Waischenfeld und der Glaubensstreit

Von Michael Weiser

Der Zwist zwischen Protestanten und Katholiken stürzte Europa vor fünfhundert Jahren in mörderische Konflikte.  Und Martin Luther hatte  mit seinem Thesenanschlag zu Wittenberg  den Konflitk ausgelöst. So kennt man das. Doch stimmt das auch? Die Geschichte zweier Männer aus Waischenfeld zeigt, dass die Fronten anfangs alles andere als klar waren und die Kirchenspaltung nicht unausweichlich.

 
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Der Mann hatte Nerven, das muss man schon sagen. Ulrich Burchardi saß als Hofkaplan sozusagen im Vorzimmer des Fürstbischofs. Und unter den Augen seines irdischen Herrn verfasste der Waischenfelder verdächtige Schriften.

Wobei „verdächtig“ leicht untertrieben ist. In einem Pamphlet betonte der Bamberger Hofkaplan die Grundsätze Martin Luthers. Jenes Martin Luther, der fünf Jahre zuvor die deutsche Christenheit in einen Aufruhr versetzt hatte, der sich so schnell nicht mehr legen sollte. Nicht Messen noch Gebete ebneten dem Menschen den Weg zum Heil, sondern allein die Heilige Schrift und der Glaube. Das schrieb Burchardi ganz im Sinne Luthers. Und eigentlich sei auch die Kenntnis von Jesu Leidensgeschichte nicht weiter wichtig, wenn es am Glauben fehle oder an der Inspiration durch den heiligen Geist. Helmut Wunder ist tief in die Waischenfelder Geschichte eingetaucht, ist auf die spärlichen Spuren Burchardis gestoßen und ist seitdem von ihm fasziniert. "Das war einer aus unserer Stadt, der gesagt hat, ich fühle mich berufen, lutherisch zu predigen, ich trau mich das", sagt Wunder. "Und das direkt beim Erzbischof."

En Ketzer beim Bischof

Burchardi trat auch vor großem Publikum auf, manchmal, so wird überliefert, sollen zu den Predigten mehr Menschen gekommen sein, als die Kirchen fassen konnten. Dann sprach er unter freiem Himmel. Er predigte lutherisch, und das nach dem Verdikt des Papstes, der 1520 weite Teile von Luthers Thesen als ketzerisch verurteilt hatte. Gefährliche Reden, die Burchardi da schwang. Lebensgefährliche Reden. Aber man ließ ihn unbehelligt.

In Bamberg herrschte damals Georg III. Schenk von Limpurg. Schlief der Bischof? Bekam er nicht mit, dass da jemand den Weg zur individuellen Heilsgewissheit wies und die Grundfesten der katholischen Kirche angriff? Direkt vor seiner Nase?

Freie Geister in Bamberg

Mitnichten. Der Bischof hatte einen Kreis erlesener Geister um sich versammelt,  Humanisten, allen voran Johann von Schwarzenberg. Er war auf der Höhe der Zeit, wusste, was den Menschen am Klerus missfiel. Die Ämterhäufung, der unselige Ablasshandel – eine Art von Börse für Sündenvergebung -, kurz: eine korrupte Kirche, die sich von den Armen ab- und dem Luxus zugewandt hatte und nicht mehr auf dem Boden der Schrift wandelte.

Sympathie für Luther

Georg dachte nach. Und ließ es zu, dass sein Hofprediger sogar unter seinem Wappen publizierte. Georg war eben nicht bereit, alle Brücken abzubrechen. Von Reform sprach man ja schon länger, auch in der Nomenklatur der Kirche. Von Reformation und Spaltung war vorerst nicht die Rede.

Der Bamberger Bischof achtete auf seinen Spielraum. Luthers erklärter Gegner Johannes Eck, von Luther an sich korrekt wie derbe gern als Dr. Eck (lies: Dreck) bezeichnet, wurde in Bamberg vorstellig, um den juristischen Kampf gegen den überführten Ketzer Luther voranzutreiben. Er holte sich eine Abfuhr. Georg beschied Eck, seine Räte seien lutherisch, er sei gebunden. Überdies äußerte der Bischof ein gewisses Verständnis für den Rebellen. Die Publikation der Bannandrohungsbulle unterblieb.

