Wagners rebellische Enkelin

Von Michael Weiser
Familie Wagner, von links: Friedelind Wagner, Winifred Wagner, Foto:Richard Lammel,Archiv Wolfgang Lammel Foto: red

Sie war Wagners rebellische Enkelin, das schwarze Schaf einer Familie mit brauner Weltsicht: Friedelind Wagner, die mit dem Clan brach, Nazi-Deutschland verließ und sich nach ihrer Rückkehr Hoffnungen machte, die Festspiele zu leiten. Am Sonntag, 8. Mai, jährt sich ihr Todestag zum 25. Mal. Haus Wahnfried widmet ihr an diesem Tag eine Performance. Und der Kurier sprach mit der Musikwissenschaftlerin und Autorin Eva Rieger über eine starke Frau mit nicht ganz so starker Disziplin.

 
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Wie würden die Festspiele heute aussehen, hätte Friedelind die Nachfolge angetreten?

Eva Rieger: Wahrscheinlich wesentlich innovativer und lebendiger. Sie hatte einen Blick für interessante und gute Künstler. Sie war ja auch eng mit Barenboim befreundet, lange bevor er bekannt wurde. Sie sah schon im Jugendlichen, was er drauf hat. Und sie hat geniale Künstler wie Toscanini und Felsenstein verehrt, war mit beiden befreundet. Aber sie war 1945 noch nicht zu dieser Wendung in der Lage, die Wieland dann vornahm. Es gibt einen Brief von ihr, in dem sie sich kurz nach Kriegsende sehr konservativ äußert. Man müsse sich strikt an Wagners Vorgaben orientieren, schreibt sie da. Es ist schwer zu sagen, welchen Einflüssen sie sich später geöffnet hätte, aber sie war doch stets von neuen Ideen begeistert.

„Sie sagt manchmal etwas dumme und freche Sachen, aber irgend etwas ist natürlich ganz knorke und bestrickend an ihr.“ Das sagte Klaus Mann. Wie würden Sie das Wesen der Friedelind Wagner beschreiben?

Rieger: Sie hatte den Unternehmungsgeist von ihrem Großvater Richard Wagner, sie zeichnete sich durch Offenheit aus. Und ihr Humor war ansteckend! Aber es fehlte ihr an Disziplin und Arbeitsethos, um ihre Projekte auch durchzuziehen. Das unterschied sie dann doch von ihrem Großvater, der über Jahre hinweg an seinem „Ring“ arbeiten konnte. Sie war natürlich auch sehr stark durch die Emigration abgelenkt. Wer sie kannte, war von ihr begeistert. Sie konnte sich mit Leib und Seele für andere Menschen einsetzen. Geld war ihr nur ein Mittel, um etwas zu erreichen, sie konnte mit Geld nicht umgehen. Sie wäre wohl eine gute Regisseurin geworden, wenn sie nur Training erhalten hätte. Sie ist ja nur kurz von dem Bayreuther Intendanten Tietjen ausgebildet worden. Als sie Buenos Aires ging, hatte sie gleich Angebote, aber sie fühlte sich nicht weit genug. 1967 inszenierte sie in Bielefeld den „Lohengrin“. Der wurde in einigen Zeitungen gut besprochen, überwiegend aber nicht. Da wird vermutet, dass Bayreuth sehr stark Einfluss ausgeübt hat. Karten für die Festspiele waren ein wunderbares Druckmittel.

"Bayreuth hatte viel Macht"

Das hört sich nach fast schon mafiösen Methoden an.

Rieger: Ich würde sagen, dass Bayreuth tatsächlich viel Macht hatte. Und Friedelinds Verhältnis zu Wolfgang war, wie das zuvor zu Winifred, nicht gut.

Das kann man wohl sagen. Warum vertrugen sich Mutter und Tochter so schlecht?

Rieger: Es waren zwei ganz starke Charaktere. Das knallte schon, als Friedelind noch Kind war. Da war diese ständige Aggression, und Winifred hat eine ganze Menge falscher Entscheidungen für Friedelind gefällt. Sie steckte sie nach Heiligengrabe in die Schule, eine Art Kloster, wo die Mädchen Uniformen trugen, und anschließend in eine landwirtschaftliche Schule. Dabei wusste sie, dass Friedelind Regisseurin werden wollte, dass sie musikalisch war. Es waren zwei Frauen mit einem starken Willen, die da aufeinanderstießen.

"In Wahrheit war sie erst 1939 Hitler-Gegnerin"

Friedelind hat den Bruch eher mit Winifreds Freundschaft zu Hitler begründet.

Rieger: Das reicht als Erklärung nicht ganz aus. Die Spannungen gingen schon in der Kindheit los und hielten lebenslang an. 1940 soll Winifred ihr mitgeteilt haben, sie würde „vernichtet und ausgerottet“ werden, wenn sie nicht den Plan zur Auswanderung aufgäbe, Das hatte Himmler Winifred gesagt, es stammt nicht von der Mutter selbst. Das hat mir Verena (Lafferenz, die letzte noch lebende Enkelin, Anm. der Red.) bestätigt. Friedelind hat zum Zeitpunkt ihrer Ablösung von der NS-Politik ein bisschen geschwindelt. Sie gab später an, 1937 zur Hitler-Gegnerin geworden zu sein, in Wahrheit war das aber erst 1939, nach dem Hitler-Stalin-Pakt und dem Einmarsch in Polen.

