Wahnfried: Klavierabend mit Spannung

Von Michael Weiser
Ji-Yeoun You spielte in Wahnfried Werke von Schubert, Liszt, Bartok und Beethoven. Foto: Red Foto: red

Wenn sich Klang und Ort zu einem Erlebnis verbinden - dann kann es sein, dass man so eben in Haus Wahnfried ein Konzert erlebt hat. Vielleicht sogar ein richtig gelungenes. So wie der Klavierabend mit Ji-Youn You.

 
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In der blauen Stunde, am Abend, tun die fünf hohen Fenster der Rotunde ihre wunderbare Wirkung. Die Bäume stehen dann nicht einfach dicht an dicht draußen rum und lugen hinein in die Künstlervilla; nein, es ist vielmehr, als habe sich das Mauerwerk aufgelöst, als stünde der Flügel nunmehr unterm Blätterdach, im geballten Grün des Hofgartens. Ein stimmungsvoller Saal, dieser Raum in Haus Wahnfried, das muss man schon sagen, Geschmack hatte er, dieser Wagner: Sich einfach einen Salon bauen lassen, der wie mitten in die Natur gepflanzt wirkt, und das auch noch mit ziemlich guter Akustik. Man kann dort Musik hören und dabei träumen; die Sinne ganz auf den Klang richten und doch bei sich sein.

An diesem Abend ist Ji-Yeoun You zu Gast, eine vielfach ausgezeichnete Pianistin aus Südkorea. Auch sie ist ganz bei sich, kann man sagen, viellicht sogar: am Anfang ein bisschen zu sehr bei sich. Die Moments musicaux von Schubert spielt sie sehr, sehr ruhig, sehr gleichförmig, fast tastend. Bei den Tänzchen im dritten Teil, im Allegro moderato zum Beispiel: Da kann man sich normalerweise ein kleines fürwitziges Zirkuspferd vorstellen, dass in die Manege tänzelt. Bei ihr ist’s ein eher vorsichtiges, wenn nicht gar verängstigtes Pony, das sich zögerlich vortastet.

An der Grenze der Belastbarkeit

Das bleibt aber nicht so, der Abend entwickelt noch Spannung. Und wie. Belá Bartoks Klaviersonate bläst den Staub weg, der sich seit der Wiedereröffnung Wahnfrieds vor einem Jahr auf den Bücherregalen abgelagert haben könnte. Zum Beispiel in den Sätzen eins und drei, die den entspannteren Mittelsatz einrahmen: noch tonal, aber schon fast schmerzhaft dissonant, traditionell in der dreisätzigen Form, aber – eben in der Form, nicht im Inhalt. Da legen sich über die stampfenden, perkussiv geschlagenen Akkorde der linken Hand folkloristische Linien der rechten, maschinenhafte Moderne trifft auf Fragmente der musikalischen Tradition. Bartoks einzige Sonate ist ein Bravourstück, das Ji-Youn bravourös meistert, an der Grenze der Belastbarkeit des alten Flügels. So weit bringt sie’s an diesem Abend sonst nicht mehr, auch nicht beim Mephistowalzer des großen Vorbenützers: Franz Liszts Mephistowalzer Nr. 1. Der klingt überwiegend gar nicht mal so diabolisch oder gar faustisch zerrissen, vielmehr wie ein virtuos in düstere Farben gesetzter Alptraum, in den dem Schluss Nachtigallentöne hineinschweben – und alsbald verlöschen. Das Finale hätte sogar noch mehr Temperament vertragen – dann aber hätte man um den Flügel fürchten müssen.

Händchen für dramatische Effekte

Beethoven ist oft zu hören in diesen Tagen, und nicht am seltensten dieses seiner Werke: die Waldsteinsonate, ein Ohrwurm, den die Koreanerin kompakt, fast schon beiläufig selbstverständlich in den Wahnfried-Saal setzt, mit Händchen für die dramatischen Effekte dieser symphonischen Arbeit für Klavier: Von den ersten vibrierenden C-Dur-Akkorden an klingt der Untergrund wie Erde, wie Gestein, durch das sich helle Adern ziehen – manchmal klingt’s, als wenn ein Blitz aus dem Erdreich fahre. Ein echter Höhepunkt: der dritte Satz, das Rondo – Innigkeit in Tönen, die unterm Blätterdach verschweben. Gut, wenn Ort und Musik so verschmelzen, denkt man sich beim Hinausgehen. Mittlerweile hat sich Dunkelheit auf die Bäume gesenkt. Gastlich leuchten die Fenster Wahnfrieds. Hat er gut gemacht, der Wagner. Gut, dass dort immer noch Musik zu hören ist.

Erda besucht Haus Wahnfried

Zwei Konzerte stehen am Sonntag in Haus Wahnfried auf dem Programm. Ein Zusatzkonzert geben um 11 Uhr die Harfenistin des Bayreuther Festspielorchesters Frederike Wagner und die Geigerin Eri Takeya (wir berichteten). Am Abend, 19.30 Uhr, ist Nadine Weissmabn zusammen mit Karola Theill am Klavier in einem Liederabend zu erleben. Nadine Weissmann wurde in Berlin geboren, absolvierte ihr Studium in London und an der Indiana University in Bloomington/USA bei Virginia Zeani. Bei den Bayreuther Festspielen ist sie aktuell in den Rollen der Mary („Fliegender Holländer“) sowie der Schwertleite und der Erda im „Ring“ zu erleben. Karola Theill begleitete bereits viele große Sänger, darunter Dietrich Fischer-Diskau.

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