Ein staatstragender Querdenker

Und Burchardi? Der war in den Augen des Bischofs ohnehin nicht weiter staatsgefährdend. Im Vorwort seiner Schrift hatte der Waischenfelder erklärt, woher das Unglück seiner Zeit komme: dass jeder die heilige Schrift auslege, wie es ihm gefalle, auch wenn er zuvor nicht mit dem kleinen Finger an sie gerührt habe. Eine Freiheit, wie man sie nie zuvor gekannt habe. Aber eine Zeit der Sünde. Seinen Bischof lobte er. Weil der die rechte Lehre fördere. Der Bischof als vorerst letzte Instanz – damit konnte Georg Schenk von Limpurg vermutlich gut leben.

Kein Einzelfall. Nicht jeder Bischof habe Luther in Bausch und Bogen verdammt, sagt Bernhard Schwessinger, der über Burchardi demnächst einen Vortrag halten wird (5. April in Gößweinstein). Im Gegenteil:  "Es gab ein paar Jahre bis zum Bauernkrieg, da konnte man noch Meinungen austauschen."

In den Bauern gärt die Wut

1522 starb Bischof Georg. Unter dessen Nachfolger Weigand von Redwitz drehte sich das Blatt. Die Zeiten wurden grimmig. Unter den Bauern, die sich auf Luther beriefen, rumorte es. Nicht mehr lang, dann würde ihre Wut explodieren. Besonders in Franken.

Der neue Bischof witterte den Umschwung. Burchardi wurde eingekerkert. Und er schwor seiner Überzeugung ab. Nach seiner Entlassung aus der Haft verliert sich die Spur. Letztmals hören wir gegen 1530 von ihm, in Leipzig. In der Stadt, in der er schon studiert hatte. Helmut Wunder ist sich sicher, dass er um 1480 geboren wurde und die Familie in Waischenfeld über  zumindest bescheidenen Wohlstand verfügte. Wo genau und wann Burchardi starb - Schweigen: "Da findet man einfach nichts."

Ein Kirchenfürst, der den Zölibat aufheben will

Da waren die Fronten schon klarer. 1529 hatten die lutherisch gesinnten Reichsstände unter Protest den Reichstag verlassen – seitdem nennt man die Evangelischen auch Protestanten.In jenen bewegten Zeiten fand ein anderer Waischenfelder den Weg nach oben. Friedrich Nausea.

1523 wurde er Sekretär von Laurentius Campegius. Der war Bischof von Bologna, gleichzeitig aber auch päpstlicher Legat zur Beilegung des Reformationsstreites in Deutschland. Nausea machte weiter Karriere und wurde 1541 Bischof von Wien. Es war einer der entschiedenen Fürsprecher für eine Reform der römischen Kirche. Mit Luthers wichtigstem Wegbegleiter Philipp Melanchthon stand er auf vertrautem Fuß, in manchen Szenen wirken die beiden wie Freunde. Sogar für eine Aufhebung des Zölibats trat Nausea ein – damit wäre der Waischenfelder noch unter den Kirchenfürsten von heute ein Außenseiter.Ab 1551 nahm er am Konzil in Trient teil, wo die katholische Kirche Antworten auf die Herausforderung durch Luther suchte und sich neu erfand. Aus einer Position der Stärke heraus: 1547, im Jahr nach Luthers Tod, hatten die Katholiken im Schmalkaldischen Krieg einen trügerischen Sieg über die Protestanten erfochten.

1552 starb Friedrich Nausea. Vom ihm persönlich, von seinem Charakter, wissen wir nicht gar so viel. Er war heimatverbunden, stiftete viel Geld für die Waischenfelder Kirche, wohl war er auch ausgleichend, moderat und intelligent. Wir würden ihn uns gern  als einen Menschen mit Hang zur Ironie vorstellen. Denn eigentlich hieß er Friedrich Grau. Den Namen, unter dem er bekannt wurde, hatte er nach Humanistenmanier aus dem Lateinischen abgeleitet, vom Verb nauseo. Heißt: Mir graut. 

INFO: "Kerkerhaft wegen Luthrisch Ketzerey" heißt der Vortrag, den Bernhard Schweßinger am Mittwoch, 5. April, im Pfarrzentrum Gößweinstein hält (19.30 Uhr).