Das wahre Gesicht des Regimes will sie schon früher erkannt haben.

Rieger: Ihre Verehrung für Hitler bewahrte sie sich lange. In vielen ihrer Briefe äußert sie sich eindeutig positiv zu den Nationalsozialisten. Ich hätte mich gefreut, wenn sie sich des Charakters des Regimes früher bewusst geworden wäre.

"Sie hatte ein aufregendes Leben"

Doch schreibt man kein Buch über jemanden, den man überhaupt nicht mag.

Rieger: Nein, da haben Sie Recht. Ich bin selber so ein oppositioneller Geist. Gottfried (Wagner, Sohn Wolfgangs) riet mir zur Biographie, weil. sie ein Mitglied der Familie Wagner gewesen sei, das kaum jemals gewürdigt werde. Im Nachhinein finde ich, sie hat die Biographie verdient, denn sie war eine mutige und unabhängige Frau, die ab 1940 gegen den NS-Politik im US-Radio und in der Presse gekämpft hat. Ausserdem hatte sie ein aufregendes Leben.

Sie schrieben, Friedelind habe „keine überragende Leistung im Sinne einer historischen Großtat“ hinterlassen. Warum dann diese doch sehr detaillierte Biographie?

Rieger: Natürlich hat sie die Bayreuther Meisterklassen aufgebaut, das war eine große, aber auch nicht bleibende Leistung. Wieland hat mit seiner ganz eigenen Regiesprache etwas vollbracht, Wolfgang mit der Einladung von sehr prominenten und widersprüchlichen Regisseuren ebenfalls, insofern ist die Familie an sich schon interessant, zumal in Verbindung mit dem Bayreuther Festspielhaus, das mit seiner Konzeption weltweit einmalig ist. Und nun wollte ich sie hineinholen in die Familie. Es gibt einige Bücher über Wieland und Wolfgang, aber keines über Friedelind. Das empfand ich als ungerecht.

"Sie konnte sehr bösartig sein"

Die Familie Wagner kann bösartig streiten. Wie bösartig konnte Friedelind sein?

Rieger: Sehr. Sie ließ über die Presse große Frechheiten verlauten und trieb Wolfgang zur Weißglut. Er hat ihr dann ja auch zeitweise Karten für die Festspiele versagt. Sie ließ sich in Radiointerviews von ihrer Stimmung hinwegfegen und erzählte dann Sachen, die sie nicht hätte sagen sollen. Sie war nicht eben diplomatisch.

Es wurde überhaupt mit harten Bandagen gekämpft. Erzählen Sie doch mal, wie Friedelind aus dem Rennen um die Festspielleitung gedrängt wurde.

Rieger: Das war ein Coup der Mutter, die das Festspielhaus an Wolfgang und Wieland vermietete. Damit war Friedelind eigentlich schon aus dem Rennen. Dabei wollte sie schon an der Festspielleitung teilnehmen, obwohl sie nach 1945 erst einmal zögerte. Und dann kam sie 1953, zu den zweiten Festspielen nach dem Krieg, und stellte fest, dass sie nichts mehr zu sagen hatte. Siegfried hatte alles zu gleichen Teilen vererbt, und da bekam sie 1973 von den zwölf Millionen Mark ihren Anteil ausbezahlt. Sie verhielt sich sehr großzügig, sie verschenkte so einiges an ihre Nichten und Neffen. Gegen Ende ihres Lebens hatte sie fast alles ausgegeben, unter anderem für ein großes Haus in England, in dem sie ihre Meisterklassen fortsetzen wollte. Aber sie durfte in Bayreuth niemals Regie führen, schade!

Friedelind wiederum schoss gegen Franz Wilhelm Beidler…

Rieger: Ja, dem Militärgouverneur der Besatzungszone, General Clay, erzählte sie, Beidler sei Kommunist. Das war eine böse Geschichte. Danach hat sie sich dann aber mit Dagny und Franz Beidler angefreundet. Sie hat Dagny auch als Erbin eingesetzt, dann aber wegen eines Streits über eine Sängerin mit ihr gebrochen und alles Neill Thornborrow vermacht. Er besitzt bis heute Friedelinds Nachlass und nimmt seit über 25 Jahren einen Sitz im Stiftungsrat ein, wo eigentlich Dagny Beidler sitzen sollte.

INFO: Eva Rieger verfasste „Friedelind Wagner. Die rebellische Enkelin Richard Wagners“, Piper Verlag, München 2012. 502 S., Abb., geb., 24,99 Euro. Demnächst erscheint von Eva Rieger eine Biographie der Sängerin Frida Leider. Am Sonntag, 8. Mai, gibt es in Haus Wahnfried eine Konzertperformance von Mario Stork und Dirk Schattner zu, 25. Todestag Friedelinds. Beginn ist um 18.30 Uhr.

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