag legen.

 

Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Wanderbühne?

Burdinski: Wenn ich nicht so hartnäckig an die Kraft des Theaters glauben würde, würde mein Urteil wahrscheinlich trist ausfallen. Es gibt Wellenbewegungen, das Theater wurde schon mehrmals totgesagt und kam doch immer wieder. Manchmal muss man sich fragen, ob man nicht zu oft Theater für den Elfenbeinturm macht, ob man das Publikum nicht abstößt, so dass es sich in Nischen wie Musicals flüchtet. Ich glaube aber, das sind episodische Erscheinungen. Die Event- und Partykultur wird sich irgendwann totlaufen. Theater dagegen wird sich immer wieder neu erfinden und ist nicht totzukriegen.

 

Sie sind 67. Denken Sie manchmal an den Ruhestand?

Burdinski: Oh ne! (Lacht) Auch die # metoo-Debatte wird mich nicht absägen können.

 

Da geht’s ums kriminelle Ausnutzen von Machtstrukturen. Fühlen Sie ihre Bühne über jeden Verdacht erhaben?

Burdinski: Ja, ich glaube schon. Im Ernst: Wir müssen schon aufpassen, dass wir nicht in ein puritanisches Zeitalter zurückfallen. Das ist schon komisch. Bei „Lysistrata“ geht es um Eros und den Kampf gegen Gewalt.

 

In Form eines Sex-Streiks...

Burdinski: Ja. Es geht auch darum, wie wichtig Sexualität für den Menschen ist. Da merkt man schnell, dass Ideologen keine Chancen haben. Lysistrata ist, so zeigen wir sie, sehr erotische, sehr entschlossene Frau. Eine Berta von Suttner, die mit dem nötigen Ernst sagen kann, was nun Sache ist. Und dass die Frauen sich einschalten müssen. So gesehen ist das eine grausam demaskierende Auseinandersetzung mit der Arroganz der Männer und ihrer fürchterlich schwachen Argumente.

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