500 Besucher sehen Parsifal im Kino Wagnerwonnen im Kinosessel

Gert-Dieter Meier

Das Experiment ist geglückt: Rund 500 Besucher erlebten die „Parsifal“-Direktübertragung im Cineplex.

 
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Kurz nach 23 Uhr. Vor dem Roxy sitzen noch immer Leute im Freien. Aus den Lautsprechern plärrt ein Lied der Pointer Sisters: „I’m so excited and I just can’t hide it I’m about to lose control and I think I like it“. Mögen die Schwestern Anita, Bonnie, June und Ruth Pointer in ihrem Lied aus dem Jahre 1982 auch ziemlich irdische Gefühle besungen haben, die Zeilen taugen auch erstaunlich gut als Fazit für einen ungewöhnlichen Kinoabend: „Ich bin so aufgeregt und kann es nicht verbergen. Ich bin dabei, die Kontrolle zu verlieren – aber ich mag es.“

Ein ungewöhnlicher Kinosamstag. Gut gekleidetes Publikum entert das wuchtige Gebäude an der Hindenburgstraße. Nein, sie wollen nicht „Ted“ und nicht „Ice Age“, nicht „Batman“ oder „Bavaria“ sehen, ihnen steht der Sinn nach Wagner. An diesem Abend laufen gleich zwei Filme, die mit Wagner und Bayreuth zu tun haben – Steven Frys Erlebnisgeschichte „Wagner & Me“ und „Parsifal“ in der Inszenierung von Stefan Herheim. Letzteres kein Kinofilm, sondern eine Weltpremiere anderer Art – die erste Liveübertragung einer Aufführung der Bayreuther Festspiele in mehr als hundert Kinos im In- und Ausland. In Bayreuth wurden dafür die Kinosäle 6 und 7 reserviert. 500 Gäste kamen – viele aus Bayreuth, manche auch aus Landshut und Ingolstadt, ein Herr sogar mit Fliege und Smoking. Viele ältere Zuschauer, ja, aber doch auch eine stattliche Zahl junger Wagnerfans. Genau wie beim Public Viewing, das in den vergangenen Jahren jeweils Tausende von Fans anlockte und das nun ersetzt wird durch das Projekt „Wagner live im Kino“.

Starke Bilder, viele Details

Wagner im Kino – das hat durchaus einen eigenen Charme. Zunächst und vor allem: Man sitzt furchtbar bequem in dick gepolsterten Sesseln, hat üppige Beinfreiheit, beste Sicht auf eine große Leinwand. Und auch das eine neue (Bayreuth-)Erfahrung: Die Bilder zu Richard Wagners Weltabschiedswerk sind, wie bei der zeitgleichen Fernsehübertragung auf Arte, untertitelt. Mag das auch hin und wieder ablenken, es trägt doch enorm zur Verständlichkeit bei – vor allem für Wagner-Novizen ein entscheidender Vorteil. Der größte Unterschied zur Aufführung am Grünen Hügel: Man wähnt sich dank einer ausgeklügelten Bildregie mittendrin im Geschehen, nimmt Details wahr, die man in Reihe 25 im Festspielhaus niemals zuvor gesehen hat. Das beschert dem Kinozuschauer nicht nur bestechende Nahaufnahmen der Sänger und Mitspieler, sondern erzeugt auch eine eigene Spannung.

Einerseits. Andererseits ist man als Zuschauer so natürlich Sklave der Bildregie, die einen durch Zoomfahrten und Bildauswahl zwingt, das im Detail zu sehen, was der Videoregisseur sehen will. Genau aus diesem Grund hatte sich Wolfgang Wagner zu Lebzeiten mit manchem Video- und TV-Experten angelegt. Er wollte bei seinen Aufzeichnungen immer nur die Totale, sozusagen das Urbild, damit sich jeder Zuschauer frei entscheiden konnte, welchen Details auf der Bühne er folgt. Wobei das, natürlich, mit der Zeit Langeweile produziert.

