Warum gutes Essen Zeit braucht

Ursula Hudson, Vorsitzende Slow Food Deutschland und Vorstand Slow Food International. Foto: red Foto: red

Ursula Hudson, promovierte Wissenschaftlerin und Autorin, ist Mitglied in der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Sie lehrte Interkulturelle Germanistik an der Universität Bayreuth sowie in Oxford und Cambridge. Seit vier Jahren ist sie Vorsitzende des Vereins Slow Food Deutschland, für den sie sich auch im internationalen Vorstand engagiert. Ursula Hudson spricht bei den ersten Kulmbacher Lebensmitteltagen, die sich mit der Zukunft der Ernährungsbranche und Landwirtschaft befassen.

 
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Was hat Slow Food mit Langsamkeit zu tun?

Ursula Hudson: Slow Food ist ein programmatischer Begriff, er ist zu verstehen als Gegensatz zu Fast Food. Denn das steht symbolisch für das industrielle Lebensmittelsystem und seine negativen Folgen. Dagegen setzen wir die Langsamkeit, was nicht heißt, dass wir langsam essen und uns langsam bewegen. Uns geht’s um die langfristige Tauglichkeit von Lebensmitteln. Denn ein gutes Lebensmittel braucht Zeit, es entsteht nicht schnell. Weder ein gutes Brot noch ein guter Käse entstehen in industrieller Geschwindigkeit. Gut, sind sie erst, wenn sie die Zeit brauchen dürfen, die sie verlangen. Brot wird bekömmlicher und hat eine andere Geschmackstiefe, Käse und Wurst müssen reifen.

 

Wie verbreitet ist der Ansatz von Slow Food?

Hudson: Uns gibt‘s in 150 Ländern mit unterschiedlicher Ausprägung. Überall gibt es engagierte Menschen, die sagen, es geht anders und wir machen‘s anders. Anders heiß auch: Freude und Spaß am Essen haben. Denn es gibt sie, die wunderbaren Lebensmittelerzeuger, die ihr Handwerk verstehen, die verantwortlich mit den Tieren, dem Boden und den Menschen umgehen und die vorausdenken, und nicht nur in kurzen Gewinnspannen.

 

Bei den Lebensmitteltagen in Kulmbach soll es um Ernährungstrends gehen. Zählt Slow Food dazu?

Hudson: Nein, es ist nicht als Trend einzuordnen. Vielmehr halte ich Slow Food für den einzig vernünftigen Zugang zum Thema Ernährung, den es überhaupt gibt. Trends kommen in Mode und fallen aus der Mode und werden von Menschen gemacht, die mit Trends etwas verdienen wollen. Ein Trend ist zum Beispiel Laborfleisch oder Free From, Essen ohne alles, ohne Fett, ohne Kohlenhydrate, ohne Zucker, ich weiß nicht was. Darauf reagiert die Lebensmittelindustrie und greift den Trend auf, sie arbeitet aber nicht im Sinne einer nachhaltigen Ernährung.

 

Erhöht sich damit nicht die Vielfalt des Angebots? Oder ist das nur eine Vermarktungsstrategie?

Hudson: Wir haben eine Individualisierung unserer Lebensstile und eben auch der Ernährungsstile. Jedoch bewegen wir uns immer weiter weg von den Ursprüngen der Ernährung, weil wir nicht mehr wissen, wie etwas gemacht wird und wo es herkommt. Dieses Wissen fehlt uns mittlerweile. Menschen, die sich beim Essen suchend bewegen, kann man leicht eine Orientierung vorgeben: Iss keine Kohlenhydrate mehr! Vegan ist supergesund! Für vegane Ernährung spricht viel, aber nicht aus der Lebensmittelindustrie heraus. Genau dieser „Frei von“ und „Vegan“-Trend ist der, mit dem sich im Moment am meisten Geld verdienen lässt. Weil da permanent neue Lebensmittel erfunden werden.

 

„Ohne alles“ – was bleibt denn dann noch übrig?