Und die gibt es beim aktuellen „Parsifal“ nun wirklich nicht. Die Kinobilder passen vorzüglich zu Stefan Herheims kongenialer Erzählweise, sind von großer Intensität und Ausdruckskraft und schaffen so einen neuen, eigenen Spannungsbogen, mehr noch: Sie erzählen das Bühnengeschehen, das man vom „Festspielhaus-Parsifal“ noch im Kopf hat, in gewisser Weise neu. Vor allem aber stellen diese Bilder die Sänger nicht bloß, sondern brachten ihre bisweilen grandiosen Leistungen vorzüglich zur Geltung.

Während also bildtechnisch bei dieser Premiere vieles schon sehr gut läuft – auch wenn man sich mitunter ein paar Zooms und Staccato-Schnitte weniger wünschen würde, damit der große Bogen dieser Inszenierung besser zum Ausdruck kommt – muss man beim Ton doch einige Abstriche machen. Gegenüber der Akustik im Festspielhaus sowieso, aber auch sonst läuft nicht alles rund. Es gibt – bedingt wohl durch die unterschiedliche Qualität des Satellitensignals – vor allem im ersten Akt stärkere Schwankungen bei der Tonqualität, die aber im dritten Akt weitgehend beseitigt waren. Zweimal im Verlauf des Abends brach der Ton einen Moment lang ganz weg. Schade: Mal kommt das Orchester ziemlich verschwommen, mal der Gesang aus dem Off reichlich blechern rüber.

Pausenplaudereien

Großes Vergnügen bereitet den Bayreuther Wagner-Kinogängern das Pausenpogramm. Festspielleiterin Katharina Wagner plaudert in der Pause live und locker mit Dirigent Philippe Jordan, Klaus Florian Vogt (Lohengrin), früher selbst Orchestermusiker, stößt mit zwei Festspielhornisten ins Horn, der Journalist Axel Brüggemann steigt zu Herzeleide ins Bett – auf der Bühne, allerdings bei geschlossenem Vorhang – und Detlef Roth verrät den Zuschauern, wie er seine nach vorne klappbare Perücke nennt: „Amfortasspoiler“. Dazu gibt’s kurze Inhaltsangaben zu den jeweiligen Akten. Am beeindruckendsten aber sind für die Mehrzahl der Besucher wohl die Einblicke hinter die Bühne. Viele werden zuvor noch nicht erlebt haben, wie aufwendig es ist, die „Parsifal“-Bühne aufzubauen. Viele werden auch nicht gewusst haben, dass nach den Worten des Technischen Direktors der Festspiele, Karl-Heinz Matitschka, bis zu 80 Techniker im Einsatz sind für die Auf-, Um- und Abbauten. Und viele werden sich auch gefreut haben, von Christian Thielemann („Das Festspielhaus will geliebt werden“) das Bayreuther Klangwunder erklärt zu bekommen.

Und was tun die Kinogänger in den zwei jeweils einstündigen Pausen? Einige diskutieren leidenschaftlich auf den Gehsteigen, andere genießen das vom Cineplex angebotene „Parsifal-Menü“ (Italienische Antipasti, Hähnchenbrüstchen mit Pfifferlingen, Tiramisu). Wieder andere greifen wenigsten in den Pausen zu Popcorn oder Nachos, nachdem diese Leckereien – Raschelalarm – während des Opernkinos nicht im Saal goutiert werden durften.

Gespräche mit den Sängern

Die Bayreuther bekommen nach über sechs Stunden Wagnergenuss im Kino, für den sie verhaltenen Beifall spenden, noch ein kleines Zuckerl obendrauf: Sowohl die beiden Festspielleiterinnen als auch die Solisten des „Parsifal“ sowie Klaus Florian Vogt kommen noch ins Cineplex. Dort müssen sie zahlreiche Foto- und Autogrammwünsche erfüllen, bevor auch sie sich das „Parsifal-Menü“ einverleiben und noch ein wenig feiern dürfen.

Die Resonanz? „Sehr positiv“, sagt Cineplex-Theaterleiterin Ingrid Hartmann, „die Menschen waren glücklich und zufrieden“. Und hätten ihr gegenüber den Wunsch geäußert, dass dieses Experiment wiederholt werden sollte. Ihr Wunsch könnte in Erfüllung gehen. Im kommenden Jahr soll, so ist zu hören, der „Holländer“ von der Scheune am Hügel in die Kinos übertragen werden. Und zwar am 25. Juli – dem Premierentag.