Hudson: Das, was die Lebensmittelindustrie noch übrig lässt. In der Regel ist das ein hochverarbeitetes Produkt, mit vielen Geschmacksverstärkern und Zusatz- und Hilfsstoffen, die kein Mensch braucht. Niemand braucht Lebensmittel, die man ihrer natürlichen Zutaten beraubt hat. Gegen diese erfundenen Lebensmittel kann eine arme Bio-Karotte im Regal nicht anstinken. Da lässt sich nicht sagen: Ich bin heute besser, als ich vor zwei Jahren war. Den „Beipackzettel“ von solchen Produkten zu lesen, sollte eine Pflichtübung für jeden von uns sein.

 

Wer steckt eigentlich hinter diesen Trends?

Hudson: Das sind Meinungsforscher, die die Zukunft der Ernährung voraussagen. Im Grunde ist es ja gut, zu fragen, wie geht man in Zukunft mit dem Fleischkonsum um. In den nächsten zehn Jahren soll im Labor gezüchtetes Fleisch, Laborfleisch oder Retortenfleisch, verkaufsfähig sein. Es würde kein Tierleid mehr verursachen. Man braucht dazu keine Tiere mehr, sondern nur noch Zellen. Die Denke dahinter ist, wir können genauso weitermachen wie bisher. Das bedeutet, wir brauchen so viel Fleisch, wie wir jetzt konsumieren, auf immer und ewig. Doch es wird nie daran gedacht, dass mit weniger viel mehr erreicht werden könnte.

 

Haben wir nicht schon fast eine zu große Auswahl, was unser Ernährungsangebot anbelangt?

Hudson: Wir haben die Möglichkeiten und wir haben die Ansagen der permanenten Selbstoptimierung verinnerlicht. Dies ist gesund, und das ist gesund – und irgendwann stehen wir da und fragen uns, was esse ich jetzt? Dabei ist Essen die natürlichste Angelegenheit des Menschen. Wir Slow Foodler sagen: vielfältig, in der Saison, in der Jahreszeit, regional und frisch gekocht – dann kann überhaupt nichts schiefgehen.

 

Weil viele hauptsächlich die Preise der Lebensmittel im Blick haben?

Hudson: Kaufen Sie mal ein teures Öl für den Salat und schauen, wie Ihre Bekannten reagieren. Vielleicht würden Sie bei billigem Motoröl genauso die Stirn runzeln. Fürs Auto das Beste, für uns das Schlechteste? Wo sind wir da hingekommen? Dabei geht’s um nicht weniger als den Gesunderhalt des menschlichen Leibes und Geistes.

 

Gesunde Ernährung lässt sich aber nicht verordnen.

Hudson: Überzeugen können wir von Slow Food letztlich nur über den Geschmack. Die Erfahrung des unverfälschten, guten Geschmackes ist etwas ganz Wichtiges, und sie lässt einen nicht mehr los, man kann nicht mehr dahinter zurück.

 

Haben wir ein Luxusproblem, weil wir uns so viel Gedanken über unser Essen machen und machen können?

Hudson: Slow Food ist auch in den Ländern des globalen Südens, in Lateinamerika, in Afrika und Asien bekannt. Es gibt ein verbindendes Thema, nämlich, dass die traditionelle Art der Lebensmittelherstellung bedroht ist. Probleme mit Saatgut, Land- und Fischereirechten, wo auch immer man hinschaut. Dagegen wollen viele Menschen etwas tun und entwickeln Projekte, die sich um traditionelle Lebensmittel drehen, wie Safran, Kumin, salziger Couscous. Oft haben diese Projekte zum Erhalt dieser Lebensmittel ökonomischen Erfolg. Was das beste Mittel ist gegen Armut, Landflucht und Migration.

 

Ist die Welternährung ohne industrielle Lebensmittelproduktion zu gewährleisten?

Hudson: Das ist ein grandioser Mythos, den die Lebensmittelindustrie da erfunden hat. Bis heute wird fast drei Viertel der Weltbevölkerung von Kleinbauern ernährt. Die dominierende Industrie ernährt nur ein Drittel des Globus, braucht aber als drei Viertel des Wassers, verschwendet Ressourcen ohne Ende. Wir produzieren in Industriesystemen Kalorien für mehr als zwölf Milliarden Menschen. Der Rest wird weggeworfen. Wir müssen traditionelles Wissen mit moderner Technik verbinden und dann können wir getrost die zehn Milliarden Menschen erwarten.

 

Die Fragen stellte Ute Eschenbacher

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